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Magazin Mitbestimmung

Werkverträge: Arbeitsdirektoren mit im Boot

Ausgabe 09/2015

Engagierte und mitbestimmte Personalarbeit führt in der Stahlbranche zu Erfolgen im Kampf gegen den Missbrauch von Werkverträgen. Von Andreas Schulte

Auflagen und Verträge allein reichen nicht. Wir müssen bei Werkvertragsfirmen auch das Bewusstsein für faire Arbeit und soziale Standards schärfen“, sagt Nicola Hirsch. Doch mit Auflagen und Verträgen hat sie, die Arbeitsdirektorin bei ArcelorMittal Duisburg, zusammen mit den Betriebsräten und den IG-Metallern in den vergangenen drei Jahren einiges erreicht. Damals lagen die Unfallzahlen von Werkvertragsfirmen bei der ArcelorMittal Duisburg GmbH etwa dreimal so hoch wie die der Stammbelegschaft.

Mittlerweile sind die Arbeitssicherheitsstandards des Unternehmens Bestandteil eines jeden Werkvertrags. „Jeder Werkvertragsarbeiter bekommt eine Unterweisung. Erst dann kann der Arbeitnehmer der Fremdfirma seinen Einsatzort aufsuchen“, sagt Hirsch. Nach einer Gefährdungsanalyse werden entsprechende Arbeitsschutzmaßnahmen festgelegt. „Unsere Arbeitssicherheit kontrolliert die tatsächliche Anwendung.“ Bei Verstößen führt der Auftraggeber ArcelorMittal zunächst Gespräche mit den Firmen. „Bisher haben alle Werkvertragsfirmen daraufhin die beanstandeten Missstände beseitigt“, sagt Arbeitsdirektorin Nicola Hirsch. Andernfalls sieht der Eskalationsplan eine einjährige Sperre der Werkvertragsfirma vor. Aber die habe man noch nie aussprechen müssen.

„Außerdem schauen wir verstärkt darauf, dass alle Arbeitszeitgesetze auch wirklich eingehalten werden. Dazu kontrollieren unsere Betriebsräte die Anwesenheitszeit der Werkvertragsarbeiter auf unserem Gelände“, sagt Hirsch. Der Erfolg: Mittlerweile haben sich die Unfallzahlen der Werkvertragsfirmen denen von ArcelorMittal fast angeglichen.

Vor allem die Bremer hatten 2012 die Initiative ergriffen. Jeder neunte Werkvertragsmitarbeiter auf dem Gelände der Bremer Stahlwerke von ArcelorMittal leistete Schichten von zehn Stunden und länger, wie Betriebsratsvorsitzender Klaus Hering herausfand. Genau das gefährdete die Arbeitssicherheit aller auf dem Gelände, die sich doch der Konzern ArcelorMittal auf die Fahne geschrieben habe, argumentierte Hering. Er initiierte eine Kampagne zur Arbeitssicherheit und unterfütterte seine Argumentation mit Daten. Das überzeugte auch den Personalvorstand, Mindestanforderungen an Fremdfirmen zu stellen. „Er hätte sich sonst in der eigenen Belegschaft unglaubwürdig gemacht“, sagt Hering.

Mehr noch: Bei den Bremer Pionieren beim Upgrading von Werkvertragsarbeit gibt es seit Ende des vergangenen Jahres sogar eine Sozialcharta. Jetzt muss jede der 500 dortigen Werkvertragsfirmen ihren Mitarbeitern mehr zahlen als den gesetzlichen Mindestlohn, weitreichende Arbeitschutzauflagen erfüllen und Arbeitszeiten einhalten. Wer nicht unterschreibt, erhält keinen Auftrag mehr. Die Hartnäckigkeit zahlt sich aus: „Gut 400 Firmen haben die Charta schon unterzeichnet“, erzählt Hering.

Großunternehmen der Stahlbranche gelten als Vorreiter im Kampf für bessere Bedingungen für Arbeitnehmer von Werkvertragsfirmen – auch weil die montanmitbestimmten Personalbereiche diesen Ball aufgenommen haben. „Wir erwarten von Arbeitsdirektoren, dass sie sich zuständig für die Werkvertragsbeschäftigten erklären, damit nicht Menschen wie Toilettenpapier eingekauft werden“, sagt Benjamin Pankow, bei der IG Metall Duisburg Sekretär für Werkverträge und Leiharbeit.

