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Johann Dechant, Betriebsratsvorsitzender von Infineon, hat schon viele Kämpfe erlebt. Magazin Mitbestimmung

Zukunftssicherung: Auch in Zukunft sichere Jobs

Ausgabe 06/2019

Beim Chiphersteller Infineon hat der Betriebsrat viel erreicht: Während das Unternehmen die Produktion umfassend digitalisiert, bleiben die Jobs erhalten, und die Beschäftigten werden fit gemacht für die Anforderungen von morgen. Von Andreas Kraft

Im Inneren der Regensburger Infineon-Fabrik geht es zu wie in einer Raumstation. Die Chip-Produktion ist vollkommen abgeschirmt. Wer hier arbeitet, zieht sich zum Schichtbeginn bis auf die Unterhose aus, schlüpft in einen Trainingsanzug und zieht dann in einer fest vorgeschriebenen Reihenfolge Reinraumanzug, Schuhe und Haube an. Jeder noch so kleine Partikel würde die empfindlichen Halbleiter verunreinigen. Aus Regensburg wird Hightech in alle Welt exportiert: Radarsensoren für Abstands- und Spurhalteassistenten, Mikrofone für Smartphones, Chips für die Antriebssteuerung von E-Bikes.

Johann Dechant, Vorsitzender des Betriebsrats und Mitglied im Aufsichtsrat, arbeitet seit 39 Jahren hier. Damals gehörte die Fabrik zu Siemens, bis 1999 das Halbleitergeschäft unter der neuen Marke Infineon ausgegliedert wurde. Dechant hat viele Kämpfe erlebt: in den 80ern das Ende der Kondensatorenproduktion, dann die Verhandlungen des Betriebsrats, die Halbleiterproduktion nach Regensburg zu holen und Jobs zu sichern. Ende der 90er dann das Platzen der Dotcom-Blase – für Dechant, der seit 1990 Betriebsrat und seit 1994 freigestellt ist, die schlimmste Zeit überhaupt. „Täglich saßen etwa Familienväter bei uns im Büro und hatten Angst um ihre Existenz. Wir mussten Sozialauswahlkriterien verhandeln. So etwas wollen wir nicht noch einmal erleben.“

Die Auseinandersetzung um die umfassende Digitalisierung der Produktion hat Dechant und seinen Kollegen die Nominierung für den Deutschen Betriebsräte-Preis eingebracht. Denn das Gremium hat es in drei Monate dauernden Verhandlungen geschafft, im aktuellen Strukturwandel einen Interessenausgleich zu erzielen, der betriebsbedingte Kündigungen ausschließt und weiterhin Übernahmen von Leiharbeitnehmern ermöglicht.

Eine neue Stufe der Automatisierung wird erprobt

Warum gab es überhaupt Ängste, wo doch das Geschäft so gut läuft? Schließlich geht es seit 2010 für Infineon steil bergauf. Allein in Regensburg stieg die Zahl der Stammbeschäftigten von 1900 auf 2800. Hinzu kommen gut 350 Leiharbeitskräfte. „Alles, was wir produzieren, ist schon verkauft“, sagt Dieter Marschalt, Betriebsrat und Vertrauensleutevorsitzender der IG Metall. Das neuste Produkt aus Regensburg: ein Bauteil, mit dem sich Geräte über Gesten steuern lassen. Das sind eigentlich komfortable Verhältnisse. Es war dieses Mal keine Krise, die die Ängste auslöste. Es sind Pläne für die umfassende Digitalisierung der Produktion. 

Dechants Kollege Stefan Gradl erklärt: „Jedes Los ist schon mit einer ganzen Menge an Daten versehen. Was jetzt ansteht, ist die komplette Vernetzung der Fertigung.“ Die Unmenge an einzelnen Produkten und die jeweilige Auslastung der einzelnen Maschinen kann kein Mensch mehr überschauen. In Zukunft werden die Anlagen bestimmte Lose selbst anfordern. Zudem sollen der Transport und, soweit möglich, das Einsetzen der Boxen mit den Wafern, dünnen Scheiben aus Silizium, in die Anlagen vollautomatisiert werden. 

Klar, dass da Sorgen bei den Beschäftigten aufkommen. Sie wissen aber auch: Ohne Investitionen in eine effizientere Produktion können sie schlicht nicht mit der Konkurrenz aus Asien mithalten. Dank des nun geschlossenen Interessenausgleichs stehen die Chancen dafür gut – und auch dank der gut gehenden Geschäfte. 

Ein Grund, warum es mit dem Abschluss relativ schnell ging: Beide Seiten hatten Interesse an einer schnellen Einigung. Das Unternehmen wollte mit dem Umbau loslegen, die Beschäftigten einen Kompromiss finden, bevor die Weltwirtschaft einbricht. „Aber ein paarmal standen die Verhandlungen auch vor dem Scheitern“, sagt Dechant. Dass sie doch erfolgreich waren, führt er vor allem darauf zurück, dass die Parteien konstruktiv Punkt für Punkt abarbeiteten. Zudem verpflichteten sie sich, ihre Standpunkte bis zur jeweils nächsten Sitzung zu überdenken. 

Regensburg ist ein Innovationsstandort im Konzern

Für das Unternehmen hat das Werk in Regensburg aber auch eine besondere Stellung. Es ist der einzige Standort im Infineon-Konzern, an dem die Front- und die Back-End-Produktion an einem Standort betrieben werden. Hier entwickeln Ingenieure Hand in Hand mit der Fertigung neue Produkte. Mit der flexiblen und gut qualifizierten Belegschaft können die Innovationen schnell auf den Markt gebracht werden. Die Anlagen müssen rund um die Uhr laufen, 365 Tage im Jahr.

Noch bestücken Menschen, sogenannte Operatoren, die Anlagen mit den schwarzen Wafer-Boxen, auf die zuerst ein lichtempfindlicher Fotolack aufgebracht wird. Bei der Belichtung wird der Bauplan für den Schaltkreis quasi aufgedruckt. Dann wird an diesen Stellen der Lack abgewaschen, Vertiefungen werden eingeätzt, leitendes Metall und Widerstände eingebracht. Nach Prozessende schiebt die Anlage die Wafer zurück in die Box. Nach den Front-End-Prozessen werden die Wafer dann in der Back-End-Produktion weiterverarbeitet. Dort werden die einzelnen Chips herausgesägt und anschließend verbaut – in Gehäusen für Sensoren, Mikrofone und Platinen. Gerade das macht Regensburg zu einem besonderen Werk.

Bald werden Roboter weitere Arbeiten übernehmen. Darum wird jetzt ermittelt, welche Qualifikationen etwa für die Wartung und Überwachung der vollautomatisierten Fertigung nötig sind. Die Beschäftigten können sich dann in ihrer Arbeitszeit und auf Kosten des Unternehmens entsprechend weiterbilden. „Hierin liegt die Chance für die Beschäftigten, durch neues Wissen die automatisierten Anlagen zu bedienen. Es wird auch Arbeitsplätze geben, an denen die Beschäftigten nach der Transformation höher eingruppiert werden als heute“, sagt Monika Ford, stellvertretende Vorsitzende des Betriebsrats. „Was uns aber mindestens genauso wichtig ist: Laut dem Interessenausgleich ist es quasi ausgeschlossen, dass niedriger eingruppiert wird als heute.“

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