Sinzheimer-Vorlesung: Doktorarbeit schließt Forschungslücke
Das HSI zeichnet Milena Herbig für ihre Arbeit über Eingruppierungen im öffentlichen Dienst aus. Die Sinzheimer-Vorlesung wirft ein Schlaglicht auf die grüne Transformation.
[31.10.2025]
Von Andreas Schulte
Der Ort für die Zeremonie ist passend ausgewählt. Auch in diesem Jahr fand die Verleihung des Hugo-Sinzheimer-Preises in der Universität Frankfurt statt. Hier am Main hat der Namenspatron des Hugo Sinzheimer Instituts als Rechtsanwalt und Hochschullehrer gewirkt und sich dabei dem Arbeitsrecht und den Interessen von Gewerkschaften gewidmet.
Aller Wahrscheinlichkeit nach hätte auch Sinzheimer selbst das diesjährige Thema der ausgezeichneten Dissertation als preiswürdig erachtet. Er hat sich zeitlebens mit sozialem Gespür für mehr Gerechtigkeit eingesetzt. Doch mit Bestimmtheit lässt sich dies nicht sagen. Der Rechtsgelehrte starb 1945. Tarifliche Eingruppierungen aber wurden umfassend erst mit dem Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) im Jahr 1961 eingeführt. Und auch heute noch sind sie aktuell.
Auch deshalb vergab die Jury den Hugo-Sinzheimer-Preis im Jahr 2025 an Milena Herbig für ihre Dissertation „Rechtsfragen der Eingruppierung im öffentlichen Dienst“.
Die Arbeit analysiert das System der Eingruppierung, also die Einordnung von Tätigkeiten in Entgeltgruppen im öffentlichen Dienst. Herbig untersucht darin, nach welchen Kriterien die Höhe der Entgelte bestimmt werden und wie sich diese Kriterien im Laufe der Zeit verändert haben. Wie werden Tätigkeitsmerkmale und bestimmte Arbeitsvorgänge bewertet? Die Dissertation an der Universität Speyer berücksichtigt auch gesellschaftliche und technische Veränderungen, etwa die Bedeutung sogenannter „systemrelevanter Tätigkeiten“.
Die Zeit ist reif für ein solches Thema. Vor zehn Jahren herrschte an einer solchen Veröffentlichung noch deutlich weniger Interesse.
Und sie beleuchtet die Eingruppierungen unter internationalem, europäischem, verfassungsrechtlichem und einfachem Recht. „Die Arbeit überzeugt handwerklich sowie sprachlich, und sie schließt eine Forschungslücke”, sagte Laudatorin Reingard Zimmer. Das Jurymitglied ist Professorin an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Zimmer hob unter anderem die gesellschaftliche Bedeutung der Arbeit hervor. Denn von der Eingruppierung im öffentlichen Dienst sind mehrere Millionen Menschen betroffen.
Care Arbeit abgewertet
Im Sinne von Hugo Sinzheimer sei unter anderem, dass die Preisträgerin in ihrer Arbeit diskriminierende Elemente bei der tariflichen Eingruppierung herausarbeite. Herbig hat untersucht, welche Auswirkung der Wandel verschiedener Berufsfelder auf die Eingruppierung hat. Ein Ergebnis: Care Arbeit, die größtenteils von Frauen geleistet wird, wurde abgewertet.
Zimmer lobte die Aktualität der Dissertation. „Die Zeit ist reif für ein solches Thema. Vor zehn Jahren herrschte an einer solchen Veröffentlichung noch deutlich weniger Interesse.” Die Arbeit dürfte auch bei Gewerkschaftern ein Umdenken anregen. „Sie tun sich oft schwer damit, das Diskriminierungspotenzial von Tarifverträgen einzugestehen”, sagt die Wissenschaftlerin.
Der Hugo-Sinzheimer-Preis ist mit 3.000 Euro dotiert. Milena Herbig erhält zudem die Möglichkeit, ihre ausgezeichnete Dissertation durch das Hugo- Sinzheimer-Institut der Hans-Böckler-Stiftung kostenlos veröffentlichen zu lassen.
Traditionell geht mit der Preisverleihung die Sinzheimer-Vorlesung einher. Das Thema in diesem Jahr: „Green Transition und die Rolle der Arbeitnehmervertretung.” Ausgewiesener Experte auf diesem Gebiet ist Professor Edoardo Ales von der Universität Parthenope in Neapel. Der Arbeitsrechtler und Hochschullehrer, hob eingangs hervor, dass die grüne Transformation massive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt haben wird.
Der Green Deal der EU könne aber nur im Einklang mit sozialer Gerechtigkeit gelingen. Mitarbeiter als Stakeholder könnten den grünen Wandel im Unternehmen vorantreiben. Sie müssten sich allein deshalb einbringen, weil sich durch den klimatischen Wandel ihre Arbeitsbedingungen verschlechtern können.
Gesetze auf nationaler Ebene böten in einigen EU-Ländern dafür die Voraussetzungen, sagte Ales. Vor allem Umschulungen und Weiterbildungen seien wichtig, um die Transformation zu gestalten. Denn ohne sie drohe eine hohe Arbeitslosenquote und unregulierte sowie prekäre Arbeit. Dies leiste der Spaltung der Gesellschaft Vorschub.
Experte fordert sozialen Dialog
Daran haben weder Arbeitnehmer noch Arbeitgeber und Staat ein Interesse. So sieht es auch Ales. Er forderte daher mehr sozialen Dialog zwischen diesen drei Parteien. „Es fehlt aber die Idee, wie die grüne Transformation auf Europäischer Ebene in einen intensiveren sozialen Dialog münden kann”, sagte Ales. Die Gesetzgeber hätten die Arbeitnehmer als wichtige Akteure des ökologischen Wandels vergessen.
Es fehlt aber die Idee, wie die grüne Transformation auf Europäischer Ebene in einen intensiveren sozialen Dialog münden kann.
Denn bislang habe die EU die Regeln des Green Deal weitgehend ohne Anhörung der Arbeitnehmer vorangetrieben, auch weil Arbeitnehmer und Arbeitgeber der Europäischen Union gegenüber nicht gemeinsam aufgetreten seien. „Der soziale Dialog ist gescheitert”, resümierte Ales. Er sei daher „nicht optimistisch”, dass die grüne Transformation bei gleichzeitiger sozialer Nachhaltigkeit gelingen kann.
Was kann diesen trüben Ausblick aufhellen? Diese Frage stellte Ernesto Klengel, wissenschaftlicher Direktor des Hugo Sinzheimer Instituts und Moderator der Veranstaltung dem Plenum. Gleich mehrere Ansätze wurden diskutiert. Einer davon: die Entscheidungsfreiheit von Unternehmen einzuschränken, um Arbeitnehmervertretern so mehr Mitspracherecht zu ermöglichen. Ein anderer: das Streikrecht zu erweitern, um für die Durchführung der grünen Transformation auf die Straße gehen zu können.
Weitere Infos
- Systemrelevant Podcast: Wie gerecht sind Tarifverträge im öffentlichen Dienst?
Milena Herbig, diesjährige Gewinnerin des Hugo Sinzheimer Preises, stellt in dieser Folge mit HSI-Direktor Ernesto Klengel ihre Dissertation vor. - zur Veranstaltungsseite