Nicht wenige Arbeitsdirektoren haben mittlerweile ihrerseits ein Mitspracherecht bei der Beauftragung von Fremdfirmen eingefordert. Denn Abschlüsse von Werkverträgen fallen üblicherweise in die Zuständigkeit von Einkaufsabteilungen. Die kaufen Leistungen von Werkvertragsfirmen zu einem Festpreis ein – genau wie Betriebsmittel. Dies hatte dazu geführt, dass Personalabteilungen lange kaum wussten, wie viele Werkvertragsarbeiter welche Arbeiten im eigenen Unternehmen übernahmen. Erschwerend kommt hinzu: Vielerorts arbeiten beide Abteilungen räumlich getrennt. Eine zentrale Personalabteilung ist für viele Standorte zuständig. Die unterhalten aber ihrerseits eigene Einkaufsabteilungen.

„Wichtig ist, ein gutes Zusammenspiel von Arbeitssicherheit, Einkauf und Personalabteilung herzustellen“, sagt Thomas Schlenz, Arbeitsdirektor von ThyssenKrupp Steel Europe (TKSE) in Duisburg. „Bei uns arbeiten diese Bereiche übergreifend und eng vernetzt miteinander. Anders wäre sichere und faire Arbeit nicht möglich.“ TKSE versteht den Umgang mit Werkvertragsfirmen als Teil des Risikomanagements. Das Argument: Die Stahlfirma beschäftigt viele Hundert Werkvertragsunternehmen. „Einige könnten gegen das Gesetz verstoßen. Die müssen wissen, dass wir das nicht dulden“, sagt Schlenz. TKSE lässt im Falle eines Falles Taten folgen. „Wir haben bereits Firmen oder deren Mitarbeiter aufgrund von Verstößen von unseren Werkgeländen verwiesen.“

Dies soll die Ausnahme bleiben. TKSE will daher so gut wie möglich kontrollieren. „Unsere geschulten Mitarbeiter kontrollieren vor Ort Vertragseinhaltungen. Das ist aufwendig. Aber nur so können wir Verbesserungen für alle Beschäftigten erzielen“, sagt Schlenz.

Ein Baustein der Kontrolle: der Ausschuss „Eigen/Fremd“, den TKSE bereits 2006 ins Leben rief. Das Gremium trifft sich mindestens vier Mal im Jahr. Es hat das Recht, Werkverträge einzusehen. So kann Eigen/Fremd kontrollieren, ob die beauftragte Tätigkeit tatsächlich mit der gelieferten Leistung übereinstimmt. Außerdem erörtert der Ausschuss, welche Leistungen von eigenen Mitarbeitern erledigt werden können und welche tatsächlich fremdvergeben werden müssen, weil Fachwissen fehlt. Vom Arbeitgeber erhält der Ausschuss dazu jederzeit genaue Auskunft über die Anzahl der Werkarbeitnehmer und ihre Tätigkeiten. Denn TKSE hat sich verpflichtet, bei allen fremdvergebenen Arbeiten zu prüfen, ob die Stammbelegschaft diese erledigen kann.

EIGEN VOR FREMD

Dieser Grundsatz „Eigen vor fremd“ hat Eingang gefunden in den „Tarifvertrag über den Einsatz von Werkverträgen“. Damit erstritt die IG Metall 2014 erstmals Mindeststandards auch für Werkvertragsfirmen. Der Vertrag nimmt Stahlfirmen in die Pflicht: Er empfiehlt ihnen, nur Werkvertragsfirmen mit tariflichem Entgelt zu beschäftigen. Außerdem muss dem Betriebsrat begründet werden, warum eine Werkvertragsfirma bevorzugt wird, falls der Einsatz eigener Mitarbeiter den gleichen Erfolg verspricht. Stahlunternehmen müssen die Arbeitszeiten der Fremdarbeiter im Blick haben und dafür Sorge tragen, dass Werkarbeitsfirmen nicht Subunternehmer zu schlechteren Konditionen beauftragen.

