zurück
Bei BMW ist Führung teilbar, auch dank des Einsatzes der Betriebsrätinnen Elisabeth Altmann-Rackl (l.) und Sonja Szicher. Magazin Mitbestimmung

Betriebsrätepreis: Doppelt führt besser

Ausgabe 05/2021

Der Betriebsrat beim Autobauer BMW ist für den Betriebsräte-Preis 2021 nominiert. Anlass ist eine Betriebsvereinbarung, die unter dem Begriff „Joint Leadership“ Chef-Tandems fördert und damit die Karrierechancen von Frauen verbessert. Von Stefan Scheytt

Warum nur einen Chef oder eine Chefin, wenn es auch zwei sein können? Das ist der Kern einer Betriebsvereinbarung, die der Betriebsrat von BMW in München im Oktober 2020 abschloss und für die er für den Betriebsräte-Preis 2021 nominiert wurde. Das Ziel der Vereinbarung: Führungspositionen öfter auf zwei Köpfe zu verteilen und gerade Frauen so bessere Karrierechancen zu eröffnen.

Dabei war Geschlechtergerechtigkeit gar nicht der Ausgangspunkt für die Vereinbarung. „Bei Veranstaltungen zum Thema Diversity gab es immer wieder Klagen über die Nachteile von Teilzeit“, berichtet Betriebsrätin Elisabeth Altmann-Rackl. Etwa darüber, dass die Teilzeit der Karriere einen Knick zufüge. „Das erleben auch Männer, aber in der Mehrzahl Frauen, weil sie sich aus familiären Gründen öfter für Teilzeit entscheiden“, sagt Altmann-Rackl. Entschärft wurde das Problem – zunächst noch unterhalb der Führungspositionen – durch die Möglichkeit, dass sich Kollegen eine Stelle teilen können, wenn sie gleichzeitig deren Stundenzahl erhöhen: So wird zum Beispiel aus einer 35- oder 40-Stunden-Vollzeitstelle eine, in die jeder Teilzeit-Kollege je 28 Stunden einbringt.

„Weil das so gut funktionierte, dachten wir: Warum nicht auch weiter oben auf den Führungspositionen? Warum nicht aus Jobsharing ‚Topsharing‘ machen?“ Elisabeth Altmann-Rackl erinnert sich an die Reaktion eines Personalverantwortlichen, der das rundweg ablehnte mit dem Argument, Führung sei nun mal nicht teilbar.

Ist sie doch, wie sich auch bei BMW inzwischen herausgestellt hat. In der Betriebsvereinbarung verpflichten sich beide Seiten, bis 2025 50 Chef-Tandems einzurichten. Und zwar in allen Unternehmensbereichen, von der Verwaltung und Entwicklung bis zu den Werken und zum Vertrieb. „Das Tandem muss nicht aus einem Mann und einer Frau bestehen, es können auch zwei Frauen oder zwei Männer sein“, erklärt Altmann-Rackl.

Seither kamen zu den schon bestehenden zwei Tandems 18 neue hinzu. „Gemessen am Ziel von 50 Tandems bis 2025 ist das ein Zuspruch, mit dem weder wir noch der Arbeitgeber gerechnet haben“, sagt Elisabeth Altmann-Rackl. Das jüngste Führungstandem aus zwei Industriemeisterinnen im Werkstattbereich, die eine mit viel Erfahrung und schon länger in Teilzeit, die andere eine junge Frau, die aus der Elternzeit zurückkehrte, ist startbereit. Nicht weniger interessant das Tandem, das entstand, als ausgerechnet ein Abteilungsleiter aus der Personalabteilung Anfang 2021 in Teilzeit ging und nun mit einer Kollegin ein Führungsduo bildet.

Vorteile liegen auf der Hand

Für Betriebsrätin Sonja Szicher, die selbst in Teilzeit arbeitet, liegt der Mehrwert für alle Beteiligten auf der Hand. „Weil es zwei Menschen auf einer Stelle sind, profitiert das Unternehmen von so viel Know-how und geballter Kompetenz, wie sie eine einzelne Person wohl selten vereint“, argumentiert Szicher. Einen Mehrwert für Unternehmen und Beschäftigte sieht sie auch in Senior-Junior-Konstellationen wie dem neuen Tandem der Industriemeisterinnen, weil so quasi organisch Personalentwicklung für Nachwuchskräfte in Führungspositionen betrieben wird. Umgekehrt könne das Modell verhindern, dass Führungskräfte, die auf ihrer Solo-Vollzeitstelle schon lange am Limit arbeiten, irgendwann frustriert abspringen.

Szicher nennt noch einen weiteren interessanten Aspekt: Für Beschäftigte von Tandems erhöhe sich die Objektivität bei der Leistungsbeurteilung: „Weil zwei Chefs auf einen Arbeitnehmer schauen, relativiert sich der Nasenfaktor.“ Nicht zu unterschätzen sei schließlich auch der Schub für die Attraktivität von BMW bei jungen Fachkräften. „In den einschlägigen Netzwerken ist das Bedürfnis nach solchen Angeboten nicht zu übersehen. Junge Beschäftigte erwarten eine bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, weiß Szicher.

Die Betriebsrätinnen vom Team IG Metall sprechen von einem regelrechten „Kulturwandel“ durch den Abschied von der Mär von der unteilbaren Führung. Insofern überrascht es nicht, dass BMW diesen Wandel zunächst nur in einem internen Papier festschreiben wollte, wie Elisabeth Altmann-Rackl berichtet. „Wir wollten aber echte Verbindlichkeit und bestanden auf einer Betriebsvereinbarung.“ In der steht nicht nur, dass beim Abgang eines Tandem-Chefs der verbleibende Partner ein Vorschlagsrecht hat, sondern auch eine Art Beweislastumkehr: Bei jeder ausgeschriebenen Führungsposition gilt nun automatisch, dass sie teilzeitfähig ist, es sei denn, der Arbeitgeber kann begründen, warum das im vorliegenden Fall nicht gilt. „Führung zu teilen ist kein Makel mehr und muss in jeder Lebensphase möglich sein, auch beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit – für Frauen und Männer“, sagen die Betriebsrätinnen. „Für BMW ist das ein richtig großer Schritt in die richtige Richtung.“


Weitere Informationen:

Auf unserer Übersichtseite Deutscher Betriebsrätetag

Der Deutsche Betriebsrätepreis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxisbeispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. Er wird auf dem Deutschen Betriebsrätetag in Bonn verliehen, der in diesem Jahr vom 9. bis 11. November stattfindet.
www.betriebsraetetag.de

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen