zurück
Magazin Mitbestimmung

: 'Ich bin nicht enttäuscht'

Ausgabe 10/2004

Rund 30 Jahre, nachdem die legendäre Steinkühler-Pause eingeführt wurden, sind die Arbeitsbedingungen unter Druck geraten. Im Interview zieht der IG-Metall-Boss Franz Steinkühler eine kritische Bilanz: "Die Betriebsräte sind erpresbar geworden, und sie werden erpresst:"

Herr Steinkühler, als Sie im Jahr 1973 eine Erholungszeit von fünf Minuten pro Stunde für Akkordarbeiter durchgesetzt haben, gab es da auch Widerstand in den eigenen Reihen?
Es war in der Tat schwierig, in einigen Betrieben klar zu machen, dass so eine Pause eine bestimmte Funktion erfüllt, und zwar eine andere Funktion als die Vesperpause um 9.15 Uhr. Unsere Pause sollte der persönlichen Erholung dienen, gegen arbeitsbedingte Übermüdung wirken und so die körperliche Gesundheit erhalten. In einigen Betrieben mussten wir dazwischengehen, weil die Pause zunächst an das Ende der Schicht gelegt werden sollte. Aber da hätte sie natürlich ihren Zweck völlig verfehlt.

Einige Leute wollten also lieber die Arbeitszeit verkürzen?
Ja. Aber deren Einstellung hat sich später vollkommen gewandelt. Die Menschen merkten in vielen Fällen, dass die Erholungszeit von fünf Minuten oftmals die letzte Kommunikationspause für sie war. Sie war oft die einzige Gelegenheit zum Reden. Am Band geht das nicht, weil die Maschine die volle Aufmerksamkeit verlangt.

Wie muss man sich die Pause ursprünglich vorstellen - hieß es wirklich 55 Minuten Maloche, dann 5 Minuten Pause?
Nein, das zeichnet ein völlig falsches Bild. Die so genannte Steinkühler-Pause war nie dazu gedacht, stündlich genommen zu werden. Sie sollte in Kurzpausen zusammengefasst sinnvoll in den Arbeitstag eingebaut werden. Die fünf Minuten pro Stunde wurden pauschal vereinbart, weil die Arbeitgeber dadurch die notwendige, aber aufwändige Erholzeitermittlung für die Vorgabezeit sparen konnten.

Wie wurde die Pause tatsächlich ausgestaltet?
Die Details sollten jeweils in Betriebsvereinbarungen festgelegt werden. Die Pause kann man nicht einfach jedem Beschäftigten selbst überlassen. Das funktioniert am Band nicht - außerdem kann man schlecht Pause machen, wenn nebenan lärmende Maschinen laufen. Man muss sich also abstimmen und die Pausen so legen, dass sie erholungswirksam sind und genommen werden, bevor Übermüdung oder gar Erschöpfung eintritt.

Warum hat die Steinkühler-Pause, die ja damals als vorbildlich galt, nicht über das ursprüngliche Tarifgebiet hinaus Karriere gemacht?
Die Pause war ein Ergebnis unserer damaligen Tarifverhandlungen, und wir waren nur zuständig für Baden-Württemberg. Warum die Erholungspausen im Leistungslohn, den es ja in allen Tarifgebieten gab, anderswo nicht durchgesetzt werden konnte, muss in anderen Bezirken erforscht werden.

Bei DaimlerChrysler gilt die Pause intern als Standortnachteil - weil im Werk Bremen billiger produziert werden kann. Nun wird sie knapp zur Hälfte mit Weiterbildungszeiten verrechnet. Sind Sie enttäuscht?
Nein, enttäuscht bin ich nicht. Man muss die ökonomische Realität und die Wirkungen, die sich daraus ergeben, zur Kenntnis nehmen. Rechtlich hätten die Betriebsräte viele Möglichkeiten - sie könnten etwa darauf bestehen, dass Akkordzeiten wieder genau erfasst werden, wenn pauschale Pausenzeiten zusammengestrichen werden. Aber der ökonomische Druck ist enorm. Die Betriebsräte sind erpressbar geworden, und sie werden erpresst. Das unqualifizierte Gerede einiger Manager vom Standortnachteil ist in diesem Fall politische Agitation, und sonst nichts. Wenn man so redet, sollte man sich auch die Leistungen beziehungsweise Fehlleistungen der Manager genauer ansehen.

Den Managern geht es darum, die Arbeitskosten zu senken, um weiter wettbewerbsfähig zu sein.
Ja - und diejenigen, die noch Arbeit haben, arbeiten sich dabei kaputt. Die anderen gucken in die Röhre. Was in den Betrieben heute abläuft, grenzt allzu oft an Köperverletzung. Das ist doch auch ein Ergebnis der hohen Verdichtung der Arbeit. Die Gesellschaft blendet immer aus, dass sie die Arbeitslosigkeit und die Frühinvalidität ja auch finanzieren muss. Ob wir das durch Arbeitszeitverkürzung für alle machen oder dadurch, dass wir die Folgen der Rationalisierung und der Produktivitätssteigerung über die Arbeitslosigkeit vieler bezahlen, ist im Grunde völlig egal.

Haben die Betriebsräte bei DaimlerChrysler nicht hart genug gekämpft?
Ich war bei den Verhandlungen nicht dabei. Ich glaube nicht, dass die Betriebsräte bei Daimler ohne Not etwas verschenkt haben. Aber es gibt Fälle, in denen ich mir mehr Widerstandsgeist wünschen würde und etwas weniger Kompromissbereitschaft. Ein starker Betriebsrat ist ein Machtfaktor im Unternehmen.

Früher machten die Gewerkschaften Zugeständnisse bei kleinen Unternehmen in Not - jetzt bei einem Weltkonzern. Was sind die Folgen?
Die vom Kanzler gescholtene Absahner- und Mitnehmermentalität wird hier von den Unternehmern in schamloser Weise praktiziert. Ich befürchte, dass die IG Metall die Tür, die sie damit aufgestoßen hat, nicht wieder zu bekommt.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen