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Magazin Mitbestimmung

: Der Markt als moralische Instanz

Ausgabe 10/2006

Sozial- und Nachhaltigkeitsberichte wecken zunehmend das Interesse von Investoren. Schon heute spielen solche Informationen eine wichtige Rolle bei der Berechnung von Markt- und Unternehmensrisiken.



Von Ulrike Sophia Trommer
Die Autorin ist Diplom-Politologin und lebt in Berlin.


Wirtschaftliche Tätigkeiten unterliegen heute mehr als jemals zuvor der Beobachtung durch eine weltweite Öffentlichkeit. Die Unternehmen sind gezwungen, sich verstärkt mit ethischen und nachhaltigkeitsorientierten Themen auseinanderzusetzen und berücksichtigen in zunehmendem Maße nichtfinanzielle Leistungskriterien in ihrer Geschäfts- und Kommunikationspolitik.

"Die Unternehmensberichterstattung kann heute nicht mehr nur über die reine Finanzberichterstattung abgedeckt werden", erklärt Wolfgang Sprißler, Chief Financial Officer bei der Bayerischen Hypo- und Vereinsbank AG. "Die Anforderungen unserer vielfältigen Stakeholder steigen, wir sind deshalb gefordert, auch bezüglich unserer sozialen und umweltbezogenen Auswirkungen Transparenz zu schaffen."

Die Idee eines Gleichgewichtes zwischen den Belangen der Wirtschaft, der Umwelt und der Gesellschaft, die in der öffentlichen Diskussion einen hohen Stellenwert hat, beschäftigt die Kommunikations- und Strategieabteilungen gleichermaßen, und die Unternehmen kommunizieren sie - verdichtet zu griffigen Slogans - nach ihrem jeweils eigenen Verständnis: "Aus drei mach eins - das Prinzip Nachhaltigkeit" heißt es beim Energieriesen E.ON; der Pharmakonzern Schering wirbt mit dem Satz "Nachhaltigkeit ist Zukunftsfähigkeit", und HeidelbergCement erklärt: "Wir bauen auf Umweltschutz, weil Ökologie ökonomisch ist".

Solche Botschaften oder Claims sind nur die Spitze der Kommunikation - für die Darstellung ihrer umwelt- und gesellschaftsbezogenen Leistungen wählen die Unternehmen immer häufiger die Form eines eigenständigen Nachhaltigkeitsberichts. Die Zahl solcher Publikationen ist in den letzten Jahren rasant gestiegen. Auch die traditionellen Geschäftsberichte berücksichtigen zunehmend nichtfinanzielle Leistungen.

Eine ausführliche und transparente Nachhaltigkeitskommunikation ist sowohl bei solchen Unternehmen zu finden, die vermehrt im Interesse der Öffentlichkeit stehen, als auch bei Unternehmen, die eine ausgeprägte Kapitalmarktorientierung aufweisen. Nicht immer ist daher leicht zwischen reiner PR und Investor Relations zu unterscheiden - die inhaltlichen Parallelen und die formale Kongruenz zwischen den Geschäfts- und den Nachhaltigkeitsberichten deutscher Unternehmen sind nur ein Indiz dafür, dass die Nachhaltigkeitskommunikation sowohl in ihrem Ausdruck als auch in ihrer Funktion der Finanzkommunikation angenähert und angepasst worden ist.

Der wichtigste Auswahlindex der Deutschen Börse, der DAX, zählt heute nicht einmal mehr eine Handvoll Unternehmen, die noch keinen nachhaltigkeitsorientierten Bericht veröffentlichen. Ökologisch und sozial orientierte Unternehmensleistungen werden als Teil der Risiko- und Prognoseberichterstattung in den Geschäftsbericht integriert und für die Bewertung der Unternehmensperformance herangezogen.

