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Magazin Mitbestimmung

: Juniorpartner on Board

Ausgabe 05/2004

Die Kenntnis der wirtschaftlichen Kennzahlen ist für sie genauso wichtig wie der Kontakt zu den Entscheidern im Konzern. Vier jüngere Arbeitnehmervertreter geben Einblicke in die Praxis ihrer Aufsichtsratsarbeit.

Von Sabine Kall
Die Autorin arbeitet als freie Journalistin in Remscheid.

Express bedeutet bei der Deutschen Post AG Geschwindigkeit - Stefanie Weckesser scheint das verinnerlicht zu haben. Sie flitzt durch den Betrieb, wechselt in Sekundenschnelle von einem Thema zum nächsten, und ihr Sprechtempo ist rasant. Bei allem bleibt sie aber freundlich und gelassen.

Stefanie Weckesser ist freigestellte Betriebsrätin bei der DHL Express am Standort Augsburg und vertritt dort 450 Beschäftigte. Außerdem sitzt sie seit dem Jahr 2000 im Aufsichtsrat der Deutschen Post AG - mit 38 Jahren ist sie in diesem Gremium eines der jüngsten Mitglieder.

Anspruchsvolle Tätigkeit braucht externe Beratung

Den Postbetrieb hat sie von der Pike auf gelernt: Mit 16 Jahren begann sie eine Ausbildung zur "Dienstleistungsfachkraft im Postbetrieb”. Gleichzeitig engagierte sie sich in der Jugendvertretung und in der Deutschen Postgewerkschaft. "Für mich war das ganz selbstverständlich. Meine Eltern entsprechen zwar nicht dem Bild des klassischen Gewerkschafters, aber ich wurde von der damaligen Begeisterung für Willy Brandt geprägt”, erzählt Stefanie Weckesser. Nach der Ausbildung habe sich dann ihre erste Freistellung in der Jugend- und Auszubildendenvertretung "ergeben”, später wechselte sie in den Personalrat.

"Mit der Privatisierung der Post änderten sich die Strukturen ständig”, berichtet sie. Aus der Personalrätin wurde eine Betriebsrätin, die permanent "Übergänge managen” muss. Und mit der Post AG kam auch der Aufsichtsrat dazu. Dort könne die Arbeitnehmerbank an Mitbestimmungsstrukturen anknüpfen, die vor der Privatisierung üblich waren, weiß Stefanie Weckesser. "Das prägt den Umgang miteinander. Wir ziehen in vielen Punkten mit der Anteilseignerseite an einem Strang.” Vor allem biete der Aufsichtsrat jenseits der Tagesordnung die Möglichkeit, informell über brenzlige Themen zu reden.

Bei Debatten über die Offenlegung der Aufsichtsrats- und Vorstandsbezüge helfe auch die politische Großwetterlage. "Wir haben als Arbeitnehmervertreter auf Transparenz gedrängt. Für uns ist es sowieso kein Problem, weil die Gewerkschaften veröffentlichen, wer die Tantiemen ordentlich an die Hans-Böckler-Stiftung abführt.” Von den 25.000 Euro Aufsichtsratsvergütung zahlt Stefanie Weckesser satzungsgemäß rund 21.000 Euro - das entspricht etwa ihrem Jahreseinkommen. "Das ist schon eine stolze Summe. Aber ich nehme das Aufsichtsratsmandat ja nicht wahr, weil man dafür 25.000 Euro bekommt. Ich bin dazu da, unsere Interessen zu vertreten”, unterstreicht die Aufsichtsrätin. Außerdem relativiere sich die Summe, wenn man den Aufwand betrachtet, wie die Vorbereitungen zu den Aufsichtsratssitzungen, die Analyse und Aufbereitung der Daten eines weltweit tätigen Unternehmens. Hinzu kämen Informationen, die monatlich oder quartalsweise durchzuarbeiten sind.

Anspruchsvoll sei die Tätigkeit im Aufsichtsrat. Aber das schreckt Stefanie Weckesser nicht ab. "Durchbeißen” heißt ihre Devise. Außerdem zieht die Arbeitnehmerbank hin und wieder externe Hilfe zu Rate. In dem Zusammenhang schätzt sie die Beratungen und Informationen der Hans-Böckler-Stiftung. Die Argumentationshilfen zu aktuellen Auseinandersetzungen wie die um die Unternehmensmitbestimmung sind ihr ein echtes Lob wert: "Da ist das Geld aus der Aufsichtsratstätigkeit dann gut angelegt.”

