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Eindrücke der IT- und Engineernig-Tagung 2020 Service aktuell

Engineering- und IT-Tagung 2020: Alles anders, alles online

Wie sehr die Pandemie die Arbeitswelt verändert und vor allem digitalisiert hat, das war Thema der diesjährigen Engineering- und IT-Tagung der Hans-Böckler-Stiftung. Zahlreiche Betriebsräte haben dazu ein Update aus dem Homeoffice gegeben. Von Jennifer Garic

„Können Sie mich hören?“ – diese Frage kennen mittlerweile wohl fast alle Mitarbeiter aus den allgegenwärtigen Videokonferenzen am digitalen Arbeitsplatz im Homeoffice. Auch auf der diesjährigen Engineering- und IT-Tagung der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall fällt der Satz häufiger. Schon zwölf Mal hat die Konferenz stattgefunden – und doch ist nichts wie in den Jahren zuvor. Das Konferenzmotto „Update aus dem Homeoffice“ ist für viele Sprecher gelebte Realität. Sie schalten sich aus Kinderzimmern, vom Esstisch oder dem heimischen Arbeitszimmer zu – das New Normal in Zeiten der Pandemie eben.

Die Betriebsräte, die uns jetzt live zuschauen, sind unsere Heldinnen und Helden. Sie reagieren schnell, zuverlässig und gehen kompetent mit der Kurzarbeit um.

Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall

Wo sonst Betriebsräte aus ganz Deutschland sitzen, steht nun eine Reihe Kameras, die unbenutzten Stühle sind kunstvoll zu einem Berg aufgetürmt und nur Schmuck im Konferenzraum. Ein passendes Setting: Denn die Pandemie hat nicht nur die Böckler-Konferenz in eine Online-Tagung verwandelt, sondern vielmehr die ganze Arbeitswelt, wie Beschäftigte aus IT und Engineering sie bisher kannten, radikal verändert.

Podcasts und Videochats vom Betriebsrat

Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall, bleibt trotzdem positiv: „Die Betriebsräte, die uns jetzt live zuschauen, sind unsere Heldinnen und Helden. Sie reagieren schnell, zuverlässig und gehen kompetent mit der Kurzarbeit um.“ Und das abseits aller Probleme, von denen die Betriebsräte in der Konferenz berichten: Kein direkter Kontakt zu den Kollegen, keine lebendigen Diskussionen im Videochat und Datenschutz-Probleme bei geheimen Abstimmungen. Ist das hohe demokratische Gut der Mitbestimmung etwa bedroht? Mitnichten, urteilen die Betriebsräte. Es gelte lediglich, neue Wege zu finden. Manfred Schoch, Vorsitzender des Gesamt- und Eurobetriebsrats bei BMW wagt sich dazu auf ganz neues Terrain: „Wir informieren unsere Mitarbeiter aktuell über Podcasts und erreichen damit sogar mehr Menschen als mit offiziellen Sitzungen vor Corona.“ Bei Bosch läuft es ähnlich, berichtet Frank Sell, Vorsitzender des Gesamtbetriebsrats. Dort gebe es nun Online-Sprechstunden und Video-Botschaften von ihm und anderen Betriebsräten.

Auf allerlei digitalen Kanälen prasseln seit Beginn der Coronakrise Fragen auf Betriebsräte ein, die sie oft selbst nicht beantworten können: Ist es ein Arbeitsunfall, wenn ich im Homeoffice über die Katze stolpere und mir etwas breche? Bekomme ich einen Zuschuss für meine Homeoffice-Ausstattung? Muss (oder darf) ich jetzt immer von Zuhause aus arbeiten?

Klares Votum für mehr Homeoffice

Weder aktuelle Tarifverträge noch der Gesetzgeber kennen derzeit Antworten auf diese Fragen. Denn „Homeoffice“ ist im Gegensatz zur „Telearbeit“ kein juristischer Begriff. Es gilt also, neue Vereinbarungen zu treffen. Da sind sich alle Gäste der Tagung einig. Wie wichtig konkrete Bedingungen für die Arbeit von Zuhause sind, zeigt eine kurze Online-Umfrage unter den Zuschauern. Per QR-Code konnten sie während des Livestreams online abstimmen. 85,5 Prozent der Teilnehmer wünschen sich demnach mehr oder deutlich mehr Homeoffice – eine klare Aussage.

So viel Flexibilität ist in der Unternehmensrealität aktuell noch nicht allen Beschäftigten der IG-Metall-Betriebe vergönnt. Christine Seemann ist aus ihrer privaten Küche zur Konferenz zugeschaltet. Sie ist Mitglied des Betriebsrats bei Salzgitter Flachstahl und hätte sich gewünscht, diesen Platz häufiger für die Arbeit nutzen zu können: „Unsere Angestellten mussten schon im April allesamt zurück ins Büro.“ Schuld daran seien alte Denkmuster: „Einige Führungskräfte hier denken nach wie vor, dass Mitarbeiter im Homeoffice lieber den Rasen mähen als zu arbeiten. Dabei wissen wir längst, dass Mitarbeiter Zuhause oft sogar noch produktiver sind.“

Und welcher Weg führt nun durch die Krise? Für Benner ist die Antwort klar: „Wir dürfen nicht aufhören, unsere Fachkräfte weiter zu qualifizieren.“ Die unaufhaltsame Transformation der Zulieferer- und Ingenieursbranche, das Voranpreschen neuer Technologien wie Elektromobilität und automatisiertes Fahren sind keine neuen Themen. Corona hat den Wandel der Branche allerdings enorm beschleunigt.

Wie schnell alles geht, zeigt der Fall Continental. Immer wieder blicken die Tagungsteilnehmer Richtung Mühlhausen, wo zeitgleich zur Konferenz rund 150 Continental-Mitarbeiter gegen den angekündigten massiven Stellenabbau demonstrieren und Autokorsos veranstalten. Was die Betriebsräte und Experten im Rahmen der Konferenz als Zukunftsszenarien befürchten, ist hier bereits Realität: Der Umbruch durch die Corona-Krise wird in vielen Engineering- und IT-Branchen bei weitem nicht nur Fragen nach Homeoffice-Standards aufwerfen. Die Betriebsräte werden in den nächsten Monaten gebraucht – und müssen daher digital und analog voll einsatzbereit sein.

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