Der Faktor Nachhaltigkeit ist von einem Modebegriff zu einem ernstzunehmenden Wirtschaftsfaktor avanciert. Galten Profit und Philanthropie bislang nicht nur als gegensätzliche, sondern als einander ausschließende Prinzipien, scheinen sich beide durch einen neuen Pragmatismus des Nachhaltigkeitsgedankens vereinbaren zu lassen. Denn es zeichnet sich ein Zusammenhang zwischen der ökonomischen Leistungsfähigkeit und der Nachhaltigkeitsorientierung eines Unternehmens ab.

Ausschlaggebend dafür ist aber weder ein gestiegener Handlungsdruck aufgrund politischer Vorgaben oder gesellschaftlicher Initiativen noch ein plötzlicher Anflug von Moralität - vielmehr erfolgt das Bekenntnis zu einer nachhaltigen Entwicklung ganz offensichtlich aus ökonomischer Rationalität.

"Eine starke Börse kann eben kein Klub für ethische Kultur sein, und die Kapitalien der großen Banken sind so wenig Wohlfahrtseinrichtungen wie Flinten und Kanonen es sind" - dieses berühmte Wort Max Webers aus dem Jahr 1894 muss aus heutiger Sicht differenzierter betrachtet werden. Zwar bleibt der Markt eine per se amoralische Instanz, dennoch ist auf den internationalen Finanz- und Kapitalmärkten wie auch auf den Güter- und Absatzmärkten eine zunehmende Berücksichtigung nachhaltigkeitsorientierter Leistungsindikatoren zu beobachten.

Der Kapitalmarkt vollzieht den gesellschaftlichen Wandel nach

Verantwortlich dafür ist ein Prozess des Umdenkens bei den Verantwortlichen in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft: Die Unternehmen haben erkannt, dass die Integration umwelt- und gesellschaftspolitischer Faktoren ein maßgebliches Kriterium dafür ist, die gestiegenen Anforderungen einer globalen Wirtschaftstätigkeit zu erfüllen und in einer Ökonomie der Aufmerksamkeit weiterhin wahrgenommen zu werden. Dabei wird die Verbindung ökonomischer, ökologischer und sozialer Ziele gleich mehrfach honoriert: von Politik und Öffentlichkeit - dem Meinungsmarkt - von den Konsumenten - dem Absatzmarkt - und nicht zuletzt auch von der Börse - dem Kapitalmarkt.

Hier und da mag das Umsteuern Richtung Nachhaltigkeit eine Präventivmaßnahme sein, um einer rigideren Gesetzgebung und öffentlichen Ansprüchen zuvorzukommen. Doch die Verbindung ethischer und nachhaltigkeitsorientierter Themen mit der eigentlichen Geschäftstätigkeit ermöglicht es im Sinne einer neuen Differenzierungs- und Profilierungsstrategie auch, die Glaubwürdigkeit der Unternehmen in der Öffentlichkeit, vor allem aber die Attraktivität und Akzeptanz ihrer Produkte und Dienstleistungen bei den Kunden, Konsumenten und Geschäftspartnern zu erhöhen.

So wird das Engagement in Sachen Nachhaltigkeit zunehmend eingesetzt, um Vertrauen zu gewinnen und öffentlicher Kritik an Unternehmen und Marken vorzubeugen. Die Bayer AG erklärt in diesem Zusammenhang, ihr Einsatz für gesellschaftliche Belange sei "kein reiner Selbstzweck. Neben der Förderung des Allgemeinwohls verfolgen wir dabei durchaus auch unternehmerische Ziele - zum Beispiel eine Steigerung des Unternehmensimages."

Weitaus entscheidender aber ist das wachsende Interesse der internationalen Finanz- und Kapitalmärkte an der Umwelt- und Sozialperformance von Unternehmen. Ökologische und soziale Werte werden dabei in ökonomische Zielgrößen überführt, in die Sprache der Ökonomie übersetzt und in die Systemlogik der internationalen Finanz- und Kapitalmärkte integriert. Es scheint, als könne das unternehmerische Ziel einer kontinuierlichen Wertschöpfung zu Beginn des 21. Jahrhunderts nur durch die Ausweitung der Unternehmensstrategie um den Faktor Nachhaltigkeit erreicht werden.

