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Magazin Mitbestimmung

: EXLUSIV Die Randbelegschaft der Telekom

Ausgabe 12/2006

Ein Vivento-Porträt



Vivento ist ein Kunstwort, angelehnt an die lateinischen Worte für Leben ("vivere") und Wind ("vento"). Dahinter verbirgt sich ein einzigartiges Konzept: Telekom-Mitarbeiter bauen sich selbst ab - bei vollem Gehalt und mit der Aussicht auf einen Dauer-Arbeitsplatz.


Die Deutsche Telekom AG gilt als Paradebeispiel für die Umwandlung einer Bundesbehörde in eine global agierende Aktiengesellschaft - sagt die Consulting-Firma McKinsey. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die Telekom massiv Arbeitsplätze abgebaut. Seit ihrer Privatisierung im Jahr 1995 sind bisher rund 110 000 Stellen gestrichen worden. Zur Sicherung der Konkurrenzfähigkeit des Konzerns sollen auch weiterhin Jobs wegfallen.

Tarifvertrag mit ver.di

Zuständig für die Arbeitsplatz-Reduzierung ist seit 1996 Telekom-Personalvorstand Heinz Klinkhammer. Zunächst setzt er auf die klassischen Personalinstrumente: Abfindungen, Vorruhestandsregelungen und die Nichtbesetzung offener Stellen. Als sich der Personalabbau in der angestrebten Dimension nicht sozialverträglich bewältigen lässt, entwickelt Klinkhammer ein neues Instrument: die "Personal-Service-Agentur Telekom" (PSA Telekom).

Basis für das neue Konzept ist der Tarifvertrag "Rationalisierungsschutz und Beschäftigungssicherung" (TV Ratio), den die Telekom und die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di) im Juli 2002 abschließen. Kurz darauf nimmt die PSA im August ihre Tätigkeit auf. Gut ein Jahr später wird die Agentur in Vivento umbenannt.

Leih- und Zeitarbeit

Der Telekom-Betrieb Vivento hat seinen Sitz in Bonn und versteht sich als Spezialist in den Bereichen Personalvermittlung und Zeitarbeit: "Ihr Partner für Outsourcing, Projektmanagement und Fachpersonal" lautet die Werbebotschaft an potenzielle Kunden. Vivento versteht sich nach eigenen Angaben nicht als Auffang- oder Beschäftigungsgesellschaft, sondern als "Dienstleister", der für die Telekom den Personalüberhang bewältigt. Ziel von Vivento ist es, Telekom-Mitarbeiter auf neue Dauer-Arbeitsplätze zu vermitteln - vorwiegend außerhalb, aber auch innerhalb des Konzerns, so die Vivento-Geschäftsführung.

Bis es mit dem Dauer-Arbeitsplatz klappt, sind Zeit- und Leiharbeitseinsätze möglich. Diese Einsätze können in der Telekom, in der Wirtschaft oder im Öffentlichen Dienst erfolgen. Dafür werden Vivento-Mitarbeiter bei Bedarf entsprechend qualifiziert. Eingesetzt werden sie zum Beispiel bei der Umsetzung der Hartz-IV-Reform, der Einführung der doppelten Buchführung im kommunalen Haushaltswesen oder der unabhängigen Energieberatung.

Vivento-Beschäftigte sind ebenfalls an der Realisierung der elektronischen Gesundheitskarte beteiligt. Laut Vivento-Sprecher Dirk Schulte sind im September 2006 von den in Beschäftigung befindlichen Mitarbeitern 23 Prozent im Öffentlichen Dienst und ein Prozent in der Wirtschaft eingesetzt. Der überwiegende Teil sei im Konzern selbst tätig.

Geschäftsmodelle

Ein weiteres, zentrales Vivento-Geschäftsfeld ist der Aufbau von so genannten Geschäftsmodellen. Diese Geschäfte sollen mit einer größeren Anzahl von Mitarbeitern betrieben werden und eigenständig am Markt auftreten. Ist die Marktfähigkeit erreicht, werden die Geschäftsmodelle zusammen mit den geschaffenen Stellen verkauft. Bis Ende 2008 sollen so für 7000 Mitarbeiter Arbeitsplätze außerhalb der Telekom gesichert werden.

Zu diesem Zweck sind 2004 zwei Tochterunternehmen gegründet worden: Die Vivento Customer Services GmbH (VCS), die sich um Kundenbeziehungen von Firmen und Behörden kümmert und Callcenter betreut, und die Vivento Technical-Services GmbH (VTS), die Leistungen rund um die technische Infrastruktur von Fest- und Mobilfunknetzen anbietet. Beide Gesellschaften sind 100-prozentige Telekom-Töchter.

Auswahlverfahren

Welche Telekom-Mitarbeiter zu Vivento wechseln müssen, wird im so genannten Clearing-I-Verfahren festgelegt. Der Ablauf ist im TV Ratio vereinbart. Die Auswahl wird in der Telekom durch eine Clearingstelle vorgenommen, die paritätisch mit Arbeitgebervertretern und Mitgliedern des Telekom-Betriebsrates besetzt ist. Kommt es zu keiner Einigung, entscheidet der Arbeitgeber allein über die Auswahl. Zu den Auswahlkriterien gehören Leistung, Alter und soziale Gesichtspunkte wie unterhaltspflichtige Kinder oder pflegebedürftige Angehörigen.

Wird eine Telekom-Abteilung verkleinert, werden im ersten Schritt Alterskategorien gebildet und die Anzahl der wegfallenden Stellen proportional auf diese Kategorien umgelegt. Damit soll verhindert werden, dass nur ältere oder nur jüngere Arbeitnehmer versetzt werden. Im zweiten Schritt werden innerhalb der Alterskategorien die Mitarbeiter aufgrund ihrer letzten, durch den Arbeitgeber vorgenommenen Leistungsbeurteilung in zwei Leistungskategorien aufgeteilt: "Die Leister liegen mit ihrer Bewertung über dem Durchschnitt, die Minderleister darunter", sagt Vivento-Sprecher Schulte.

Damit die Telekom-Tochter kein Sammelbecken von "Minderleistern" werde, bestehe das Personal, das zu Vivento wechsele, zu 50 Prozent aus "Leistern" und zu 50 Prozent aus "Minderleistern". Wird eine Telekom-Abteilung ganz geschlossen, spricht man von "Vollbetroffenheit". Dann müssen alle Mitarbeiter zu Vivento wechseln.

Das Clearing-II-Verfahren findet innerhalb von Vivento statt. Es geht um die Entscheidung, auf welche Dauer-Arbeitsplätze Mitarbeiter vermittelt werden. Dieses Verfahren ist ebenfalls im TV Ratio festgelegt und wird - unter Beteiligung des Vivento-Betriebsrates - von einer paritätisch besetzten Clearingstelle durchgeführt. Auch hier hat der Arbeitgeber das letzte Wort. Für die Vermittlung existiert eine Prioritätenliste: Zunächst muss die Telekom Arbeitsplätze innerhalb des Konzerns anbieten. Erst wenn eine interne Vermittlung nicht möglich ist, können auch Jobs externer Firmen angeboten werden. Ein Dauer-Arbeitsplatz muss gleichwertig und zumutbar sein.

Belegschaft

Die Vivento-Belegschaft besteht je zur Hälfte aus Beamten und Angestellten, die von der Telekom in die Personal-Service-Agentur gewechselt sind. Die Beschäftigten sind in so genannte Stamm- und Transferkräfte unterteilt. Die Stammkräfte sind als Vermittler tätig und betreuen ihre ehemaligen Telekom-Kollegen, die als Transferkräfte auf Arbeitssuche sind.

Vivento hat Ende September 2006 rund 14 800 Mitarbeiter, davon sind rund 700 Stammkräfte. Von den rund 14 100 Transferkräften sind rund 8000 Beschäftigte in den Vivento-Business-Lines VCS und VTS sowie in weiteren Geschäftsprojekten untergebracht. Rund 100 Mitarbeiter absolvieren Trainings. Von den restlichen rund 6000 Transfermitarbeitern befinden sich zu diesem Zeitpunkt rund 4100 in Leih- und Zeitarbeitsverhältnissen. Rund 1900 Vivento-Mitarbeiter sind also ohne Beschäftigung. Die Beschäftigungsquote der Transferkräfte beträgt damit rund 86 Prozent.

Diese Zahl umfasst die Mitarbeiter in Beschäftigung und in Qualifizierungsmaßnahmen. "Wesentlichen Anteil daran hat die konsequente und erfolgreiche Personalisierung der Vivento-Business-Lines", heißt es im Konzern-Zwischenbericht 2006: VCS verfügt Ende Juni 2006 über rund 3300 Mitarbeiter, weitere rund 300 Vivento-Mitarbeiter sind zum Stichtag in Zeit- und Leiharbeit beschäftigt. VTS hat zu diesem Zeitpunkt rund 2000 Mitarbeiter und rund 400 Vivento-Mitarbeiter in Leih- und Zeitarbeit.

Ein Viertel der Vivento-Mitarbeiter stammt aus technischen Berufen, 22 Prozent kommen aus dem Vertrieb, 30 Prozent aus Verwaltungsberufen und rund fünf Prozent aus IT, Forschung und Entwicklung. Vivento verfügt im Oktober 2006 neben der Zentrale in Bonn über acht bundesweite Standorte (Berlin, Hamburg, Leipzig, Hannover, Düsseldorf, Stuttgart, Frankfurt und München) mit 67 Vermittlungsbüros.

Seit der Gründung haben bis Ende September 2006 insgesamt rund 36 200 Telekom-Beschäftigte zu Vivento gewechselt und rund 21 500 den Betrieb wieder verlassen. Seit der Wahl im Mai 2006 hat der Betriebsrat 35 Mitglieder - die Zahl schwankt mit den Belegschaftszahlen.

Finanzen

Solange Transferkräfte nicht eingesetzt werden, erhalten sie 85 Prozent ihres Telekom-Gehaltes. Sind sie in Projekten tätig, bekommen sie über eine Einsatzzulage ihr volles Entgelt. Diese Regelung gilt für Angestellte. Beamte erhalten hingegen ihre volle Besoldung - auch wenn sie zu Hause sitzen müssen. Für die Zeit- und Leiharbeitseinsätze der Transferkräfte erhält Vivento von den ausleihenden Firmen und Behörden so genannte Deckungsbeiträge, die allerdings die Kosten der Personal-Service-Agentur nicht decken. Das Defizit wird vollständig von der Telekom übernommen.

Pro Jahr kostet Vivento rund eine Milliarde Euro, wie der damalige Telekom-Vorstandschef Kai-Uwe Ricke 2004 der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung gesagt hat. Aktuelle Zahlen will Vivento-Sprecher Schulte nicht nennen. Im Unterschied zu Transfergesellschaften, die im Rahmen von Hartz IV entstehen, erhält Vivento keine staatlichen Beihilfen oder sonstige Förderungen. Geführt wird Vivento seit Juli 2003 von Dietmar Welslau, der seit September 2006 auch T-Com-Personalvorstand ist.

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