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Magazin Mitbestimmung

Von GUNTRAM DOELFS: Air-Berlin-Pleite: das letzte Wort haben die Richter

Ausgabe 11/2017

Betriebsrat Seit Ende Oktober ist Air Berlin Geschichte. Während Lufthansa und Easyjet sich die Rosinen aus der Insolvenzmasse herauspicken, verlieren tausende ihren Job oder stehen vor einer ungewissen Zukunft. ver.di bietet Rechtsschutz und kämpft für die Mitarbeiter.

Von GUNTRAM DOELFS

Zwei Wochen nach der Insolvenzeröffnung von Air Berlin kämpfen mehrere Tausend Flugbegleiter der Airline noch immer mit einer für Außenstehende absurden Situation. Sie sind von ihrem alten Arbeitgeber „widerruflich freigestellt“, aber nicht gekündigt – und das, obwohl Air Berlin den Flugbetrieb am 28. Oktober eingestellt hat. Für die Flugbegleiter hat das weitreichende Konsequenzen: Formal haben diese Mitarbeiter Anspruch auf Lohnfortzahlung. Ob diese tatsächlich davon etwas sehen werden, ist jedoch fraglich. Lucas Flöther, Sachwalter der Gläubiger, wollte in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung die Auszahlung nicht garantieren. Es fließt also für die Betroffenen kein Geld, es sei denn, sie melden sich arbeitslos.

Doch viele Mitarbeiter scheuen den Weg zur Arbeitsagentur – aus Angst oder weil sie falschen Gerüchten aufsitzen. So erklärte jetzt im Express eine betroffene Flugbegleiterin, dass sie nicht zum Amt gehe, weil sie sich damit quasi selbst kündigen würde: „Damit würden wir alle Ansprüche einer Kündigungsschutzklage, die sicher kommen wird, aufgeben.“ Die Meinung kursiert unter Flugbegleitern, ist aber laut ver.di eindeutig falsch. Niemand verliere seine juristischen Klagemöglichkeiten, wenn er sich arbeitslos melde, heißt es dort.

Klageflut erwartet

Und Klagen von Ex-Mitarbeitern der Air Berlin wird es wohl in den kommenden Monaten viele geben, das zeichnet sich bereits deutlich ab. Viele Betroffene halten die Art für skandalös, wie man mit ihnen während der Abwicklung und dem Verkauf von Unternehmensteilen von Air Berlin umgesprungen ist. ver.di will Betroffene wie die Flugbegleiter deshalb weiter unterstützen. „Air Berlin hat die Beschäftigten im Flugbetrieb nur widerruflich freigestellt, so dass sich hier viele Fragen und Probleme auftun. Gleichzeitig gewähren wir den Beschäftigen auch Rechtsschutz, um ihre Ansprüche gegenüber Air Berlin, den Arbeitsagenturen oder auch gegen die Erwerber zu sichern“, sagt Christine Behle, Leiterin des Fachbereichs Verkehr aus dem ver.di-Bundesvorstand.

Die besondere Situation der Flugbegleiter liegt jedoch auch in dem eigenständigen Vorgehen der Personalvertretung Kabine begründet, eine Art Betriebsrat der Flugbegleiter. Diese hatte vor dem Arbeitsgericht Berlin versucht, per einstweiliger Verfügung Kündigungen zu untersagen, weil es keine Verhandlungen über einen Sozialplan gegeben habe und das Unternehmen auch nicht Informationen über die Gebote der Bieter vorgelegt hätte. Von den Arbeitsrichtern wurde der Antrag jedoch als unbegründet abgelehnt, weswegen es nun keinen ausgehandelten Interessenausgleich oder Sozialplan gibt. Während das Unternehmen und die Personalvertretung sich gegenseitig die Verantwortung dafür zuschieben, ist nur die Konsequenz klar: die „widerrufliche Freistellung“.