Nähe zu den Entscheidern von Vorteil

Das sieht Jens Rothe ähnlich: "Die Jahresabschlussanalyse und die Beratung durch die Hans-Böckler-Stiftung sind nützlich für uns”, findet der 33-jährige Gesamtbetriebsratsvorsitzende und Aufsichtsrat bei Volkswagen Sachsen. "Es hilft, sich professionell auf Sitzungen vorzubereiten, auch wenn man nicht Betriebswirtschaft studiert hat.” Und das hat Jens Rothe nicht. Nach der Wende 1990 bricht er sein Studium der Elektrotechnik ab und fängt in der Montage beim damaligen "Sachsenring” an. Ein Jahr später wählen die rund 650 Beschäftigten beim Vorläuferunternehmen von VW Sachsen Jens Rothe in den Betriebsrat: "Wie das nach der Wende so war - ich hatte keine große Kenntnis davon, was mich erwartet”, erzählt er. "Im Westen wäre es undenkbar gewesen, dass jemand mit 21 Jahren in den Betriebsrat kommt, ohne dass er zuvor Vertrauensmann war und sich Schritt für Schritt hochgearbeitet hat. Aber die Zeit hatten wir damals nicht.”

Als 1996 der amtierende Betriebsratsvorsitzende in den Vorruhestand geht, wird Jens Roth mit 25 Jahren zum Vorsitzenden bei VW Sachsen gewählt. "Ich habe seine Funktionen mitgeerbt.” So bekam er auch das Mandat für den Aufsichtsrat. Der Aufsichtsrat besteht aus sechs Arbeitnehmervertretern und sechs Vertretern der Anteilseigner. "Die ersten Sitzungen hatten den Charme, dass wir mit Konzernvorständen wie etwa mit Peter Hartz einige Dinge kurz am Rande der Tagesordnung erledigen konnten, weil wir die unmittelbare Nähe zu den Entscheidungsträgern hatten”, berichtet Rothe.

Erleichtert wurde die "kooperative Konfliktbewältigung”, weil es seit Mitte der 90er Jahre mit dem Unternehmen steil bergauf ging. 1998 hatte VW Sachsen etwa 2000 Beschäftigte, heute sind an den Standorten Mosel und Zwickau insgesamt 7200 Mitarbeiter tätig. "Ein zentrales Thema war deshalb, wie schnell Personal eingestellt werden kann, um den Anforderungen an die Stückzahlen gerecht zu werden”, berichtet Jens Rothe. Die Entscheidungen über die Entwicklung des Unternehmens würden ohnehin in Wolfsburg getroffen, "da mache ich mir nichts vor.”

Wesentliche Entscheidungen, die die Arbeitnehmer betreffen, werden sowieso auf der Ebene des Konzernbetriebsrats getroffen. Im Tochteraufsichtsrat werden die persönlichen Kontakte genutzt, um drängende Probleme - etwa die Zahl der Ausbildungsplätze - anzusprechen. "Die gelang es uns, seit 1996 zu verdoppeln”, sagt der zweifache Familienvater und macht klar, dass ihm nicht nur die Zukunft seiner eigenen Söhne am Herzen liegt. Weil die Verpflichtungen in den betrieblichen Gremien und die Funktionen in der IG Metall Zeit kosten, hat Jens Rothe selten einen normalen Feierabend. Die rare Freizeit konzentriert er deshalb bewusst auf seine Familie. Doch bei allen Abstrichen ist er froh über "die einmalige Chance”, diesen Prozess seit der Wende aktiv mit zu begleiten.

Persönliche Chance und Bonus als Frau

Es muss nicht der Hauch der Geschichte sein, der die Tätigkeit in der betrieblichen Interessenvertretung wertvoll macht. Für Birgit Kuhlhoff steht im Zentrum ihrer Tätigkeit als Arbeitnehmervertreterin die Chance, sich persönlich weiterzuentwickeln. Die 35-Jährige ist freigestellte Betriebsratsvorsitzende der Sasol Germany GmbH in Marl und Mitglied im Aufsichtsrat. Bei dem Vorläuferunternehmen, der Hüls AG, absolvierte sie eine Ausbildung zur Chemielaborantin und arbeitete danach in der Qualitätsüberwachung. "Nach zehn Jahren in diesem Tätigkeitsfeld wollte ich etwas Neues machen, mich weiterbilden und neue Herausforderungen suchen. Da hat sich die Betriebsratsarbeit ergeben.”

