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HBS Böckler Impuls

Arbeitsorganisation: Viel gearbeitet, wenig geschafft

Ausgabe 15/2009

Büro-Angestellte müssen zunehmend mehr Organisations- und Abstimmungsarbeit leisten, für ihre eigentlichen Aufgaben bleibt ihnen weniger Zeit. Das macht es schwer, faire Leistungsentgelte zu bestimmen.

Ob jemand Arbeiter oder Angestellter ist, spielt in Betrieben der Metall- und Elektroindustrie inzwischen keine Rolle mehr - seit dem neuen Entgeltrahmenabkommen (ERA) gibt es einheitliche Tarife für beide Gruppen. Mit der Zusammenlegung sind zahlreiche Neuerungen verbunden. So haben Betriebsräte nun nicht mehr nur ein Mitspracherecht bei der Leistungsvergütung von Arbeitern, sondern auch von Bürokaufleuten, Einkäufern, Ingenieuren. Keine leichte Aufgabe, wie eine Studie aus der ERA-Begleitforschung deutlich macht. Die Soziologen Nick Kratzer und Sarah Nies vom ISF München haben untersucht, wie die so genannte Leistungssteuerung bei Angestellten abläuft. Die Wissenschaftler stellen fest: Der Alltag besteht aus sehr viel Organisationsarbeit, die nur die Voraussetzung für die eigentliche Arbeit sind. Die tatsächlichen Leistungen von Angestellten sind darum in der Praxis kaum messbar. Kratzer und Nies stützen sich auf über 180 Interviews mit Führungskräften, Betriebsräten und Angestellten.

Büroarbeit heute: Zu viel zu tun, um arbeiten zu können.

Deutschlands Angestellte arbeiten zunehmend unter Leistungsdruck, so Kratzer und Nies. Ein wesentlicher Grund dafür sind zu ehrgeizige Zielvorgaben. Die Ziele werden in den Unternehmen von oben nach unten weiter gereicht: In der Regel bestimmt das Top-Management die Arbeitsziele mit Blick auf die gewünschte Rendite - ob sie realistisch sind, bleibt oftmals außer Acht. Kratzer und Nies sprechen von einer "systematischen Überforderung", die nach Ansicht des Managements die Beschäftigten zusätzlich motivieren soll. Die unteren Führungskräfte geben schließlich die Vorgaben an die einzelnen Beschäftigten weiter. Dabei haben sie kaum Gestaltungsspielräume. Sie können den Beschäftigten selten mehr Geld oder Zeit zuteilen, häufig überblicken sie nicht einmal die anfallende Arbeit. Darum gebe es in den meisten Büros eine Steuerungslücke, berichten die Wissenschaftler.

Die Steuerungslücke müssten die Angestellten selbst füllen. Sie organisieren ihren komplexen Arbeitsablauf selbst, stimmen sich in einem fort mit Kollegen, mit anderen Abteilungen und Kunden ab. Außerdem müssen sie umfangreiche Controlling- und Reporting-Pflichten erfüllen - denn die Arbeitsebene hat zwar mehr formale Freiheiten, ihre Zwischenergebnisse werden jedoch regelmäßig überprüft, so die Studie. Selbststeuerung und Controlling müssen zusätzlich zur Kernarbeit geleistet werden. Nahezu alle Befragten beschreiben es als Problem, dass für die eigentliche Aufgabe immer weniger Zeit bleibt: "Organisationsarbeit ist auch schwer greifbare Arbeit, sie ist genau der Grund, warum Beschäftigte sagen: So viel gearbeitet und nichts geschafft."

Einige Angestellte äußerten in den Interviews den Wunsch nach mehr leistungsbezogenen Entgeltanteilen - in der Hoffnung, so eine gerechtere Vergütung für ihre Arbeit zu erreichen. Diese Haltung entspringe einem systematischen Anerkennungsdefizit, schreiben Kratzer und Nies. Die beiden Forscher rechnen jedoch nicht damit, dass sich der Mangel an Anerkennung durch mehr variable Vergütung beheben lässt. Die bislang in Zielvereinbarungen vorgesehenen Leistungsentgelte berücksichtigen kaum die wachsende Bedeutung der Organisationsarbeit und der Selbststeuerung. Zudem entstünden Zielvereinbarungen - die bisher ohne Begleitung durch Betriebsräte getroffen wurden - erfahrungsgemäß nicht aus fairen Verhandlungen gleichberechtigter Partner.

Verbündete gegen die Kennzahlen.

Die Befragten lehnen überwiegend die "rein instrumentelle Arbeitsauffassung" der Zielvorgaben ab und bezeichneten sich als fachlich motiviert: "Man will einfach gute Arbeit abliefern und freut sich am positiven Feedback der Kunden." Die ertragsorientierte Steuerung werde als ­Angriff auf ihr Selbstverständnis wahrgenommen, so die Studie. Die Angestellten sehen sich "als jemand, den man eben nicht per Vorgaben und Controlling zum Erfolg treiben muss". Unter den Befragten schöpft eine große Mehrheit ihre persönliche Arbeitszufriedenheit nicht aus bezifferbaren Erfolgen. Die meisten Beschäftigten kannten den Umfang ihrer leistungsbezogenen Vergütung gar nicht.

Kratzer und Nies schildern zwei Arten, mit dem Druck der Zielvereinbarungen umzugehen: Ein Teil der Angestellten nehme die verpflichtenden Kennzahlen zwar zur Kenntnis, ordne sie aber einer Parallelwelt zu, "von der sie zwar belästigt werden, die aber im Grunde nichts mit ihnen und ihrer Arbeit zu tun hat." Andere drehten das Verhältnis von Arbeitszufriedenheit und betrieblicher Kennziffer um: Nur wenn der Kunde tatsächlich zufrieden ist, freue man sich auch über den ökonomischen Erfolg. Der Kunde und seine Bedürfnisse würden zum Verbündeten, so die Wissenschaftler, um fachliche Ansprüche gegen den Rationalisierungsansatz des eigenen Unternehmens zu verteidigen.  

Textbox:

Die Welt der Zielvorgaben

Es gibt zahlreiche Formen von Zielvorgaben, manche sind mit variablen Leistungsentgelten verbunden:

  • Beim Akkordlohn wird meist eine für alle Arbeiter gültige Leistung bestimmt, die ein zusätzliches Entgelt rechtfertigt.
  • Zielvereinbarungen werden individuell je Beschäftigtem getroffen. Die Leistungskriterien formulieren Führungskraft und Mitarbeiter im Idealfall gemeinsam. Die Mitsprachemöglichkeiten von Betriebsräten sind begrenzt.
  • Prämien hingegen sind in Betriebsvereinbarungen geregelt, es handelt sich also um Übereinkünfte von Arbeitgebern und Betriebsrat.
  • Für Beurteilungen gibt es Vorschriften in Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen, die konkrete Auslegung liegt allein beim Vorgesetzten.

Kratzer, Nick, Nies, Sarah: Neue Leistungspolitik bei Angestellten, Reihe: Forschung aus der Hans-Böckler-Stiftung, Bd. 102, Berlin, edition sigma  2009

mehr Infos zum Projekt

Tarifpolitik: Blauer Kragen, weißer Kragen: Eine überholte Unterscheidung verschwindet, in: Böckler Impuls 03/2008

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