Vieles davon ist bei großen Stahlunternehmen bereits üblich – wie bei ArcelorMittal in Duisburg. Federführend bei der Beauftragung ist dort zwar weiterhin der Einkauf, aber: „Wir als Personalabteilung beobachten dies“, sagt Arbeitsdirektorin Nicola Hirsch.

Auch über Betriebsgrenzen hinaus sorgen Arbeitsdirektoren für fairere Beschäftigungsverhältnisse. Der Fachausschuss „Rechtssicheres Fremdfirmenmanagement“ der Arbeitsgemeinschaft der Engeren Mitarbeiter der Arbeitsdirektoren Stahl entwickelt derzeit einen Leitfaden für den Umgang mit Werkvertragsfirmen. Bis zu einem von allen getragenen Textentwurf ist es noch ein weiter Weg. Einig sind sich die 20 Mitglieder indes darin, dass Werkvertragsunternehmen die Einhaltung des Mindestlohns vertraglich garantieren müssen. Zudem sollen Vertragslaufzeit und das Auftragsvolumen die entscheidenden Kriterien sein, wenn es darum geht, ob eine Werkvertragsfirma einen Auftrag übernimmt oder die Stammbelegschaft die Arbeit erledigt.

Jetzt im September hat der Ausschuss erneut getagt. Und dabei erörtert, wie die Zusammenarbeit zwischen Personalabteilung, Mitbestimmungsorganen und Einkauf verbessert werden kann. Außerdem will er die Fremdvergabe einer Arbeit mit der Erledigung durch die Stammbelegschaft besser vergleichen können. In die Rechnung fließen dann auch sogenannte Transaktionskosten ein, also Beträge, die mit der Beauftragung einer Fremdfirma einhergehen, zum Beispiel für die Vertragsverhandlungen oder die Kontrolle der Arbeitsqualität.

Damit sagen die Personaler im Ausschuss der Engeren Mitarbeiter langen Ketten von Subunternehmern den Kampf an. Denn genau hier stoßen die Personalverantwortlichen üblicherweise an ihre Grenzen. Sie dürfen Verträge von Subunternehmern von Werkvertragsunternehmen nicht einsehen. „Dennoch wird es die Aufgabe von Unternehmen sein, Tarifstandards zu kontrollieren“, sagt Ausschussleiter Wolfgang Peters, zugleich Leiter Personal-Grundsatzfragen/Gesundheitsschutz der Deutschen Edelstahlwerke in Witten.

Kontrolle ist bitter nötig. Benjamin Pankow von der IG Metall in Duisburg kennt noch immer Fälle, in denen in einer Kette 14 Subunternehmer stehen und am Ende für einen Arbeiter ein Stundenlohn von 2,30 Euro bleibt. Schnelle Abhilfe sieht er nicht – trotz des Einsatzes der Arbeitnehmerseite. Eine gewerkschaftliche Erkenntnis: Je mehr faire Arbeitsbedingungen sie für Werkarbeit-Arbeitnehmer erstreitet, desto findiger werden die Arbeitgeber, um dennoch möglichst günstig Werkvertragsarbeit einzukaufen.

Von den heute rund 80 000 Beschäftigten der Branche arbeiten laut Gewerkschaftsangaben rund 20 000 für Werkvertragsfirmen. Eine Entwicklung, die den Arbeitsdirektoren der Stahlfirmen einen beinharten Spagat abnötigt. „Sie haben als Vorstandsmitglieder die Arbeitnehmerinteressen, aber auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen im Blick“, sagt Pankow. Angesichts der anhaltenden Krise und des steigenden Kostendrucks in der Stahlbranche dürfte ihnen diese Turnübung in Zukunft kaum leichter fallen.

Mehr Informationen

Hans-Böckler-Stiftung/IG-Metall-Zweigbüro (Hrsg.): Werkvertragsarbeit fair gestalten. Gute Praxis in der Stahl­industrie. Berichte, Interviews. 55 Seiten. Juni 2014. Kann unter Bestellnummer 30433 kostenlos per Mail bestellt werden: mail@setzkasten.de

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