zurück
Magazin Mitbestimmung

: 'Unser Weg ist Transparenz'

Ausgabe 04/2004

Informieren, delegieren, entscheiden: wesentliche Bestandteile für eine effiziente Arbeitsorganisation - gerade in Betriebsratsgremien. Ralf Blauth reflektiert über seine Führungsverantwortung als Konzernbetriebsratsvorsitzender von Degussa und E.ON.

Kollege Blauth, als Konzernbetriebsratsvorsitzender ist das Top-Management dein Verhandlungspartner. Siehst du dich selbst in einer Führungsrolle?
Auf der Arbeitnehmerseite nehme ich Führungsverantwortung wahr, und das erwarten die Kolleginnen und Kollegen auch von mir. Auch Arbeitnehmergremien brauchen eine Führungsstruktur, um effizient arbeiten zu können. Ich zähle mich aber nicht zum Management. Dieser Unterschied ist mir wichtig.

Mit einem Mandat beauftragt haben dich die Kollegen vom Standort Marl, das KBR-Büro ist in Düsseldorf. Wie organisierst du den erforderlichen Spagat, ohne die Bodenhaftung zu verlieren?
Das ist schwierig. Wo ich gewählt wurde, bin ich am seltensten. Deshalb muss ich mir andere Wege der Unterstützung erschließen. Wichtig ist, dass meine Kollegen vor Ort das mittragen und kommunizieren. Denn bei Wahlen kommt es auch darauf an, was die Kollegen vor Ort, die Betriebsräte und die Vertrauensleute im Betrieb, über mich sagen. Dass ich viel unterwegs bin, wird akzeptiert - solange ich einer "zum Anfassen" bleibe. Wenn in Marl eine Betriebsversammlung stattfindet, bin ich selbstverständlich dabei. Ich lade auch Kollegen nach Düsseldorf ein, damit sie sehen, was ich hier arbeite.

Welche Führungsqualitäten sind für diesen Spagat erforderlich?
Ganz wichtig ist die Bereitschaft, zu delegieren und im Team zu arbeiten. Ohne meine Stellvertreter könnte ich vieles nicht bewältigen. Deshalb muss ich bereit sein, abzugeben und mich darauf zu verlassen, dass alle tun, was wir verabredet haben.

Die Kompetenzen eines Konzernbetriebsrats sind laut Betriebsverfassungsgesetz eher bescheiden. Bei Degussa gibt es jetzt einen Tarifvertrag, der den KBR mit den gleichen Rechten ausstattet wie einen Gesamtbetriebsrat. Wer verhandelt mit wem worüber?
Früher mag wichtig gewesen sein, wann die Kantine öffnet. Heute interessieren die Kollegen Themen wie Altersversorgung oder Erfolgsbeteiligung - sie betreffen allesamt die Konzernebene. Doch diese Themen könnten unter die Räder kommen, wenn man sich nur an den Unternehmensstrategien orientiert. Denn es werden immer kleinere Einheiten geschaffen. Was das Unternehmen in den Regelkreis der Aktiengesellschaft hineindefiniert oder als neue GmbH ausgliedert, können wir nicht beeinflussen. Laut Betriebsverfassungsgesetz könnten wir lediglich im Bereich des GBR wirksame Regelungen treffen, also dort, wo wir den Arbeitgeber letztlich auch an den Verhandlungstisch zwingen können. Das würde zu einer Ungleichbehandlung von Mitarbeitern führen. Unsere tarifliche Vereinbarung ermöglicht jetzt konzernweite Regelungen. Ansonsten könnten wir im KBR über die konzernweite Altersversorgung beraten, wären dann aber von der Verhandlungsbereitschaft der einzelnen Geschäftsführungen abhängig.

Im KBR treffen unterschiedliche Unternehmenskulturen zusammen. Was bedeutet dies für die Mitbestimmungskultur?
Im KBR sitzen nicht nur Personen aus den Vorgängergesellschaften, sondern auch Betriebsräte von akquirierten Töchtern. Generell gilt: Bei jeder Fusion, bei jeder Akquisition herrscht zunächst eine Grundskepsis gegenüber dem aufnehmenden Betrieb vor. Nach dem Motto: "Was wir haben, wissen wir, damit können wir umgehen - selbst wenn es schlechter ist als die Neuregelung." Also müssen wir für die Vorzüge unserer Vorschläge werben. Und selbst dann heißt es: "Mag ja sein, aber für unsere Schichtarbeiter verschlechtert sich was." Das sind schon langwierige Diskussionen. Wenn es nur um Geld geht, ist eine Einigung untereinander meist einfach. Bei kulturellen Themen wird es problematischer. Unsere Strategie ist deshalb heute, einheitliche Regelungen nur für essenzielle Sachverhalte zu vereinbaren. Wenn örtliche Eigenheiten nicht stören, sollen sie erhalten bleiben. Warum sollen beispielsweise Mitarbeiter in Bayern ihr Betriebsfest feiern wie die Kolleginnen und Kollegen in Wesseling?

