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Magazin Mitbestimmung

Finanzverwaltung: Eingesparte Steuereintreiber

Ausgabe 06/2013

Die Personalnot an den Finanzämtern ist enorm. Personalräte von ver.di kritisieren das seit Jahren. Doch Abhilfe ist nicht in Sicht: Die Länder schaffen es nach jahrelangen Sparrunden nicht mal mehr, ausreichend Fachkräfte auszubilden. Von Andreas Kraft

Die Flut ist kaum zu bewältigen. An einem durchschnittlichen Tag landen auf dem Schreibtisch eines Beamten der Berliner Steuerverwaltung gut 100 Schriftstücke: E-Mails oder Briefe mit Nachfragen, Einsprüchen, Beschwerden; zudem Steuererklärungen, Voranmeldungen, Kontrollmitteilungen. „All das muss irgendwie bearbeitet werden“, sagt Klaus-Dieter Gössel, stellvertretender Personalratsvorsitzender der Berliner Finanzämter. „Die eigentliche Arbeit, die Bearbeitung von Steuer­erklärungen, tritt dabei in den Hintergrund.“

Ihr fachliches Wissen können die Beamten kaum einbringen. Sie reagieren nur noch. Und zwar auf Hinweise des Risikomanagements des Gesamtcomputersystems der Steuerverwaltung. Die Software prüft eingegangene Steuererklärungen anhand bestimmter Kennziffern auf Plausibilität. Fällt dem Computer etwas auf, bekommt der Beamte einen Hinweis, etwa die abgesetzten Werbungskosten zu prüfen.

BESCHEID VON DER MASCHINE

Auch wenn dem Beamten ein offensichtlicher Fehler in der Steuererklärung auffällt, den der Computer nicht gefunden hat, dürfe er dem nicht nachgehen, sagt Gössel: „Es gibt in Berlin etliche Fälle, wo der Computer die Arbeit komplett übernommen hat und kein Beamter die Steuererklärung je sieht.“ Die Maschine erstellt den Bescheid ganz allein. Doch selbst in den Fällen, in denen die Software auf Auffälligkeiten hinweist, kommen die Beamten oft nicht weit. Sie müssen entscheiden, ob sie den Fall einfach so bearbeiten oder ob sie nachfragen – was Zeit kostet. Angesichts steigender Fallzahlen pro Finanzbeamten besteht kaum noch die Chance, intensiv in einen Fall einzusteigen.

„Und da entsteht der eigentliche Skandal“, sagt Gössel, der aus einer Arbeit in der Bundesfachkommission Steuer­verwaltung von ver.di und dem Austausch mit den Kollegen dort weiß, dass es in den übrigen Bundesländern ähnlich aussieht. Arbeitnehmer bekommen die Steuer direkt vom Lohn abgezogen. Ihre Steuerschuld können sie kaum reduzieren. Die Steuerpflichtigen, die etwa aus freiberuflicher Tätigkeit oder aus Vermietung einen Gewinn ermitteln, haben dagegen die Möglichkeit, ihre Ausgaben hoch- und die Einnahmen herunterzurechnen. „Ob sie das korrekt machen, kann aber kaum noch geprüft werden“, sagt Gössel. „Dass sie bei der Steuer so besser wegkommen als Arbeitnehmer, ist eine grundsätzliche Ungerechtigkeit.“

STRUKTURELL UNTERBESETZT

Bundesweit sind die meisten Finanzämter unterbesetzt. Die Länder ermitteln in umfangreichen Personalbedarfsberechnungen, wie viele Beamte sie für die anfallende Arbeit brauchen. Doch von diesen Stellen, die schon knapp bemessen sind, wird jede zehnte gar nicht erst im Haushalt veranschlagt. Die Rechnungshöfe kritisieren das regelmäßig. Die Finanzkontrolleure in Bayern haben etwa 2012 darauf hingewiesen, dass Steuerbeamte ein Vielfaches dessen einbringen, was sie kosten. „Personaleinsparmaßnahmen in der Steuerverwaltung dienen – anders als das Finanzministerium behauptet – gerade nicht der Haushaltskonsolidierung“, heißt es in ihrem Jahresbericht. „Mehreinnahmen der Steuerverwaltung schaffen Gestaltungsspielräume in anderen Bereichen oder zum Schuldenabbau.“

