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HBS Böckler Impuls

Bildungssystem: Uni-Reformen: Weniger Raum für Kreativität

Ausgabe 18/2010

Erfindergeist lässt sich nicht verordnen. Neue Ideen gedeihen am besten in wenig formalisierten Strukturen, zeigt eine Studie. Universitäten nach dem Vorbild von Unternehmen straffer zu organisieren, dürfte ihre Innovationskraft daher eher schwächen als stärken.

Unter welchen Rahmenbedingungen entstehen technologische Innovationen, die zu Firmengründungen führen? Eine Studie der Uni Jena hat dies am Beispiel von Hochschul-Ausgründungen untersucht. Der Soziologieprofessor Klaus Dörre und Matthias Neis haben die Gründungsprozesse von sieben aus den Universitäten Chemnitz, Dortmund und Halle hervorgegangenen IT-Unternehmen analysiert. Ihr Augenmerk galt besonders den organisatorischen Strukturen  der jeweiligen Uni. Bei ihrer Untersuchung zeigte sich: Innovationen entstehen nicht dort, wo die Verwaltungsstrukturen als sehr modern und effizient gelten, sondern eher in einem Umfeld, das die Forscher als "organisierte Anarchie" beschreiben. Arbeitsprozesse, aus denen sich innovative Unternehmen entwickeln, "lassen sich nicht planen, nicht anordnen und auch nicht auf Abruf in Gang setzen", schreiben Dörre und Neis. Vielmehr bestehe die Gefahr, dass die Umgestaltung der Universitäten nach betriebswirtschaftlichen Kriterien gerade die kreativen Freiräume schließt, in denen neue Ideen am besten gedeihen können.

Wie aus Forschungsergebnissen Produkte werden. Abgeleitet aus ihren Beobachtungen skizzieren die Wissenschaftler ein typisches Entwicklungsmuster: Innovationen entstehen durch gemeinsame Arbeitsprozesse - häufig in den Nischen der formalen Organisationsstruktur. Ein konkreter Nutzen, etwa im Sinne eines universitären Leitbildes, ist zunächst kaum erkennbar. Die treibende Kraft sind oft Personen, die in der Uni-Hierarchie nicht besonders hoch stehen: Studierende, Doktoranden, wissenschaftliche Mitarbeiter. Also Leute, die nicht so viel Einfluss haben, dass sie ihr Projekt zum offiziellen Arbeitsprogramm erklären können. "Die vermeintlich ineffiziente Organisationsstruktur bietet ihnen jedoch Räume für zunächst meist informelle Arbeitsprozesse, die schließlich in eine erfolgreiche Unternehmensgründung münden können", so Dörre und Neis.

Allerdings müssen noch weitere Faktoren dazukommen. Als besonders wichtig erwies sich die Unterstützung durch einen prominenten Fürsprecher aus dem Forschungsbetrieb. Die "unsichtbaren Unternehmer" brauchen einen "sichtbaren Wissenschaftler" an ihrer Seite, schreiben die Forscher. Dazu bedarf es eines bestimmten Professorentyps, der sowohl innerhalb der Wissenschaftsgemeinde als auch in der außeruniversitären Öffentlichkeit über Kontakte und Reputation verfügt. Diese Professoren helfen, Zugänge zur regionalen Wirtschaft zu schaffen und bringen die Unis dazu, die nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Ansonsten bleiben sie im Hintergrund. So entstehen "Wissenschafts-Anwendungsnetzwerke", die schließlich zur akademischen Ausgründung führen.

Die Gefahren neuer Steuerungsmodelle. Die Uni-Reformen der vergangenen Jahre zielten der Studie zufolge in Richtung "unternehmerische Universität". Gewünscht sei, dass Universitätsleitungen dem Management von Großunternehmen immer ähnlicher werden. Ein erhoffter Effekt: mehr Innovationen. Doch zeigen die Beobachtungen der Forscher, dass die Verwaltungsorgane meist "über keine zureichende Vorstellung jener Arbeitsprozesse verfügen", die hinter Innovationen stehen. Noch scheitert der Versuch, Unis mit einer auf Effizienz bedachten "Top-down-Strategie" zu führen, häufig am Widerstand der Professoren. Trotz der Widerstände gewinnen betriebswirtschaftliche Steuerungsmodelle - mehr Konkurrenz, mehr Kontrolle, Leistungsüberprüfung durch Kennzahlen - an den Unis aber an Bedeutung, so die Autoren.

Die Wissenschaftler warnen: Versuche, die akademische  Konkurrenz an messbaren Indikatoren auszurichten, laufen zwangsläufig darauf hinaus, Nischen und Freiräume der Forscher zu beschränken. Rigide Kontrollmechanismen könnten die potenziellen Entrepreneurs verprellen statt ihre Motivation zu fördern. Die besten Voraussetzungen für die Entstehung innovativer und marktfähiger Produkte sei ein Klima, das die wissenschaftliche Kooperation und den Mut zum Experiment fördert, nicht aber Konkurrenz forciert, schreiben Dörre und Neis.

  • Über die Jahrzehnte haben unterschiedliche Leitbilder die Hochschulpolitik dominiert. Gegenwärtig orientieren sich viele Hochschulpolitiker am Leitbild der "Hochschule im Wettbewerb" - und beschneiden den Raum für Innovationen. Zur Grafik

Klaus Dörre und Matthias Neis: Das Dilemma der unternehmerischen Universität - Hochschulen zwischen Wissensproduktion und Marktzwang, edition sigma, Berlin 2010

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