Der KBR mit dir an der Spitze repräsentiert rund 400 Betriebsratsmitglieder, an euren Betriebsratskonferenzen nehmen etwa 140 Personen teil, und im KBR selbst sind an der Meinungsbildung 30 Leuten beteiligt. Wie managt ihr das?
Boshaft könnte man sagen: Demokratie ist eine besonders geschickte Form von Diktatur. Doch Spaß beiseite: Man kann die Prozesse nicht einfach laufen lassen. Ich treffe mich regelmäßig mit meinen zwei Stellvertretern im KBR, um die großen Themen vorzubereiten und in Arbeits- und Verhandlungsgruppen zu delegieren. Eine parallele Struktur gibt es auch auf der Ebene des Gesamtbetriebsrats. Zudem koordinieren wir die Arbeit von GBR und KBR, damit nicht an den gleichen Problemen gearbeitet wird. Ein klares Ziel bei allen Sitzungen ist, nicht auseinander zu gehen, ohne einen Schritt weiter zu sein.

Was kann ein KBR-Vorsitzender tun, wenn sich die Vertreter eines Standorts partout quer stellen?
Er könnte eine Mehrheitsentscheidung herbeiführen. Doch das macht kaum Sinn, weil am Ende die Akzeptanz fehlt. Ich setze mich daher lieber mit dem Betriebsrat zusammen, der da Probleme hat, und wir schauen gemeinsam nach einer Lösung.

In Managementlehrbüchern nennt man dies "kooperativen Führungsstil". Organisiert ihr diesen Prozess bewusst?
Das ist keine Frage der Technik. Man muss die Menschen wirklich kennen lernen und akzeptieren, wie sie sind. Deshalb betreiben wir dieses Kennenlernen sehr systematisch. So haben wir beispielsweise eine Klausur des Konzernbetriebsausschusses auf der Fraueninsel im Chiemsee veranstaltet. Da gibt es kein Fernsehen, der Handy-Empfang ist miserabel, und das letzte Schiff fährt am frühen Abend. Niemand kann sich entziehen. Man redet viel miteinander, und so entsteht Vertrauen.

In den meisten Organisationsmodellen ist der Ranghöchste in der Hierarchie weisungsbefugt. Das lässt sich auf das Kollegialorgan Betriebsrat nicht übertragen. An diese Erkenntnis knüpfte der so genannte Teamentwicklungsprozess in den 90er Jahren am damaligen Hüls-Standort Marl an.
Ein Schwerpunkt war, die Effizienz der Arbeitsabläufe zu erhöhen. Darum ging es zunächst um die Vermittlung von Arbeitstechniken - Betriebsräte haben ja nicht unbedingt Büroorganisation gelernt. Daran arbeiten wir weiterhin. Doch es ging uns auch darum, in der Sachdebatte effizient zu sein. Wir haben damals einige verbindliche Regeln entwickelt, um Endlosdebatten in den Griff zu kriegen: Nach einer Diskussionsrunde durften bereits genannte Argumente nicht wiederholt werden. In der zweiten Runde sollten Vorschläge unterbreitet werden. Ziel war, zu schnelleren Entscheidungen zu kommen.

Wie verknüpft ihr heute Ansprüche an einen demokratischen Meinungsbildungsprozess mit effizienter Organisation?
Zum Standardrepertoire eines Betriebsratsvorsitzenden gehörte früher, dass es Dokumente gab, über die nur er verfügte. Das haben wir abgeschafft. Unser Weg ist, Transparenz zu schaffen, zum Beispiel machen wir über unsere Datenbanken alles öffentlich - natürlich mit geregelten Zugriffsrechten. Zur Zeit stellen wir unser Betriebsratsportal im Intranet fertig. Alle Betriebsräte, auch die an den kleinsten Standorten, können darauf zugreifen. So machen wir die Informationen allen zugänglich, beschleunigen die Wege und reduzieren die Papierberge. Es werden keine Protokolle mehr per Post verschickt, sondern wir teilen per E-Mail mit, wo das Protokoll eingestellt ist.