1998 wurde das Unternehmen umstrukturiert. Beim Übergang zur RWE/DEA fanden außerordentliche Betriebsratswahlen statt - die Vertrauensfrau Birgit Kuhlhoff kandidierte. "Ich war damals die einzige Frau, und wahrscheinlich habe ich eine Art Bonus bekommen, wurde direkt stellvertretende Betriebsratsvorsitzende und freigestellt.”

Bei der folgenden Umstrukturierung wurde aus dem Unternehmen die Sasol Germany GmbH, eine Tochtergesellschaft des südafrikanischen Sasol Konzerns. In Marl und an vier anderen deutschen Standorten werden unter anderem Alkohole und Tenside produziert. Als der damalige Betriebsratsvorsitzende in die Altersteilzeit ging, wurde sie zur Vorsitzenden gewählt und zog 2002 in den Aufsichtsrat ein. "Dort vertreten die Hauptanteilseigner aus Südafrika die Muttergesellschaft. Sie waren anfangs gegenüber dem Mitbestimmungsgedanken sehr skeptisch und ablehnend”, erklärt Birgit Kuhlhoff. Mittlerweile hätten auch sie erkannt, dass der Betriebsrat durchaus zum Wohl des Unternehmens an einer konstruktiven Zusammenarbeit interessiert sei und im Zuge von Veränderungen eine deutliche Akzeptanz bei der Belegschaft herstellen könne.

Anfangs geizten die neuen Anteilseigner mit Informationen im Aufsichtsrat. Erst in der Sitzung erhielten die Arbeitnehmervertreter eine spärliche Unterlage: "Das war ein einziges DIN-A4-Blatt”, sagt sie kopfschüttelnd. Mittlerweile hat sich das geändert. Vertrauen aufbauen, auch durch informelle Gespräche - das ist ein Ziel von Birgit Kuhlhoff. Dabei muss sie zwei Hürden überwinden: "Das Management tauscht sehr häufig Leute aus. Das macht es natürlich schwierig, ein Vertrauensverhältnis aufzubauen.” Außerdem läuft die Kommunikation nur in Englisch. "Im Aufsichtsrat wird allerdings gedolmetscht, denn wir wollen nicht aufgrund von Sprachproblemen das Risiko eingehen, aneinander vorbei zu reden.”

Es ist ein Austausch, kein Kampf

Bei Sasol tagt der Aufsichtsrat in der Regel zweimal im Jahr, meist stehen Investitionen und Akquisitionen auf der Tagesordnung. "Dabei geht es ruhig zu, es ist in erster Linie ein Austausch, kein Kampf.” Birgit Kuhlhoff weiß, dass dies eng mit der guten Geschäftsentwicklung von Sasol verknüpft ist. "Da diskutiert man auf der Basis einer sehr komfortablen Ausgangslage. Wenn die Tagesordnung die Schließung von wesentlichen Unternehmensteilen beinhalten würde, verliefe die Sitzung sicherlich anders.”

Für solche Fälle wünscht sie sich einen Ansprechpartner, an den sie sich mit Fragen und Problemen wenden kann. Außerdem findet sie Grundlagenkurse für neue Aufsichtsräte, die nicht aus einer kaufmännischen Tätigkeit kommen, hilfreich. Denn Birgit Kuhlhoff möchte nicht völlig von den Wirtschaftsprüfern abhängig sein. "Sie werden vom Unternehmen beauftragt und bezahlt. Ohne etwas unterstellen zu wollen: Ich habe lieber selbst den Durchblick.”