Nachhaltiges Investment hat sich als ein neuer Stil der Investitionspolitik etabliert, der neben den klassischen Anlagekriterien Rendite, Risiko und Liquidität auch die ökologische und soziale Performance der Anlageobjekte berücksichtigt. Ziel und Besonderheit einer verstärkten Nachhaltigkeitskommunikation ist es, eine bestmögliche Messbarkeit und Vergleichbarkeit nachhaltigkeitsorientierter Leistungsindikatoren herzustellen - denn sie erleichtern die Aufnahme in Nachhaltigkeitsindizes und -fonds.

Zahlen des Sustainable Business Institute an der European Business School e.V. belegen: Das Volumen aller im deutschsprachigen Raum zugelassenen Nachhaltigkeitsfonds ist stark angewachsen und hat sich allein innerhalb des vergangenen Jahres annähernd verdoppelt. Bis Ende 2005 zählte das Institut 116 Publikumsfonds, die Nachhaltigkeitskriterien berücksichtigten und mit einem Anlagevolumen von insgesamt 9,2 Milliarden Euro aufwarten konnten - rund 4 Mrd. Euro mehr als noch 2004.

"Früher waren ethisch-ökologische Anleger absolute Freaks, heute sind das höchstens noch fünf Prozent", urteilt Robert Haßler, Vorstandsvorsitzender der oekom research AG. Und auch hierbei gilt ausnahmslos: Der Erfolg gibt ihnen Recht. Der weltweit ertragreichste Nachhaltigkeitsindex ist der Natur-Aktien-Index (NAI). Seit seiner Gründung im Jahre 1997 ist der NAI um 209 Prozent gestiegen. Zum Vergleich: Der konventionelle Weltindex MSCI World legte im selben Zeitraum nur um 42 Prozent, der DAX lediglich um 34 Prozent zu. Mehr Argumente benötigen Unternehmen und Investoren nicht, um nachhaltigkeitsorientierte Leistungen zu bilanzieren und zu berücksichtigen - das Einschwören auf ein gemeinsames Ziel und eine einheitliche Sprache gilt damit schnell.

Nachhaltigkeit muss sich für das Unternehmen auszahlen

Wohlklingende Stellungnahmen zur unternehmerischen Verantwortung, wie beispielsweise jene Tessen von Heydebrecks, Mitglied im Vorstand der Deutschen Bank AG, machen glauben, die Sorge der Unternehmen um das öffentliche Wohl sei grenzenlos. Zum Nachhaltigkeitskonzept seiner Bank erklärt er: "Das alles sind Engagements, die uns als Bank erden, die mithelfen, dass wir nicht in irgendwelche Sphären abheben und die wirklichen Bedürfnisse der Gesellschaft aus dem Blick verlieren." Doch für Jörg Tremmel, geschäftsführender Vorstand der Stiftung für die Rechte zukünftiger Generationen, offenbart sich in solchen Aussagen nur eine "semantische Verschleierung", die allein dazu diene, normative Ansprüche abzuwehren.

Die Hierarchie der Unternehmensziele selbst wird durch das Engagement für Nachhaltigkeit nicht verändert. Priorität hat der Markt - erst dann folgen ökologische und soziale Kriterien in Abhängigkeit von ihrer Marktrelevanz: "Unser Ziel bei allem, was wir tun", erklärt Andreas Kern, Vorstandsmitglied der HeidelbergCement AG, "ist es, eine nachhaltige Wertschöpfung zu erreichen." Der Erhalt des Unternehmens und das Gewinnstreben stehen stets im Vordergrund unternehmerischen Handelns.