Betriebsratsmanagement ist Kommunikationsmanagement?
Ja. Und sorgfältige Vorbereitung jeder Sitzung. Ich habe selbst noch Zeiten erlebt, da sind wir nach dem Motto "Schaun‘ wir mal, was heute auf die Tagesordnung kommt" zur Betriebsratssitzung gegangen. Es ist heute selbstverständlich, dass jedes Betriebsratsmitglied vorher die Tagesordnung erhält. Das bedeutet aber im Gegenzug, dass alle die Pflicht haben, sich zu informieren. Auf der Sitzung selbst haben wir keine Zeit für stundenlange Erklärungen, welches Problem im Detail hinter einem Tagesordnungspunkt steckt. Damit muss sich jeder vorher befassen.

Die eigenen Reihen informiert und hinter sich zu haben ist nur die halbe Miete. Für die zweite Hälfte habt ihr ein nicht ganz alltägliches Vorgehen gewählt, als im vorigen Frühjahr die Schließung des Standorts Radebeul anstand: Ihr habt eine Unternehmensberatung ins Boot geholt.
Wir haben mit allen Kräften nach Alternativen zur Schließung gesucht. Der Vorstand legte uns Zahlen und Analysen vor, die wir letztlich nur glauben oder anzweifeln konnten. Um sie zu widerlegen, brauchte der Betriebsrat in Radebeul Experten, um die Fakten zu überprüfen. Die Unternehmensberatung hat in seinem Auftrag eine Konzeption erstellt: Wie muss die Belegschaft aufgestellt sein, welche Qualifikationen sind notwendig, an welcher Stelle besteht Verbesserungsbedarf, um attraktiv für Investoren zu sein? Das hat letztlich funktioniert, war aber nicht ohne Risiko. Das Ergebnis hätte auch lauten können: Der Standort ist marode, die Schließung ist unausweichlich.

Wie wichtig war es für diesen glücklichen Ausgang, dass der KBR-Vorsitzende das Ohr des Vorstands hat?
An der Stelle reichte nicht nur das Ohr des zuständigen Vorstandsmitglieds. Der ist zwar ein harter Verhandlungspartner, aber Argumenten und Fakten zugänglich. Glücklicherweise funktionierte es darüber hinaus gut, die Gespräche mit der Politik zu organisieren. Wirtschaftsministerium und Kommunalpolitiker haben sich aktiv für den Erhalt des Standortes eingesetzt.

Der Betriebsrat kann rational agieren, wenn die andere Seite Argumenten zugänglich ist?
Wenn die Chemie stimmt, dann orientiert man sich nicht nur an Fakten und Beschlüssen.

Das klingt sehr vage.
Chemie ist in diesem Sinn nicht einfach vorhanden. Man kann sie aber entwickeln - wie der Forscher im Labor. Wir pflegen die Gespräche mit der Arbeitgeberseite. Ein Vorstandsmitglied ist nicht automatisch ein Gegner - er vertritt andere Interessen. Das ist sein Job. Wir laden zu Betriebsrätekonferenzen auch Personalleute und Vertreter der Sprecherausschüsse der leitenden Angestellten ein. Nach längeren Verhandlungstagen ist es üblich, gemeinsam zu Abend zu essen. Selbst wenn man sich in der Sitzung über einen Unternehmensvertreter geärgert hat, merkt man, dass er eigentlich ein ganz vernünftiger Mensch ist. Dann geht man anders miteinander um.

Das Betriebsverfassungsgesetz gibt die Rollen vor. Ihr seid auf Gedeih und Verderb zur vertrauensvollen Zusammenarbeit verdammt.
Trotzdem kann man auch anders miteinander umgehen. Die gesetzlichen Vorgaben erzwingen nicht, dass wir uns so verhalten. In einem Konzernunternehmen war es früher üblich, dass der Betriebsrat vorsichtshalber mit jedem Streitthema vor Gericht zog. Da wurde nicht lange am Verhandlungstisch gestritten, man ließ die Richter entscheiden - auch eine Lösung. Es gibt natürlich auch heute immer Kritiker, die meinen, man müsse viel robuster sein und auf die Unternehmensleitung draufhauen. Dass wir trotz vieler Krisen bisher ohne betriebsbedingte Kündigungen ausgekommen sind, zeigt aber, dass unser Weg erfolgreich ist, und das schätzen die Kollegen sehr.

Das Gespräch führten Margarete Hasel und Sabine Kall.


Zur Person

Ralf Blauth, 53, ist Vorsitzender des Konzernbetriebsrats des Spezialchemieunternehmens Degussa sowie der EO.N AG. Degussa ist eine Tochtergesellschaft des E.ON Konzerns. Außerdem ist Ralf Blauth Sprecher der DGB-Initiative "Nur mit Tarifvertrag" und stellvertretender Vorsitzender des Fördererbeirats der Hans-Böckler-Stiftung.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen