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JANUSZ EICHENDORFF, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats in Werkshalle mit Fahrzeug Magazin Mitbestimmung

Betriebsrätepreis: Gute Reise mit KI

Ausgabe 05/2025

Der Konzernbetriebsrat beim Wohnmobilhersteller Hymer hat eine preisverdächtige Betriebsvereinbarung zu Künstlicher Intelligenz (KI) ausgehandelt. Gleichzeitig gibt es Konflikte mit dem Arbeitgeber. Von Stefan Scheytt

Der Marketingchef des Wohnmobilherstellers Hymer ließ sich mit den Worten zitieren: „Ich hätte nicht gedacht, dass ich unsere alten Modelle noch mal so erleben kann.“ Anlass waren Bilder, die Hymer-Oldtimer und brandneue Modelle in einer Reihe zeigten, obwohl sie nie nebeneinander gestanden hatten. Doch Fotos von den alten Fahrzeugen im Verbund mit Künstlicher Intelligenz (KI) machten dies möglich. Nicht nur für Marketingzwecke nutzt das Unternehmen aus dem Oberschwäbischen KI. In der Verwaltung und der Entwicklung ist sie auch längst angekommen, etwa als KI-gestützte Assistenz in der Firmensoftware.

Der Konzernbetriebsratsvorsitzende Janusz Eichendorff findet das grundsätzlich gut. „KI ist eine Chance, sie kann Menschen und Unternehmen dienen.“ Aber er wolle sicherstellen, dass KI „niemals Menschen schadet, ihre Jobs gefährdet oder Macht über relevante Entscheidungen bekommt“. So sollen auch Jobs gesichert bleiben, an die KI noch nicht herankommt, wie etwa in der Hymer-Produktion. „Dort bauen hoch qualifizierte Beschäftigte Möbel in Fahrzeuge. Sie kleben, nieten, verkleiden, nähen Lederpolster – es gibt keine Roboter, die das machen“, sagt Eichendorff.

Daher hat der Betriebsrat frühzeitig mit dem Arbeitgeber eine Übereinkunft zu KI-Systemen geschlossen. Für die Rahmenkonzernbetriebsvereinbarung wurde das Gremium  im November beim Deutschen Betriebsrätepreis 2025 des Bund-Verlags in der Kategorie „KI“ ausgezeichnet. 

So eine Vereinbarung bekommt man nicht durch Lächeln.“

JANUSZ EICHENDORFF, Vorsitzender des Konzernbetriebsrats

Prominente Hilfe

Beraten wurde Eichendorff von Wolfgang Däubler. Über die Vereinbarung sagt der der bekannte Arbeitsrechtler: „Sie begnügt sich nicht mit abstrakten Verlautbarungen, sondern bringt konkrete Rechte.“ So sind KI-Systeme zur Verhaltens- und Leistungskontrolle der Beschäftigten grundsätzlich verboten. Eine hohe Hürde für KI baut die Vereinbarung auch in der Personalabteilung auf: Sie darf KI bei der Auswahl und der Einstellung von Bewerberinnen und Bewerbern sowie bei Entscheidungen über Arbeitsverhältnisse oder Beförderungen nur dann einsetzen, wenn der Betriebsrat zugestimmt oder eine Einigungsstelle so entschieden hat.

Zudem muss das Unternehmen vor jeder Einführung eines KI-Systems und auch vor jeder Änderung einen umfangreichen Fragenkatalog beantworten. „Das klingt zunächst harmlos“, sagt Arbeitsrechtler Däubler, „aber so erzwingt man umfassende Informationen darüber, wofür ein KI-System eingesetzt werden soll, und wo seine Risiken liegen.“ Und weil dann immer noch Fragen offenbleiben können, darf der Betriebsrat KI-Sachverständige hinzuziehen – im Einzelfall sogar noch länger als die vereinbarten 180 Stunden pro Jahr.

Die Vereinbarung sieht bei Bedarf auch einen paritätisch besetzten Ausschuss für KI-Themen vor. Dies entlastet den Betriebsrat von allzu kleinteiligen Entscheidungen. Und schließlich sichert Hymer zu, die KI-Kompetenz der Beschäftigten durch Schulungen zu gewährleisten und Beschäftigte mit Behinderungen durch KI zu unterstützen, etwa durch Assistenzsysteme wie Lesehilfen. Das alles gehe weit über das hinaus, was in anderen Betrieben durchsetzbar sei, sagt Arbeitsrechtler Däubler.

„Dafür loben wir den Arbeitgeber ausdrücklich“, sagt Eichendorff, der ansonsten keinem Konflikt mit der anderen Seite aus dem Weg geht. „So eine Vereinbarung bekommt man nicht durch Lächeln.“ Der 55-Jährige verweist auf die kampferprobte und stark organisierte Belegschaft des Unternehmens. Seit 2019 ist Hymer eine 100-prozentige Tochter des US-amerikanischen Branchenriesen Thor Industries. Als solche steuerte die Erwin Hymer Group im Finanzjahr 2023/24 mit knapp 8900 Beschäftigten und rund 55 000 verkauften Fahrzeugen drei Milliarden Euro zum Gesamtumsatz bei. Damit erzielte das Unternehmen den höchsten Umsatz seiner Unternehmensgeschichte. Zuletzt allerdings waren in der Branche wieder Rückschläge zu verkraften – der Corona-Boom flaut ab.

Eine Konfliktpartnerschaft

Nicht immer geht es harmonisch bei Hymer zu. Laut IG Metall gab es schon mehrere Gerichtsverfahren in der Auseinandersetzung mit dem Arbeitgeber. Zu den bekanntesten zählt eines um Janusz Eichendorff selbst: Vor zwei Jahren gruppierte ihn das Unternehmen um fast 50 Prozent ab; Hymer stufte ihn in die Lohngruppe zurück, in der er bis zu seiner Wahl als Betriebsrat 2006 noch als Wohnmobilbauer gearbeitet hatte. Anfang sieses Jahres stimmte Eichendorff schließlich einem Vergleichsvorschlag des Landesarbeitsgerichts zu.

„Die wollen mich loshaben. Der Druck ist enorm, aber ich lass mich nicht verjagen“, sagt Eichendorff, der als junger Kunsthandwerker aus Schlesien vor 35 Jahren zu Hymer kam. Umso bemerkenswerter ist sein bereits preisgekrönter Einsatz als SE-Betriebsratsvorsitzender für die Geschlossenheit der europäischen Hymer-Werke in fünf Ländern und für die KI-Vereinbarung, die jetzt auf der Shortlist zum Betriebsrätepreis steht. „Darauf sind wir mächtig stolz“, sagt Janusz Eichendorff.

Mehr zum Thema:

Der Deutsche Betriebsrätepreis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxisbeispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. Von mehr als 60 Bewerbungen wurden für 2025 zwölf Projekte nominiert, darunter  das Projekt des Konzernbetriebsrats beim Wohnmobilhersteller Hymer, das dafür beim Betriebsrätetag am 6. November in Bonn die Auszeichnung in der Sonderkategorie „KI“ erhielt.

Mehr über die nominierten Betriebsräte auf der Seite des I.M.U. zum Betriebsrätepreis 2025.

Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung bietet ein Archiv mit zahlreichen Betriebsvereinbarungen.

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