Gegenseitiger Respekt prägt die Aufsichtsratsarbeit

Darauf legt auch Oliver Burkhard Wert. Das blaue Standardwerk "Handbuch der Aufsichtsratspraxis” steht griffbereit neben seinem PC. Oliver Burkhard nimmt es öfter mal zur Hand, denn der hauptamtliche Gewerkschaftssekretär der IG Metall Bezirksleitung NRW sitzt in drei Aufsichtsräten: bei der Vodafone D2 GmbH, beim Maschinenbau-Hersteller GEA AG und bei einem Automobilzulieferer, der Delphi Automotive GmbH. Oliver Burkhard hat mit seinen 32 Jahren bereits ein bewegtes Berufsleben zurückgelegt und bezeichnet sich selbst als "Quereinsteiger”: Mit 16 Jahren absolvierte er eine Ausbildung zum Verwaltungsfachangestellten im statistischen Bundesamt. "Das hört sich so spannend an, wie es auch war”, meint er ironisch. Deshalb hat er danach neben dem Beruf sein Abitur nachgeholt und Betriebswirtschaft studiert. "Da war ich ganz normales ÖTV-Mitglied. Anfang 1997 bin ich aus dem öffentlichen Dienst in die Wirtschaftsabteilung beim Vorstand der IG Metall gewechselt - ohne dass ich Multifunktionär oder Betriebsrat war.” Als Tarifsekretär für die Metall- und Elektroindustrie kam er 2002 zur Bezirksleitung nach Düsseldorf, seitdem nimmt der Betriebswirt auch die Aufsichtsratsmandate wahr.

Die Aufsichtsratstätigkeit beim Maschinenbauhersteller GEA AG verdient nach seiner Einschätzung die Bezeichnung Mitbestimmung. Das Unternehmen beschäftigt in Deutschland rund 14000 Mitarbeiter und stellt unter anderem Kühltürme oder Kläranlagen her. Die Mitbestimmungskultur sei von gegenseitigem Respekt geprägt, meint Oliver Burkhard. Kampfabstimmungen finden nicht statt. "Im Aufsichtsrat hört jede Seite der anderen zu und versucht, sich den Hut des anderen aufzusetzen. Dann kann man zumindest in vielen Fällen die Gründe verstehen, die die Anteilseigner für eine Entscheidung anführen.” Der Co-Managementgedanke mache hier weder vor Betriebsräten noch Gewerkschaftsvertretern halt: "Das Leben besteht nun mal aus Kompromissen”, meint Oliver Burkhard lakonisch. Doch wenn bei einem Warnstreik eine kämpferische Rede angesagt ist - dann hält er sie. "Aber der Job im Aufsichtsrat ist ein anderer.”

Das amerikanische Management geht auf Distanz

Eine etwas andere Mitbestimmungswelt hat er bei dem amerikanischen Automobilzulieferer, der Delphi Automotive GmbH, kennen gelernt. "Die Manager bemühen sich zwar auch um Respekt und Höflichkeit, aber ich habe das Gefühl, dass sie nicht wirklich interessiert, was wir Arbeitnehmervertreter dort einbringen, weil ihre Linie von vornherein festgelegt ist.” Und während bei der GEA AG Wirtschaftsberichte vorher ganz selbstverständlich zugesendet werden, dürften sie bei Delphi von den Arbeitnehmervertretern nur eingesehen werden. "Das sind so atmosphärische Störungen - lägen uns die Berichte vor, würde ja nicht gleich der Sozialismus bei Delphi ausbrechen”, meint Oliver Burkhard.

Ähnlich diffuse Ängste scheint das amerikanisch geprägte Management auch im Bezug auf die externen Arbeitnehmervertreter zu haben. Ein Grund mehr für Oliver Burkhard, einen möglichst engen Kontakt zum Delphi-Gesamtbetriebsrat zu pflegen: "So können wir zum Teil die Vorwürfe der Arbeitgeberseite entkräften, dass sich betriebsfremde Gewerkschaftssekretäre einfach in den Aufsichtsrat setzen, kluge Ratschläge erteilen und dann wieder abhauen. Und im Übrigen sitzen auf Arbeitgeberseite auch externe Vertreter im Aufsichtsrat.” Mit seinen 32 Jahren könnte Oliver Burkhard der Sohn der meisten Aufsichtsratsmitglieder sein. Aber er hat sich daran gewöhnt. "Ich muss mit dem überzeugen, was ich sage, das Alter spielt dabei keine Rolle.” Am Anfang, sagt er, habe er sich etwas unter Beobachtung gefühlt, "aber das hat sich gelegt. Ich bin nicht der Typ, der vor Ehrfurcht erstarrt.”

Und mit der Zeit bleibt für ihn von jeder Aufsichtsratssitzung das übrig, was es ist, "eine nüchterne Veranstaltung zur Kontrolle der Vorstände und zum möglichst hohen Nutzen für die Arbeitnehmerseite.”

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