"Dieses Ethos ergibt sich aus seinem unternehmerischen Eigentum und seiner Rolle in der Marktwirtschaft", gibt Patrick Adenauer, Präsident der Arbeitsgemeinschaft Selbstständiger Unternehmer e.V., zu bedenken, "sein oberster Imperativ lautet: Setze dein Eigentum so ein, dass es deinen Kunden, und damit auch dir selbst, maximalen Nutzen bietet." Der Unternehmer, so Adenauer weiter, sei ein "professioneller Knappheitsüberwinder", dessen zentraler Auftrag darin liege, "das Brot zu vermehren, nicht es - im Zeichen etwa der ‚sozialen Gerechtigkeit‘ - zu verteilen."

Ökologische und soziale Belange werden nur insoweit berücksichtigt, wie sie das ökonomische Bestreben fördern. "Umweltschutzmaßnahmen haben nur dann wirklich einen Sinn, wenn durch sie die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens gewahrt bleibt", bestätigt Dirk Feis, Umweltmanagementbeauftragter der ELMOS Semiconductor AG, die Halbleiter und integrierte Schaltungen für die Autoindustrie herstellt. Solche Aussagen sind Ausdruck einer funktionalen Unternehmensethik - hinter dem neuen Pragmatismus der Nachhaltigkeit verbirgt sich noch immer eine Philosophie des Mehrens und nicht eine des Teilens.

Doch gerade deswegen erweist sich der Finanzmarkt, der dem Modell eines idealen Marktes am nächsten kommt, unter diesem Paradigma als effizientester Weg zur Durchsetzung einer nachhaltigkeitsorientierten Bilanzierung und Berichterstattung von Unternehmen: Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken werden hier unmittelbar bewertet und spiegeln sich direkt im Aktienkurs und im Unternehmenswert wider.

Investitionen in Nachhaltigkeit leisten einen wichtigen Beitrag zur Vermeidung von Marktrisiken und somit zur Risikoprävention des Unternehmens insgesamt. Diese Verbesserung des Risikomanagements trägt auf der einen Seite zu einer Zunahme an Planungs- und Investitionssicherheit, auf der anderen Seite zu einer stabileren Kursentwicklung und folglich zu einer besseren Performance am Kapitalmarkt bei.

Eine Stellungnahme der Linde AG verdeutlicht diese Strategie: "Globale ökonomische, ökologische und gesellschaftliche Trends und Ereignisse sind Faktoren, die das Wettbewerbsumfeld weltweit tätiger Unternehmen in zunehmendem Maße bestimmen. Vor diesem Hintergrund hat sich die Linde AG entschieden, den langfristigen Shareholder Value durch eine Corporate Responsibility Strategie zu untermauern."

Vermeintliche Zielkonflikte zwischen der Orientierung an Aktionärsinteressen und der Nachhaltigkeitsorientierung von Unternehmen bestehen dieser Sichtweise zufolge nicht. Eine gute Umwelt- und Sozialperformance von Aktiengesellschaften, sofern auch sie unter Effektivitäts- und Effizienzkriterien erfolgt, bedeutet zugleich eine Verbesserung der Qualität des Gesamtmanagements und infolgedessen auch des Shareholder Value.

Dieser Behauptung einer Kongruenz der Interessen mag man kritisch gegenüberstehen - Tatsache ist, dass der Einfluss der internationalen Finanz- und Kapitalmärkte der entscheidende Hebel für die Bereitschaft deutscher Unternehmen zu einer ausgeprägten Nachhaltigkeitskommunikation ist. Er stellt das ausschlaggebende Anreizkriterium für eine verstärkte Nachhaltigkeitsorientierung dar. Ein Mehr an Moral geht vornehmlich mit einem Mehr an Wert einher. Das eigentliche Potenzial der Nachhaltigkeitskommunikation liegt darin, langfristig eine Modifikation der bisherigen Marktlogik herbeizuführen - schon die Kommunikation an sich beeinflusst die Umwelt und die Unternehmung, innerhalb derer sie sich abspielt.

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