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Magazin Mitbestimmung

: Mitbestimmungskritik hält Prüfung nicht stand

Ausgabe 06/2004

Was ist dran an jener Mitbestimmungskritik, die da behauptet, Mitbestimmung behindere die deutschen Unternehmen im globalen Wettbewerb? Auf Tatsachen basiert das nicht - zumal wenn man die Behauptungen einer wissenschaftlichen Prüfung unterzieht.

Von Martin Höpner
Dr. Höpner ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für Gesellschaftsforschung in Köln. Die Thesen basieren auf einer Studie, die der Autor auf dem Workshop "Zukunft der Unternehmensmitbestimmung" präsentierte (siehe Hinweise unten).

1.  Die Mitbestimmung auf Unternehmensebene existiert in vielen europäischen Ländern.

Behauptet wird, die deutsche Unternehmensmitbestimmung sei einzigartig und deshalb im Ausland auch kaum zu vermitteln. Tatsache ist: In vielen europäischen Ländern existiert "echte" Unternehmensmitbestimmung in dem Sinne, dass die Arbeitnehmervertreter mit Stimmrechten in den Leitungsorganen ausgestattet sind und die Beteiligung also über die symbolische, stimmrechtslose Arbeitnehmerbeteiligung, wie sie in französischen Unternehmen praktiziert wird, hinausgeht.

So werden die österreichischen und niederländischen Aufsichtsräte zu einem Drittel mit Arbeitnehmervertretern besetzt, der dänische Verwaltungsrat zur Hälfte mit Vertretern der Beschäftigten.

Für schwedische, finnische und luxemburgische Unternehmen ist der mitbestimmte eingliedrige Verwaltungsrat prägend. Es besteht deshalb kein Anlass zu der Annahme, eine etwaige Legalisierung eingliedriger Leitungsstrukturen in Deutschland würde die Unternehmensmitbestimmung obsolet machen.

Für eine gewisse Ausstrahlungskraft der deutschen Unternehmenskontrolle spricht, dass sich die osteuropäischen EU-Beitrittsländer fast durchweg für den mitbestimmten Aufsichtsrat entschieden haben. Das gilt für die fünf Länder Polen, die tschechische Republik, die slowakische Republik, sowie für Ungarn und Slowenien. Insgesamt existieren in 13 der 25 EU-Länder mitbestimmte Leitungsorgane, bei denen die Arbeitnehmervertreter mit vollem Stimmrecht ausgestattet sind. Die Unternehmensmitbestimmung ist also keine spezifisch deutsche Eigenart.

2.  Die Mitbestimmung ist bei der übergroßen Mehrheit der Unternehmensleitungen akzeptiert.

Die Mitbestimmungskritiker können gewiss nicht für sich in Anspruch nehmen, mit ihren Forderungen für die deutschen Unternehmen zu sprechen. Denn alle bekannten Umfragen belegen: Betriebliche Mitbestimmung und Aufsichtsratsmitbestimmung gehören mittlerweile zum allgemein akzeptierten Regelbestand. Das gilt für von Managern geleitete Unternehmen ebenso wie für Eigentümerunternehmen.

In der Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) von 1998 geben 83 Prozent der befragten Unternehmensleitungen an, der Betriebsrat habe eine hohe oder sehr hohe Bedeutung für die Firma, und 76 Prozent der Arbeitgeber bezeichnen die Zusammenarbeit als gut oder sehr gut.

Führungskräfte von DAX-Unternehmen wurden gefragt, ob sie für oder gegen die Abschaffung der Aufsichtsratsmitbestimmung seien - und zwar im Jahr 1998 in einer Unternehmensbefragung von Martin Glaum. 53 Prozent sprechen sich tendenziell und 18 Prozent ohne Einschränkung gegen die Abschaffung der Aufsichtsratsmitbestimmung aus. Nur eine Minderheit von 23 Prozent votiert für die Abschaffung der Mitbestimmung auf Unternehmensebene.

Und mit der betrieblichen Mitbestimmung in mittelständischen Unternehmen hat sich jüngst eine Umfrage des Frankfurter Instituts "Media Markt Analysen" beschäftigt. "Dies ist das vielleicht überraschendste Ergebnis der Umfrage", schrieb dazu der Auftraggeber, das Manager-Magazin, in seiner Ausgabe 1/2004. "Nur eine Minderheit hat mit den Gewerkschaften, den Reglementierungen des Tarifrechts und der Mitbestimmung Probleme. Sogar bei Unternehmen, denen es nicht gut geht, meinen nur vier Prozent, der Betriebsrat verhindere notwendige Entlassungen; nur zehn Prozent klagen über Gewerkschafter, die von außen ins Unternehmen hineinregieren. Nur ein Sechstel dieser bedrängten Firmen hält die Flächentarifverträge für hinderlich, nur ein Viertel den Kündigungsschutz für zu strikt."

