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ERNESTO KLENGEL ist Referent für Arbeitsrecht am HSI der Hans-Böckler-Stiftung. Magazin Mitbestimmung

: Ist das EuGH-Urteil zur Erfassung der Arbeitszeit ein Fortschritt?

Ausgabe 04/2019

Ja - sagt Ernesto Klengel, Referent für Arbeitsrecht am HSI der Hans-Böckler-Stiftung. Nein - sagt Indra Hadeler, stellvertretende Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall.

Ja - sagt Ernesto Klengel, Referent für Arbeitsrecht am HSI der Hans-Böckler-Stiftung.

Ja. Die Begrenzung der Arbeitszeit ist in der EU-Grundrechtecharta verankert. Obwohl das EU-Recht flexibles Arbeiten zulässt, werden die Regelungen zur Höchstarbeitszeit und zu Ruhezeiten in der Arbeitswelt häufig verletzt. Der Europäische Gerichtshof hält daher ein objektives und verlässliches System zur Erfassung der Arbeitszeit für erforderlich. 

Die Logik des Urteils ist bestechend einfach: Damit die Einhaltung der Arbeitszeit besser überwacht werden kann, muss die Arbeitszeit zuverlässig dokumentiert werden. Der EuGH reagiert damit auch auf neue Anforderungen der modernen Arbeitswelt: Gerade wo Arbeitszeiten flexibel sind, ist die Dokumentation zu Zwecken des Nachweises unumgänglich. Sie erleichtert es, Arbeits- und Privatleben besser voneinander abzugrenzen und so auch einen Beitrag zu leisten, insbesondere die besorgniserregend hohen Zahlen psychischer Erkrankungen zu verringern.

Schon heute zeigen intelligente Vereinbarungen in vielen Betrieben, dass keine Rückkehr zur Stechuhr droht. Wo es keine Lösungen gibt, bedeutet Arbeitszeitsouveränität jedoch zu oft, dass Beschäftigte Arbeitszeitstandards außer Acht lassen, damit sie das geforderte Arbeitspensum schaffen. Häufig geschieht dies mit stillschweigender oder sogar ausdrücklicher Billigung des Arbeitgebers. Wenn es das EuGH-Urteil Beschäftigten erleichtert, sich effektiv auf die geltenden Arbeitszeiten zu berufen, ist deshalb viel gewonnen.


Nein - sagt Indra Hadeler, stellvertretende Geschäftsführerin des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall.

Nein. Zwar ist auf Gewerkschaftsseite großer Jubel über das Urteil des EuGH zu hören. Doch das verwundert, denn den Interessen der Beschäftigten dient der Richterspruch nicht. Seit Jahren nimmt der Trend zur Vertrauensarbeitszeit zu. Dabei steht nicht mehr die zeitliche Präsenz im Unternehmen im Vordergrund, sondern die Erledigung vereinbarter Aufgaben. 

Immer mehr Betriebsvereinbarungen zu mobiler Arbeit werden abgeschlossen; auch in der Metall- und Elektroindustrie mit ihren über vier Millionen Beschäftigten wurden dazu tarifliche Rahmenbedingungen geschaffen. Eine minutengenaue Erfassung der Arbeitszeit macht jede Form der Vertrauensarbeitszeit zunichte – ein nicht zu erklärender Anachronismus. 

Warum verursacht diese Entscheidung im restlichen Europa trotzdem deutlich weniger Aufregung als in Deutschland? Der EuGH hat in seinem Urteil ausdrücklich auf die Ausnahmen der Arbeitszeitrichtlinie hingewiesen, wonach abweichende Regelungen möglich sind, wenn die Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit selbst festlegen können. Diese Ausnahmen wurden bereits in viele nationale Arbeitszeitordnungen aufgenommen. 

Das wäre auch ein vernünftiger Ansatz für den deutschen Gesetzgeber – und eher im Sinne eines in die Zukunft gerichteten Umgangs mit dem Thema. Es wäre auch sicherlich eher im Sinne der Beschäftigten als eine minutengenaue Erfassung und Kontrolle der Arbeitszeit.

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