Systemrelevant Podcast: Bleiben Menschenrechte in der Logistik auf der Strecke?

LKW-Fahrer*innen forderten 2023 ausstehende Löhne und deckten gravierende Missstände in der Logistik auf. Christina Schildmann und Veronique Helwing-Hentschel erörtern, wie „Gute Arbeit“ auf unseren Straßen gefördert werden kann, und nehmen das Lieferkettengesetz unter die Lupe.

[30.09.2024]

Im September 2023 erregte der Streik von LKW-Fahrer*innen an der Raststätte Gräfenhausen bundesweite Aufmerksamkeit und beleuchtete gravierende Missstände in der Logistikbranche. Die betroffenen Fahrer*innen, überwiegend aus zentralasiatischen Ländern, forderten ausstehende Löhne und wiesen darauf hin, wie Outsourcing und digitale Plattformen zu prekären Arbeitsbedingungen führen. In unserem Podcast sprechen Christina Schildmann, Leiterin der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, Veronique Helwing-Hentschel, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geografie der Universität Osnabrück und Moderator Marco Herack darüber, wie das neue Lieferkettengesetz und der Druck von Gewerkschaften dazu beitragen können, Menschenrechte auch in Deutschland zu schützen. Welche Auswirkungen hat das auf die Zukunft der Arbeitswelt in der Logistik?

In einem von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt untersuchte das Institut für Geografie der Universität Osnabrück die Auswirkungen der Digitalisierung und die Arbeitsbedingungen in der Logistikbranche. Dabei zeigte sich, dass Outsourcing und digitale Plattformen, wie Frachtenbörsen, zu prekären Arbeitsverhältnissen führen. Besonders der LKW-Fahrer*innen-Streik an der Raststätte Gräfenhausen 2023 verdeutlichte die gravierenden Missstände und Menschenrechtsverletzungen entlang der Lieferketten in Deutschland.

Christina Schildmann identifiziert vier Phänomene, die die Veränderungen des Arbeitsmarktes in der Logistikbranche prägen: Die Diskussion beleuchtet die Entwicklungen im Arbeitsmarkt der Transportlogistik, die durch verschiedene Faktoren beeinflusst werden. Zentrale Aspekte sind:

• Turboglobalisierung: Im Gegensatz zur weit verbreiteten Annahme von De-Globalisierung zeigt die Transportlogistik eine zunehmende Globalisierung, wie am Beispiel Gräfenhausen erkennbar ist. Fahrer kommen aus immer entfernteren Regionen, was die Logistikketten verlängert.
• Outsourcing und Preisdruck: Der massive Preisdruck zwingt zur Optimierung, wodurch Transportkosten minimiert und Lagerbestände reduziert werden. Dies führt zu einer starken Nachfrage.
• Aggressives Lohndumping: Auf der Angebotsseite werden die Löhne durch Konkurrenz unter Fahrern gedrückt. Die Struktur des Marktes wird kettenförmig, indem Aufträge von einem Spediteur zum nächsten weitergereicht werden, was zu schlechteren Arbeitsbedingungen führt.
• Plattformisierung der Logistik: Frachtenbörsen als digitale Plattformen ermöglichen komplexe Geschäftsmodelle und beeinflussen die gesamte Logistikbranche.

Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das 2023 in Kraft trat, spielte in Gräfenhausen eine entscheidende Rolle. Christina Schildmann betont: „Wir haben bisher zu wenig darüber nachgedacht, wo Menschenrechte in Deutschland selbst verletzt werden.“ Der Streik in Gräfenhausen habe dies erneut ins Gedächtnis gerufen, fügt Schildmann hinzu.

Wie wichtig es für Beschäftigte in der Transportlogistik ist, dass Deutschland die EU-Lieferketten-Richtlinie umsetzt, erfahrt ihr im weiteren Verlauf der Folge.

Moderation: Marco Herack

Alle Informationen zum Podcast

In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.

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