Auf dem Rücken der Mitarbeiter

Die Abwicklung von Air Berlin erfolgte aus Sicht von ver.di in vielerlei Hinsicht auf dem Rücken der Mitarbeiter, obwohl sich die Insolvenz von Deutschlands zweitgrößter Airline schon lange angedeutet hatte und es genügend Zeit gab, bessere Lösungen zu finden. Seit dem Börsengang 2006 hatte das Unternehmen fast ausnahmslos rote Zahlen geschrieben und wurde seit 2011 nur noch mit Geldspritzen des größten Einzelaktionärs, der arabischen Fluglinie Etihad, am Leben gehalten.

Doch am 11. August zog auch Etihad die Reißleine und stellte die finanzielle Unterstützung ein. Prompt musste Air Berlin nur wenige Tage später Insolvenz anmelden. Um die sofortige Einstellung des Flugbetriebes zu verhindern – was Zehntausende Fluggäste in aller Welt hätte stranden lassen – sprang der Bund mit einem 150-Millionen-Euro-Kredit ein. Der half, den Flugbetrieb bis zum 28. Oktober aufrechtzuerhalten.

Diesen Schritt begrüßte auch ver.di. „Ohne Darlehen wäre der Flugbetrieb bereits zum 15. August eingestellt worden und alle Chancen auf einen Betriebsübergang oder eine Transfergesellschaft wären sofort weggewesen. Gegenüber der Politik haben wir aber auch deutlich gemacht, dass wir eine Verknüpfung des Darlehens mit der Sicherung von Arbeitsplätzen erwartet hätten. Das ist nicht geschehen“, kritisiert ver.di-Vorstand Christine Behle.

Ein Erhalt von Air Berlin als Gesamtunternehmen wurde von Beginn an ausgeschlossen. „Air Berlin als Ganzes hatte keine Zukunft: Die Schulden wären nicht zu stemmen gewesen und Dritte hätten uns das nötige Geld nicht zur Verfügung gestellt“, begründete Sachwalter Lucas Flöther in dem „SZ“-Interview das Vorgehen. Vor allem aber wollten Lufthansa, Easyjet & Co. einen Betriebsübergang für das Gesamtunternehmen verhindern, der Mitarbeitern bestimmte Schutzrechte einräumt.

Die meisten Mitarbeiter müssen sich neu bewerben

Also wurde die Airline in Einzelteile filetiert und einzeln abgewickelt, mit feinen, aber entscheidenden Unterschieden in den Details: Nur die Töchter Niki und die Luftfahrtgesellschaft Walter (LGW) übernahm die Lufthansa direkt. Dort gab es also einen Betriebsübergang, die Beschäftigten werden fest übernommen. Für alle anderen Teile lehnten Lufthansa und auch Easyjet vehement einen Betriebsübergang ab; als Folge müssen sich Beschäftigte nun quasi neu auf ihre eigenen Stellen bewerben. Begründet wird die Ablehnung eines Betriebsübergangs von den Käufern unter anderem mit dem Fehlen von materiellen Vermögenswerten (vor allem Flugzeugen). Air Berlin hatte zuletzt aus blanker Geldnot die eigenen Flugzeuge verkauft und teuer zurückgeleast.

Im Übernahmepoker bediente sich vor allem Lufthansa so mancher Tricks. Als die Airline am 12. Oktober die Übernahme von Niki und LGW bekannt gab, erwarb das Unternehmen zusätzlich auch 20 Flugzeuge von Air Berlin. Wohlgemerkt nur die Maschinen, eine dauerhafte Übernahme der Mitarbeiter gab es nicht. Die Situation jener Beschäftigten, die seit Jahresbeginn im sogenannten Wet-Lease für die Eurowings geflogen sind, ist daher besonders brisant. Viele von ihnen sind nur hierfür eingestellt worden und sollen sich jetzt auf ihren Arbeitsplatz bewerben. „Das ist skandalös. Hier hätten wir von Lufthansa mehr Verantwortung für die Beschäftigten erwartet“, sagt Christine Behle.

Die gewerkschaftliche Position war von Beginn des Insolvenzverfahren an eindeutig: „Unser Anliegen war, dass nicht nur Flugzeuge ihren Besitzer wechseln, sondern es auch einen Betriebsübergang für die Beschäftigten bei Air Berlin gibt. Für die Teile, die nicht auf einen Erwerber übergehen, sollte eine Transfergesellschaft eingerichtet werden“, sagt Christine Behle. Das Vorhaben für eine große Transfergesellschaft ist jedoch gescheitert, da weder Bund, Länder noch Lufthansa Geld dafür zur Verfügung stellen wollten.

ver.di handelt Transfergesellschaft mit aus

Anfang November konnte wenigstens eine Transfergesellschaft für 1.128 Bodenbeschäftigte ihre Arbeit aufnehmen, vorwiegend für Mitarbeiter in Berlin. Möglich wurde die Auffanglösung vor allem durch die Hilfe des Landes Berlin, das mehr als elf Millionen Euro als Zuschuss gewährt. Für Marco Steegmann vom ver.di-Bundesvorstand, der die Transfergesellschaft mit ausgehandelt hat, stehen die Chancen der Betroffenen, einen neuen Job zu finden, nicht schlecht. „Ich erwarte hohe Vermittlungsquoten in qualifizierte Jobs in den sechs Monaten der Transfergesellschaft“, sagt er.

Positiv für die Mitarbeiter sind inzwischen auch die Verhandlungen mit Easyjet verlaufen. Obwohl sich die Beschäftigten dort ebenfalls neu bewerben müssen, konnte ver.di mit Easyjet viele Erleichterungen vereinbaren. So werden den ehemaligen Air-Berlin-Beschäftigten ihre Beschäftigungszeiten anerkannt; Grundlage bei der Einstellung sind deutsche Arbeitsverträge zu den Konditionen der bestehenden Tarifverträge. „Da Easyjet nicht alle 1.000 Beschäftigten sofort einstellen kann, sondern nur zeitversetzt, wird zusätzlich zum Arbeitslosengeld ein gestaffeltes Überbrückungsgeld pro Wartemonat gezahlt“, erläutert Christine Behle. Das Problem derzeit: Es bewerben sich zu wenig Air-Berliner auf die Easyjet-Stellen. Der Berliner ver.di-Sprecher Andreas Splanemann appelliert deshalb an alle Betroffenen, sich zu bewerben und ihre „Chancen zu nutzen“, denn die Frist läuft nur bis Dezember.

WAS WIRD AUS DEN MITARBEITERN?

Wie viele von den rund 8.000 Mitarbeitern der Air Berlin ihren Job verlieren werden, ist auch zwei Wochen nach Einstellung des Flugbetriebes nicht genau klar. Soviel ist bekannt: Durch den Kauf der Tochterairline Niki und der Luftverkehrsgesellschaft Walter übernimmt die Lufthansa insgesamt 1.700 Beschäftigte; weitere 300 Arbeitsplätze der Techniksparte werden vom Berliner Logistikunternehmen Zeitfracht übernommen. Für 1.300 Beschäftigte besteht die Chance, über ein Bewerbungsverfahren bei der Lufthansa-Billigtochter Eurowings eingestellt zu werden. Der Ausgang ist offen, ver.di befürchtet jedoch, dass besonders ältere Mitarbeiter nur schlechte Chancen haben werden. Rund 1.000 Arbeitsplätze will Easyjet Ex-Air-Berlinern anbieten, dafür hat ver.di ein vereinfachtes Auswahlverfahren, niedrige Einstellungshürden und vergleichbare Vergütungen vereinbaren können. Selbst wenn alle angebotenen neuen Stellen ausschließlich mit Mitarbeitern von Air Berlin besetzt werden – was sehr unwahrscheinlich ist – stehen derzeit mindestens 3.700 Mitarbeiter auf der Straße, die Mehrheit von Ihnen Flugbegleiter.

Aufmacherfoto: D-ABNJ – Airbus A320-214 – Air Berlin von Pascal Volk unter CC BY-SA 2.0

Air Berlin/Etihad-Foto: D-ABNJ – Airbus A320-214 – Air Berlin von Javier Rodríguez unter CC BY-SA 2.0

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