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Magazin Mitbestimmung

: INTERVIEW 'Unzufriedenheit kann mobilisieren'

Ausgabe 04/2009

Martina Gille, Wissenschaftlerin am Deutschen Jugendinstitut (DJI), erklärt, warum Arbeit als Thema für junge Menschen immer wichtiger wird, Gewerkschaften aber nur bedingt davon profitieren.

Das Gespräch führte DOMINIK REINLE/Foto: DJI

Frau Gille, warum haben es Gewerkschaften bei Jugendlichen eher schwer?
Die Lebenszeit, die wir als Jugendphase bezeichnen, hat sich ausgedehnt. Jugendliche bleiben länger in der Ausbildung und treten erst später ins Berufsleben ein - teilweise erst im dritten Lebensjahrzehnt. Gewerkschaften werden aber für junge Erwachsene erst interessant, wenn sie selbst im Arbeitsleben stehen. Zum anderen hat sich die Arbeitswelt verändert. Es gibt weniger klassische Arbeiterberufe, mehr Jobwechsel. Das betrifft Jugendliche stärker als Erwachsene.

Wie wirkt die aktuelle Krise auf Jugendliche?
Die Sorge um die eigene Zukunft und den Arbeitsplatz ist bei Jugendlichen sehr groß. Das Thema Arbeitsplatzsicherheit ist mittlerweile wichtiger als Umweltschutz. Generell kann man sagen, dass die Jugendlichen immer unzufriedener mit der Demokratie sind, so wie sie in der Bundesrepublik funktioniert. Diese Unzufriedenheit führt aber nicht dazu, dass sich die Jugendlichen vom öffentlichen Leben zurückziehen.

Können die Gewerkschaften davon profitieren?
Skepsis und Unzufriedenheit wirken durchaus mobilisierend. Die Frage ist allerdings, wie die Gewerkschaften dieses Potenzial nutzen. Es ist bedenklich, wenn einerseits die Bedeutung der Gewerkschaften gesamtgesellschaftlich über Jahre zurückgegangen ist, obwohl andererseits die Erwerbsarbeit immer wichtiger wird. Es ist paradox, wenn ausgerechnet jene Organisationen, die sich um die Interessen der Erwerbstätigen kümmern, an Einfluss verlieren, wenn gleichzeitig die Zahl der Erwerbspersonen zunimmt und Arbeit im Leben der Menschen immer wichtiger wird.

Auch Gruppierungen wie Attac oder Greenpeace bemühen sich um junge Leute. Sind sie attraktiver?
Diese Gruppen haben alle zusammen etwa gleich viele junge Mitglieder wie die Gewerkschaften. Sie unterscheiden sich in der Verbindlichkeit, der Hierarchie und der Art der Aktionen. Das Engagement ist meist zeitlich befristet und nicht unbedingt an Mitgliedsbeiträge gebunden. Das ist offenbar attraktiv für junge Leute. Möglicherweise können Gewerkschaften mehr Jugendliche ansprechen, wenn diese nicht Mitglied werden müssen und sich trotzdem beteiligen können.

Wovon hängt es noch ab, ob Gewerkschaften attraktiv sind?
Davon, ob sie wirklich die Interessen der jungen Generation vertreten. Sie müssen neue Trends wie die Informationsgesellschaft oder die Zunahme kurzfristiger Beschäftigungsverhältnisse nicht nur erkennen, sondern auch die davon betroffenen Beschäftigten erreichen. Das gelingt ihnen nicht immer.

Können Sie uns ein Beispiel nennen?
Im öffentlichen Dienst haben die Gewerkschaften Tarifverträge ausgehandelt, die der Situation junger Wissenschaftler nicht gerecht werden. Diese bekommen meist nur befristete Arbeitsverträge. Da für die Besoldungsstufe die Anzahl der Beschäftigungsjahre pro Stelle relevant ist, fängt ein junger Wissenschaftler, der öfter die Stelle wechseln muss, unter Umständen wieder als Berufsanfänger an. Da ist es kein Wunder, wenn junge Wissenschaftler nicht in eine Gewerkschaft eintreten.

Bei den jungen Gewerkschaftern gibt es mehr als doppelt so viele Männer wie Frauen. Woran liegt das?
Mädchen und Frauen sind in Organisationen, die feste Strukturen haben und auf Mitgliedschaften aufbauen, generell unterrepräsentiert. Bei den Gewerkschaften verstärkt die Arbeitswelt diesen Trend noch. Junge Männer sind sehr viel stärker als Frauen im dualen Ausbildungssystem vertreten. Sie sind eher im industriellen und handwerklichen Sektor beschäftigt und damit näher an den Arbeitsbereichen, die von Gewerkschaften erfasst werden. Junge Frauen hingegen sind vermehrt im weniger organisierten Dienstleistungs- und im Gesundheitssektor tätig.

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