Ebenso könnte man vermuten, dass Aversionen gegen eine Arbeitnehmerbeteiligung bei deutschen Töchtern ausländischer Mutterkonzerne besonders ausgeprägt seien. Die Akzeptanz der Mitbestimmung in diesen Unternehmen untersuchte eine Befragung des Wissenschaftszentrums Berlin. Ergebnis: Die deutschen Töchter ausländischer Konzerne verorteten Betriebsrat und mitbestimmten Aufsichtsrat im neutralen Bereich zwischen Standortvorteilen und Standortnachteilen. Immerhin 233 der 767 Unternehmen, die im Jahr 2003 in den Geltungsbereich des Mitbestimmungsgesetzes von 1976 fielen, waren deutsche Tochterunternehmen ausländischer Konzerne.

3.  Ein Börsenabschlag für mitbestimmte Unternehmen existiert nicht.

 Zahllose ökonometrische Studien haben keine profitabilitätsmindernde Wirkungen der Mitbestimmung feststellen können. Aber hat die Mitbestimmung negative Effekte auf die Börsenbewertung von Unternehmen? "Kapitalmarktexperten schätzen jetzt schon, dass auf Grund der Mitbestimmung deutsche Aktien zwanzig Prozent weniger wert sind als die Anteilsscheine vergleichbarer ausländischer Unternehmen", erklärte Chefredakteur Wolfgang Kaden in Heft 4/2003 des Manager-Magazins.

Börsenkurse reflektieren neben der momentanen Rentabilität auch Erwartungen der Kapitalmarktteilnehmer über die zukünftige Rentabilität. Darüber hinaus bewerten die Kapitalmarktteilnehmer Unternehmen auch nach den Standards der Unterführungskontrolle, wobei schlechte Standards mit einem Discount belegt werden. So fand die Beratungsgesellschaft McKinsey im Jahr 2000 heraus, dass deutsche Unternehmen mit einem im internationalen Vergleich überdurchschnittlichen Discount von um die 20 Prozent belegt wurden; auf diese Zahl bezieht sich Kaden im Manager-Magazin.
Eine Analyse der McKinsey-Daten zeigt, dass hier Effekte der kapitalseitigen Unternehmenskontrolle zu Unrecht als Kapitalmarkteffekte der Mitbestimmung ausgewiesen werden: Zwischen den Reichweiten der Mitbestimmungsrechte und den von McKinsey erhobenen Aktienpreisabschlägen existiert keinerlei statistischer Zusammenhang (siehe das Papier "Unternehmensmitbestimmung und Mitbestimmungskritik").

Was aber bewegt die Aktionäre, wenn nicht die Mitbestimmung? Die von McKinsey erfragten Aktienkurs-Abschläge lassen sich in den jeweiligen Ländern zurückführen auf: 

  •  die Qualität der Rechnungslegungsstandards,
  •  den Schutz der Minderheitsaktionäre und
  •  die Aktivität der Fusions- und Übernahmemärkte.

2002 wiederholte McKinsey die Untersuchung. Überraschendes Ergebnis: Nunmehr gehört Deutschland zu den Ländern mit den niedrigsten erhobenen Abschlägen auf den Aktienpreis - noch vor den Vereinigten Staaten. Offenbar haben Unternehmensskandale wie bei Enron das Vertrauen in die amerikanische Spielart der Unternehmenskontrolle vermindert und zu einer Neubewertung der europäischen Mischformen aus Insiderkontrolle und Marktkontrolle geführt. Darüber hinaus dürften die Aktionäre die Bilanzierung nach internationalen Standards und die verbesserten Rechte der Minderheitsaktionäre gewürdigt haben. Mit dem mitbestimmten Aufsichtsrat hat all dies nichts zu tun. Die Börse ignoriert die Mitbestimmung.

4.  Die Aufsichtsräte müssen personell modernisiert werden - unter den Anteilseignern sind zu viele ehemalige Manager.

 Was tut sich auf den Aufsichtsratsbänken der Anteilseigner? In dem Maße wie die deutschen Großbanken ihre Industriebeteiligungen abgeben, ziehen sich auch deren Vertreter aus der Unternehmensaufsicht, sprich aus dem Aufsichtsratsvorsitz zurück. Das wird allgemein mit Wohlwollen zur Kenntnis genommen, weil die starke Stellung der Hausbanken in deutschen Unternehmen immer wieder in die Kritik geraten war - von Aktionärsaktivisten und Gewerkschaftern gleichermaßen.

Wer aber ist an die Stelle der ausscheidenden Bankenvertreter getreten? Unsere Forschungen über die Herkunft der Aufsichtsratsvorsitzenden in den 40 größten Industrieaktiengesellschaften zeigen: In den 90er Jahren wurden die ausscheidenden Banker praktisch ausschließlich von ehemaligen Managern derselben Unternehmen ersetzt. (Siehe Grafik)  Das heißt, die Bankenvertreter verließen die Aufsichtsräte, und auf die vakanten Posten wechselten die Vorstände der Unternehmen - um nun ihre Nachfolger zu beaufsichtigen. Zu Recht kritisieren Experten dies, weil es das Gegenteil von unabhängiger Kontrolle ist. "Die gängige Praxis, nach der sich Manager Aufsichtsratsposten gegenseitig zuschieben, ist besorgniserregend", findet der Abteilungsleiter Unternehmensfragen bei der OECD laut dem Handelsblatt vom 14. Mai 2004.

Sind das die Aufsichtsräte der Zukunft? Eher nein. Die müssten - entlang der veränderten Eigentümerstrukturen deutscher Großunternehmen - mit Vertretern der institutionellen Anleger besetzt werden. Es gilt heute, Vertreter von Fonds für die aktive Beteiligung an der Unternehmensaufsicht zu gewinnen und so einen Ersatz für die ausscheidenden Bankenvertreter zu finden. Ähnliches gilt für die unzureichende Internationalisierung der Aufsichtsratsbänke beider Seiten.

Mitunter wird behauptet, die Mitbestimmung verhindere effektive Kontrolle, weil sich die Anteilseigner in Anwesenheit der Arbeitnehmervertreter nicht trauten, den Managern kritische Fragen zu stellen. Gelingt aber die personelle Modernisierung und Internationalisierung der Aufsichtsräte, könnten diese in Zukunft mit Vertretern amerikanischer Pensionsfonds ebenso besetzt sein wie mit italienischen und spanischen Gewerkschaftsvertretern. Es führt kein Weg daran vorbei: Die Mitglieder des schrumpfenden Manager-Netzwerks müssen ihren im Aktiengesetz festgeschriebenen Pflichten auch dann nachkommen, wenn Nichtmitglieder anwesend sind. Sehen sie sich dazu nicht in der Lage, sind sie für die Unternehmensaufsicht nicht geeignet, und dies aus Gründen, die mit der Mitbestimmung nichts zu tun haben.

5. Wer kooperative Modernisierung und kontrollierte Dezentralisierung will, sollte nicht gleichzeitig die Mitbestimmung schwächen.

Kooperative Modernisierung der großen Unternehmen und kontrollierte Dezentralisierung der Flächentarifverträge bezeichnen die beiden großen Veränderungstrends der industriellen Beziehungen. Kooperative Modernisierung verweist auf die aktive Einbindung der Mitbestimmung in Reorganisationsprozesse. Die Unternehmensbefragung des Max-Planck-Instituts zeigt: Insbesondere waren es Strategien der Internationalisierung und der Fokussierung auf Kerngeschäfte, die unter Mitgestaltung der Mitbestimmung vonstatten gingen. 81 Prozent aller befragten Betriebsräte aus den 100 größten deutschen Unternehmen trugen die Strategien mit, was heißt, dass sie sie auch gegenüber den Belegschaften vertreten.
Mit der Verbreitung von Standortsicherungsvereinbarungen hat sich dieses Co-Management der Mitbestimmungsakteure in den 90er Jahren noch verstärkt. Bei solchen Vereinbarungen tauschen die Belegschaftsvertretungen Beschäftigungszusagen oder Investitionszusagen gegen Lohnkonzessionen und Flexibilisierungsmaßnahmen.

Gleichzeitig hat sich durch die Öffnung der Tarifverträge das Aufgabenfeld der Mitbestimmung auch auf Felder ausgedehnt, die vorher der Tarifpolitik vorbehalten waren. Entscheidend ist hier: Diese organisierte Dezentralisierung war nur unter aktiver Beteiligung der Gewerkschaften möglich. Das zeigt Britta Rehder in ihrer Studie über unternehmensbezogene Bündnisse für Arbeit in den 90er Jahren. Vertrauen, der gleichberechtigte Zugang zu authentischen Informationen und Mitwirkung der Gewerkschaften waren Voraussetzungen für die allgemein für sinnvoll erachtete kontrollierte Öffnung der Tarifverträge und die Zuweisung neuer Aufgaben an die Mitbestimmung.

Ob Betriebsräte weiterhin noch Bündnisse für Arbeit abschließen würden, wenn man sie vom Informationsfluss in den Aufsichtsräten abschneiden würde, und ob Gewerkschaften Abweichungen von Tarifverträgen mittragen würden, wenn man sie aus den Kontrollgremien entfernt? Zweifel sind mehr als angebracht an einer Strategie, die der Mitbestimmung neue Aufgaben sowohl aus dem Feld der Tarifpolitik als auch im Sinne betrieblicher Pakte zuweisen, sie aber gleichzeitig ihrer Rechte berauben will.


Weitere Informationen:

Martin Höpner: "Unternehmensmitbestimmung und Mitbestimmungskritik" - Papier für die Diskussionsveranstaltung "Die Zukunft der Unternehmensmitbestimmung" mit Vertretern von Arbeitgebern, DGB, Personalvorständen und aus der Wissenschaft am 23. April 2004 am Max-Planck-Institut in Köln. Weitere Statements von dieser Konferenz in der nächsten Ausgabe des Magazin Mitbestimmung.

Veranstaltungsdokumentation des Plax-Planck-Instituts

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