zurück
Magazin Mitbestimmung

: Beamtenbund und ver.di - eine Tarifgemeinschaft

Ausgabe 04/2008

GEWERKSCHAFTSKOOPERATION Wie gelingt es ver.di, der GEW und der Polizeigewerkschaft mit der "tarifunion" des Deutschen Beamtenbundes an einem Strang zu ziehen? Ein Bericht über die Annäherung harter Konkurrenten.

Von MARTIN KEMPE, Journalist und bis Mitte 2007 Chefredakteur von ver.di-"Publik".

Unter dem Dach, im siebten Stockwerk der ver.di-Zentrale in Berlin gibt es einen Raum für Hintergrundgespräche - mit Sesseln rund um einen Couchtisch. Hier überlegten im Februar 2006 ein paar Leute, wie man die Blockadehaltung der Arbeitgeber in der Tarifauseinandersetzung mit den Bundesländern öffentlich skandalisieren könne. Denn trotz wochenlanger Streiks zeigte der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, der niedersächsische Finanzminister Hartmut Möllring, weder Interesse am Zustandekommen eines Kompromisses noch an Verhandlungen überhaupt.

Die Tarifpolitiker und Öffentlichkeitsarbeiter, die sich hier trafen, kamen aus vier gewerkschaftlichen Organisationen, und sie bereiteten eine Premiere vor - den gemeinsamen publizistischen Auftritt dreier DGB-Gewerkschaften mit dem Deutschen Beamtenbund (dbb). Das Ergebnis der Couch-Gespräche stand innerhalb von zwei Stunden fest: Die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft (ver.di), die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), die Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die "tarifunion" im Deutschen Beamtenbund (dbb-tarifunion) beschlossen, ein vierseitiges EXTRA-Blatt "zum Streik im Öffentlichen Dienst 2006" herauszugeben: Mit einer Auflage von neun Millionen Exemplaren sollte es an alle Haushalte in den Ballungsgebieten der Republik ausgeliefert werden.

Nur wenige Tage später - man schrieb mittlerweile die siebte Streikwoche - erschien das gemeinsam verantwortete EXTRA mit einem dramatischen Appell gegen den Versuch der Arbeitgeber, einseitig die Arbeitszeiten der Länderbeschäftigten auf bis zu 42 Stunden zu erhöhen. Auf der ersten Seite formulierten die vier Vorsitzenden Frank Bsirske (ver.di), Konrad Freiberg (GdP), Frank Stöhr (dbb-tarifunion) und Ulrich Thörne (GEW) in einer gemeinsamen Erklärung: "Nicht Diktat, sondern Interessenausgleich muss die Beziehungen zwischen Arbeitnehmer/-innen und Arbeitgebern prägen."

DER PROBELAUF WAR 2006_ Die Kooperation der drei DGB-Gewerkschaften mit dem konkurrierenden Beamtenbund prägte auch die jüngste, von Streiks begleitete Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst. Noch vor wenigen Jahren wäre eine Zusammenarbeit mit dem "ständischen" Beamtenbund und seinem Ableger, der "tarifunion" (siehe Infos Seite 26), von vielen DGBlern als Verrat an gewerkschaftlichen Prinzipien gegeißelt worden. Im Tarifkonflikt 2006 kam die Zusammenarbeit durch informelle Absprachen zwischen den politischen Führungen zustande - ein Probelauf für zukünftige Kooperationen, wie Ulrich Hohndorf, Leiter der Tarifabteilung bei der "tarifunion", im Rückblick berichtet.

Für die nicht minder schwierige Tarifauseinandersetzung 2008 haben die beteiligten Arbeitnehmer-Organisationen bereits im Vorfeld schriftlich die Bedingungen für ihre Zusammenarbeit formuliert. Das Abkommen versucht, die Beziehungen zwischen den Organisationen im Spannungsfeld zwischen Konkurrenz und Kooperation zu regeln. Nur wenn die im betrieblichen Alltag oft gegenläufigen Interessen für die Zeit des Tarifkonflikts zurückgestellt werden, kann die Kooperation auf Führungsebene auch gegenüber der Basis vermittelt werden.
So wurde in dem Abkommen festgehalten, dass die konkurrierende Mitgliederwerbung hinter der gemeinsamen Aktion, etwa im Warnstreik, zurückstehen muss.