Baden-Württemberg ist aus der Personalbedarfsplanung komplett ausgestiegen. Unbesetzte Stellen zum Jahresende werden an Neujahr einfach aus der Stellenplanung gestrichen, berichtet Karl Striebel, Mitglied im Hauptpersonalrat des Finanz- und Wirtschaftsministeriums Baden-Württemberg und der Bundesfachkommission von ver.di. Zwischen 2001 und 2010 hat die damalige schwarz-gelbe Landesregierung 2000 Stellen in der Steuerverwaltung gestrichen. Man müsse sparen, hieß es. Bundesweit addiert sich die Zahl der fehlenden Stellen in der Finanzverwaltung auf inzwischen 11 000. Gründliche Betriebsprüfungen werden da zur Ausnahme. Kleinstbetriebe mit einem Reingewinn bis zu 36.000 Euro werden im Schnitt alle 96 Jahre geprüft, Kleinbetriebe mit einem Gewinn bis zu 190.000 Euro nur alle 29 Jahre. Am schlimmsten sei die Situation in Bayern, betont Werner Stupka: „Ein Drittel der Stellen bei Betriebsprüfern und Fahndern ist nicht besetzt“, sagt der Steuerfahnder aus Nürnberg. „Dabei betreiben nicht nur Großkonzerne, sondern auch mittelständische Unternehmen mittlerweile aggressive Steuer­planung.“ Elf Jahre blieben solche Mittelbetriebe im Schnitt ungeprüft. Verrechnungspreis-Manipulationen seien da kaum mehr nachzuweisen – oder ohnehin bereits verjährt. „Der Arbeitsdruck auch bei den Großbetriebsprüfern, die Konzerne unter die Lupe nehmen, ist dadurch immens.“ Die Finanzbeamten würden angehalten, nur eine Handvoll Prüfungsschwerpunkte abzuklopfen – die Steuerkanzleien verlegten sich auf andere Schlupflöcher. Hätten die Prüfer einmal die Muße, tiefer zu bohren, entpuppe sich die angeblich legale Steuergestaltung oft als illegale Trickserei, berichtet der ver.di-Mann.

Zu der strukturellen Unterbesetzung kommt verschärfend hinzu, dass die Finanzämter zwar neue Aufgaben bekommen, aber kein Personal dafür, wie Alfred Schäfftlein, stellvertretender Vorsitzender des Bezirkspersonalrats der Oberfinanzdirektion Niedersachsen und ebenfalls bei ver.di aktiv, kritisiert: „Die elektronische Lohnsteuerkarte bedeutet für uns einen Riesenaufwand“, sagt er. „Früher haben die Gemeinden die Lohnsteuerkarten ausgestellt. Sie hatten die Daten und das Personal.“

Die Kombination aus neuen Aufgaben, Personalnot und maschinell erstellten Arbeitsanweisungen führt nicht nur zu Frust bei den Beschäftigten. Die Personalräte beobachten auch, dass die psychischen Erkrankungen zunehmen. Striebel schätzt zudem, dass zumindest in Baden-Württemberg die Dunkelziffer hoch ist: „Die Kollegen haben einfach Angst vor der Frühpensionierung.“ Wer wegen psychischer Probleme drei Monate krankgeschrieben ist, muss zum Amtsarzt. Der begutachtet, ob der Beamte irgendwann wieder arbeiten kann. „Je jünger man da ist“, hat Striebel beobachtet, „desto schneller ist man im Ruhestand.“ Und von dem Ruhegeld könne man nicht leben.

Ein Ausweg aus dem Hamsterrad ist für die Beschäftigten derzeit nicht in Sicht. Zwar hat die neue grün-rote Landesregierung in Stuttgart angekündigt, 500 neue Stellen zu schaffen. Doch sie hat Probleme, genug geeignete Bewerber zu finden und die jungen Leute auch auszubilden. So hat die Hochschule für Finanzen in Ludwigsburg angesichts der Sparrunden ihre Raum- und Personalplanung für die Ausbildung heruntergefahren. Ähnlich ist die Situation in den anderen Bundesländern. Dieses Rad zurückzudrehen braucht Zeit. Derweil gehen dem Staat durch die Personalnot Jahr für Jahr zwölf Milliarden Euro verloren – vorsichtig geschätzt.

Die Politik tut sich schwer, das Problem anzufassen. Die finanzstarken Länder im Süden haben über einen laschen Steuervollzug auch ihren Mittelstand geschont. Frei nach der Logik: Das Geld soll doch lieber bei den Betrieben bleiben, als dass es über den Länderfinanzausgleich in den Norden geht. Und im Wahlkampf mehr Steuerbeamte zu fordern war bislang nicht gerade populär. Doch vielleicht ändert sich das ja bald.

 

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