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Magazin Mitbestimmung

: Wie Dienstmädchen

Ausgabe 12/2010

PFLEGE Längst haben Agenturen den Pflegenotstand entdeckt und vermitteln osteuropäische Kräfte an Privathaushalte. Ab 2011 könnte die Personalsuche schwieriger werden. Von Kendra Eckhorst

KENDRA ECKHORST ist Journalistin in Hamburg./Foto: Sven Simon

Einen alten Baum verpflanzt man nicht" - mit diesem schönen Satz wirbt die Firma Respekto in Bad Schwartau um Kunden. Und mit freundlichen Mitarbeitern, "auch aus Polen und anderen EU-Ländern". Respekto ist eine von grob geschätzt 70 Agenturen, die osteuropäische Pflegekräfte in deutsche Haushalte vermitteln und ihre Dienste im Internet anbieten. Eine 24-Stunden-Betreuung in den eigenen vier Wänden, die menschlich, nah und bezahlbar ist - so oder ähnlich lautet das Versprechen. Auf der Website www.gowork.eu, die von einer polnischen Arbeitsvermittlung betrieben wird, können sich Familien von Pflegebedürftigen gleich Bilder vom zukünftigen Personal anschauen. Der Bedarf ist da. Die Gewerkschaft ver.di geht davon aus, dass 115 000 Menschen aus Osteuropa, meist Frauen, legal und illegal in der häuslichen Pflege arbeiten. Es ist ein unübersichtlicher Markt - welche Arbeitszeiten und welche Bezahlung in Privathaushalten tatsächlich gelten, entzieht sich staatlicher und gewerkschaftlicher Kontrolle. Ein Geschäftsmodell hat sich entwickelt, das das Sozialgefälle zwischen Ost- und Westeuropa auszunutzt. Augenfällig ist, dass im Kleingedruckten der Agenturen meist nur von Haushaltshilfen die Rede ist. Denn Haushaltshilfen aus Osteuropa sind schon länger erlaubt.

Eine Änderung der Beschäftigungsverordnung ermöglicht seit Anfang 2010 zudem die sogenannte Grundpflege - also Waschen, Duschen, Kämmen oder Zähneputzen. Das komplette Angebot an Pflegeleistungen dürfen die ausländischen Kräfte aber nicht anbieten, da ihre Abschlüsse nicht anerkannt sind. "Die Berufsbezeichnung ist geschützt und darf nur mit entsprechender Erlaubnis geführt werden", sagt Heike Helfer, Pressesprecherin des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales. Die Inhalte ausländischer Abschlüsse sollen der hiesigen dualen Ausbildung entsprechen und können dann, je nach den Bestimmungen der einzelnen Bundesländer, anerkannt werden. Friedhelm Fiedler, stellvertretender Vorsitzender des Arbeitgeberverbands Pflege, hält die Abschlüsse für nicht kompatibel, da beispielsweise examinierte Kräfte aus Polen einen Studienabschluss, einen "Bachelor of Nursing" besitzen.

ARBEITEN IM VERBORGENEN_ Die ver.di-Gewerkschafterin Margret Steffen ist skeptisch, was den Einsatz von Migrantinnen in der häuslichen Pflege angeht. Sie sagt, auch wenn auf dem Papier alles stimme, drohe eine "Quasi-Illegalität" durch "neue Dienstmädchenverhältnisse". Wer weiß schon, was in privaten Haushalten vor sich geht - und vor allem, wie lange? Die Osteuropäer verdienen zwar mehr als in ihrem Herkunftsland, aber nur 25 bis 50 Prozent dessen, was eine deutsche Fachkraft bekommt. Weder das im April 2009 verabschiedete Arbeitnehmerentsendegesetz noch der im August 2010 durch Rechtsverordnung eingeführte Pflegemindestlohn - derzeit 7,50 Euro im Osten, 8,50 Euro im Westen - stellen in der Realität wirklich Mindestarbeitsbedingungen sicher. Das liegt nicht nur am Arbeitsort, den privaten Haushalten. Sondern auch daran, dass medizinisch geschulte Helferinnen zu Haushaltshilfen gemacht werden, denen anspruchsvolle pflegerische Tätigkeiten natürlich fern liegen. Pflegerisches Vokabular wird dagegen gern zur Suchmaschinenoptimierung aufgelistet.

Werden Vermittlungsagenturen überflüssig, wenn im Mai 2011 jeder Arbeitnehmer aus Polen jeden Job annehmen kann? "Nein, es wird sich nichts ändern", erklärt Martin Wysocki, Geschäftsführer der vivilia GmbH, die die Internetseite www.ost-profi.de betreibt. Die Kräfte, die er gegen Provision vermittelt, sind bei osteuropäischen Unternehmen angestellt und im Herkunftsland sozial-, kranken- und rentenversichert. Im Rahmen der Dienstleistungsfreiheit können ausländische Firmen Arbeitnehmer für maximal zwölf Monate entsenden, wenn sie auch eine ansässige Firma betreiben und die entsendeten Kräfte vor und nach diesem Arbeitseinsatz bei ihnen angestellt bleiben.

Andere Vermittler setzen auf formal Selbstständige - wie ein Unternehmen, das sich "Deutsche Senorienbetreuung" nennt. Andre Harle, der Geschäftsführer der Filiale in Oldenburg, betont, dass diese Fachkräfte nur eine "Projekteinweisung" erhalten, aber keine Arbeitsanweisungen. Diese Formulierung ist rechtlich sauber - würde er etwas anderes erzählen, wäre der Tatbestand der Scheinselbstständigkeit erfüllt. Um solche Vorwürfe nicht aufkommen zu lassen, wechseln die Kräfte, die er vermittelt, alle sechs Monate die Familie. Zudem müssen Selbstständige mindestens zwei Kunden nachweisen.

Margret Steffen hofft auf einen gewisen "Legalisierungsdruck", der enstehen könnte, wenn professionelle Unternehmen auf den Markt drängen. "Dann würden Frauen, die jetzt monatelang in einer fremden Familie leben müssen, eventuell kürzere Einsatzzeiten haben und ihre eigene Familie öfter sehen." Für Agenturen, die besonders schlechte Konditionen anbieten, könnte die Personalsuche zudem schwieriger werden, wenn dank der offenen Grenzen auch andere Jobs für Arbeitssuchende in Frage kommen. Arbeitgeberfunktionär Fiedler hält den Pflegearbeitsmarkt schon jetzt für "leergefegt". Viele gut ausgebildete Kräfte seien längst in die Schweiz oder in die Niederlande gegangen. Auch Gabriele Feld-Fritz, bei ver.di eine Kollegin von Margret Steffen, sieht "attraktivere Migrationspfade als Deutschland". Die Personalsuche im Pflegebereich könnte sich verstärkt auf Drittstaaten wie Bulgarien und Rumänien ausdehnen - oder auf Länder außerhalb der EU.

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