Immer wieder war es in der Vergangenheit zu Konflikten gekommen, weil zahlreiche Verbände der dbb-tarifunion mit ihren niedrigeren Beitragssätzen geworben hatten, während gleichzeitig die Aktionen in den Städten, die Streiks in Betrieben und in Krankenhäusern vom professionelleren ver.di-Apparat organisiert wurden. Auch bei der Streikunterstützung gibt es unterschiedlichen Lohnersatz, was vor Ort innerhalb von streikenden Belegschaften durchaus zu Problemen führen kann. Derartige satzungsgemäße Leistungen können zwar zwischen den Organisationen nicht angeglichen werden.

Aber alle anderen Kosten des Arbeitskampfs, so die Vereinbarung, sollen zwischen den beteiligten Organisationen gerecht aufgeteilt werden, also zwischen den beiden großen Partnern dbb und ver.di zu gleichen Teilen. Das betrifft vor allem Kundgebungen, Aktionen, Publikationen oder Sitzungen. Mit dieser bereits im Sommer 2007 getroffenen schriftlichen Vereinbarung haben die beteiligten Organisationen die Konsequenzen aus den Erfahrungen des Arbeitskampfs 2006 gezogen.

Der gemeinsame Auftritt der drei DGB-Gewerkschaften mit dem Beamtenbund und seiner "tarifunion" wurde seinerzeit trotz zahlreicher störender Konflikte vor Ort bis zum Schluss durchgehalten - über eine monatelange Durststrecke hinweg, in der keineswegs sicher war, ob man die Kraftprobe mit einem unnachgiebigen, kompromissunwilligen Arbeitgeber erfolgreich durchstehen würde. In der aktuellen Tarifauseinandersetzung mit Bund und Kommunen haben wir eine zweite Auflage der Kooperation jahrzehntelang in Konkurrenz und Feindschaft verbundener Organisationen erlebt.

Schon die Forderung - acht Prozent mehr Lohn, mindestens aber 200 Euro mehr - wurde im Vorfeld abgestimmt und in den jeweiligen Tarifkommissionen zwar getrennt, aber inhaltlich gleichlautend beschlossen und öffentlich verkündet. Auch diesmal hielt die gewerkschaftliche Allianz der Konkurrenten bis zum Ende und das erzielte, erstreikte Ergebnis wurde der Öffentlichkeit und den Mitgliedern gemeinsam verkündet.

HERAUS AUS DER DEFENSIVE_ Jahrelang waren DGB-Gewerkschaften und dbb gleichermaßen angesichts von Wirtschafts- und Haushaltskrise in die Defensive gedrängt worden, unter dem Trommelfeuer einer überwiegend antistaatlichen, neoliberalen Debatte. Die gewerkschaftliche Konkurrenz arbeitete dabei den regierenden Haushaltssanierern und Privatisierern in die Hände. Mit dem Beamtenrecht im Rücken verlängerten Bund, Länder und Kommunen die Wochenarbeitszeit, ohne dass die gewerkschaftlichen Organisationen sich durch Streik wehren konnten. Die Einkommen im Tarifbereich des öffentlichen Dienstes sind seit Jahren hinter dem Privatsektor zurückgeblieben.

Dies ist der Hintergrund für die Annäherung im Arbeitnehmerlager des öffentlichen Dienstes - nach jahrzehntelanger Konkurrenz und Feindschaft. Inzwischen ist sowohl bei den DGB-Gewerkschaften als auch beim Beamtenbund die Einsicht in die Gemeinsamkeit der Interessen aller Beschäftigten des öffentlichen Dienstes gewachsen. Ver.di organisiert eine Minderheit bei den Beamten und eine große Mehrheit bei den Angestellten und Arbeitern. Beim dbb ist es umgekehrt. Aber beide haben die Erfahrung gemacht, dass die Belange der Beamten wesentlich von der Entwicklung im Tarifbereich beeinflusst werden, etwa wenn die Lohn- und Gehaltsabschlüsse dort auf die Beamten übertragen werden.

Andererseits haben hunderttausende Beamte erlebt, wie ihre angestellten Kollegen 2006 die Forderung nach massiver Verlängerung der Arbeitszeiten weitgehend erfolgreich abwehren konnten, während sie sich mangels Streikrecht fügen mussten. Auch der dbb hat in den letzten Jahren die Erfahrung machen müssen, so dbb-Tarifexperte Hohndorf, dass "Vernunft allein oft nichts bringt", also der faire Interessenausgleich zwischen Arbeitgebern und Beschäftigten zunehmend auf der Strecke bleibt. Die Enttäuschung im als mehrheitlich CDU-orientiert geltenden dbb über die Politik der Unionsregierungen in den Ländern und des unionsgeführten Innenministeriums hat den Weg des dbb und seiner "tarifunion" hin zu gewerkschaftlichem Bewusstsein zweifellos gefördert.

Damit ist die Basis für gemeinsame Aktionen breiter geworden: So haben sich zahlreiche Mitglieder der "dbb tarifunion" im Frühjahr 2006 an gemeinsamen Streikaktionen mit Kolleginnen und Kollegen von ver.di beteiligt. Wie wird sich das Verhältnis zwischen ver.di, GEW und Polizeigewerkschaft auf der einen, der "dbb-tarifunion" auf der anderen Seite weiterentwickeln? Eine Entwicklung wie bei der vormals ebenfalls außerhalb des DGB arbeitenden DAG, also ein über Jahre vorbereitetes Hinführen auf den Zusammenschluss zur Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft ver.di, hält niemand für möglich. Wohl aber, wie sich an der gemeinsam gestarteten "Initiative öffentlicher Dienst - Genug gespart!" zeigt, eine über die Tarifpolitik hinausgehende gemeinsame Interessenpolitik im öffentlichen Dienst.


DIE ANGESTELLTEN IM BEAMTENBUND

Die Rolle der "tarifunion" im dbb

Der Deutsche Beamtenbund (dbb) ist keine Mitgliederorganisation, sondern die Dachvereinigung von 40 Fachgewerkschaften aus dem öffentlichen Dienst und privatisierten Unternehmen, die zuvor in öffentlicher Hand waren. Die "tarifunion" spielt im dbb eine Sonderrolle als Ableger des Beamtenbundes für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes ohne Beamtenstatus. Die "tarifunion" organisiert also Angestellte und Arbeiter der staatlichen Verwaltungen oder auch privatisierter Bereiche. Ihre wesentliche Aufgabe besteht darin, die Tarifverhandlungen für 39 Fachgewerkschaften mit ihren rund 360?000 nicht beamteten Mitgliedern zu führen. Deshalb steht sie bei Tarifkonflikten im öffentlichen Dienst im Vordergrund.

Die "tarifunion" fasst damit die tariflichen Interessen von Mitgliedern der unterschiedlichsten, zum Teil recht kleinen und spezialisierten Berufsverbände zusammen. Darunter finden sich der "Bundesverband Bayrischer Hygieneinspektoren" (BBH), die erst kürzlich berühmt gewordene "Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer" (GDL), aber auch Organisationen wie "Die Kommunalgewerkschaft" (komba), mit denen ver.di auf betrieblicher und regionaler Ebene oft und heftig im Clinch liegt. Die Erfahrung zahlreicher bei ver.di engagierter Betriebs- und Personalräte mit solchen konkurrierenden Organisationen sind häufig negativ: Zu große Nähe zu den Arbeitgebern ist noch der mildeste Vorwurf.

Auf der anderen Seite können einzelne dbb-Berufsverbände mit ihren berufsständischen Interessen, wie das Beispiel der Lokführer zeigt, mit radikalen Forderungen frontal gegen DGB-Gewerkschaften (in dem Fall die Transnet) antreten. Gleichwohl hat die "tarifunion" nach eigenen Angaben kein Interesse an einer Zersplitterung der Tariflandschaft im Öffentlichen Dienst. Sie bekennt sich zum Flächentarif und will ihn fortführen. Sie ist damit ebenso wie ver.di darauf verwiesen, die unterschiedlichen Interessen im weit verzweigten Gesamtbereich des öffentlichen Dienstes zu integrieren und zu bündeln.

Diese besondere Rolle der "tarifunion" innerhalb des Beamtenbundes spiegelt sich auch in der Führungsspitze der Organisation wider: Frank Stöhr, Vorsitzender der "tarifunion", wird seit November 2007 als "zweiter Vorsitzender" der Gesamtorganisation dbb gegenüber den fünf weiteren "stellvertretenden Vorsitzenden" hervorgehoben. Zusätzlich nimmt der zweite Vorsitzende der "tarifunion" als kooptiertes Mitglied an den Beratungen der Bundesleitung des dbb teil.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen