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HBS Böckler Impuls

Arbeitsmarkt: Leiharbeit: Nachbarn regulieren besser

Ausgabe 12/2009

Tausende von Leiharbeitern haben 2009 ihren Job verloren. Doch Wissenschaftler rechnen damit, dass sich der Leiharbeitsboom im nächsten Aufschwung fortsetzt. Sie raten, die Arbeitsbedingungen in der Branche nach dem Vorbild anderer Länder zu verbessern.

Bis zum Ausbruch der Wirtschaftskrise hat die Leiharbeit in ganz Europa zugenommen. Aber nicht überall ist in den Betrieben eine Zwei-Klassen-Gesellschaft entstanden. Forscher des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ) haben gesetzliche und tarifliche Regulierungsmodelle in einigen europä­ischen Ländern untersucht. Aus ihren Analysen ergeben sich Ansatzpunkte für eine Neuregulierung in Deutschland.

Frankreich hat einen Leiharbeitsmarkt mit "vergleichsweise starker" gesetzlicher Regulierung, schreiben die IAQ-Forscher. Das Prinzip gleiches Geld für gleiche Arbeit (Equal Pay) gelte hier - im Gegensatz zu Deutschland - uneingeschränkt. So bekommen Leiharbeitskräfte in jedem Fall den im Entleihunternehmen üblichen Grundlohn. Dieser kann nicht unter den gesetzlichen Mindestlohn von 8,82 Euro fallen. Zusätzlich haben sie Anspruch auf eine so genannte Prekaritätsprämie in Höhe von zehn Prozent der Bruttolohnsumme. Entsprechend spielt das bei der Leiharbeit "in Deutschland immer stärker werdende Motiv der Per­­sonalkostensenkung" in Frank­reich eine geringere Rolle, so das IAQ. In vieler anderer Hinsicht sind deutscher und französischer Leiharbeitsmarkt hingegen vergleichbar: Persönliche Merkmale, Einsatzgebiete und Anteil der Leiharbeitskräfte an den insgesamt Erwerbstätigen ähneln sich. In beiden Ländern ist der typische Leiharbeitnehmer jung, männlich und arbeitet im Produzierenden Gewerbe auf einer Stelle mit niedrigen bis mittleren Anforderungen. Allerdings ist die durchschnittliche Beschäftigungsdauer in Frankreich noch kürzer als in Deutschland. Meist werden Arbeitsverträge nur für die Dauer eines Einsatzes im Entleihbetrieb geschlossen. Eine weitere französische Besonderheit besteht in den gesetzlichen Vorschriften zur Weiterbildung: Zeitarbeitsfirmen müssen 2,15 Prozent ihrer Lohnsumme in einen Qualifizierungsfonds einzahlen, aus dem Fortbildungsmaßnahmen für Leiharbeitskräfte bezahlt werden. Laut IAQ "ein interessanter Ansatz, um Phasen der Arbeitslosigkeit zu überbrücken und die Arbeitsmarktchancen zu erhöhen".

Österreich ist der Untersuchung zufolge ein Beispiel für relativ erfolgreiche tarifvertragliche Regulierung. Hier gebe es "klar erkennbare Ansätze zur Reduzierung der Unterschiede zwischen externen und internen Beschäftigten". Für Leiharbeitnehmer gelten tarifliche Mindestlöhne, für Ungelernte wenigstens 7,63 Euro. Sie dürfen weder während eines Einsatzes noch in verleihfreien Zeiten unterschritten werden. Beim Einsatz in Hochlohnbranchen wie Metall oder Chemie kommen so genannte Referenzzuschläge von bis zu 19 Prozent hinzu, die die Lohndifferenz zwischen Verleih- und Entleihbetrieb reduzieren. In einigen Einsatzbetrieben gibt es Betriebsvereinbarungen, die weitere Aufschläge vorschreiben. Sind Leiharbeitskräfte ein halbes Jahr in einem Betrieb beschäftigt, gelten für sie zudem alle Betriebsvereinbarungen und Sonderleistungen.

Schweden hat kaum spezielle gesetzliche Regelungen zur Leiharbeit. Dennoch beschreiben die Wissenschaftler den schwedischen Leiharbeitsmarkt als "hoch reguliert". Die Branche sei, ähnlich wie in Dänemark, dank der relativ starken Gewerkschaften "tarifvertraglich gezähmt". Leiharbeitskräfte haben in der Regel unbefristete Vollzeitstellen. Das Equal-Pay-Prinzip ist zumindest für Arbeiter in Kollektivverträgen festgeschrieben. Der entsprechende Tarifvertrag für Angestellte sieht eine individuelle Aushandlung des Gehalts vor. Die Gesamteinschätzung der IAQ-Forscher: "Im Gegensatz zu Deutschland ist es den Tarifparteien in Schweden gelungen, im Rahmen des herkömmlichen Systems der industriellen Beziehungen akzeptable Regelungen zu schaffen." Die Strategie der DGB-Gewerkschaften, über den Weg der Tarifpolitik gleiche Lohn- und Arbeitsbedingungen zu erreichen, ist demgegenüber bislang an der Unterbietungskonkurrenz der christlichen Gewerkschaften gescheitert.

Die Niederlande würden zwar oft als vorbildlich bezeichnet, was "die Verbindung von Sicherheit und Flexibilität bei der Zeitarbeit" betrifft, heißt es in der IAQ-Studie. Daran seien jedoch Zweifel angebracht, denn einige wichtige Verbesserungen des Status von Leiharbeitskräften greifen erst, wenn sie bereits lange in der Branche oder sogar beim selben Verleiher beschäftigt sind. Dies betrifft etwa den Anspruch auf Lohnfortzahlung in verleihfreien Zeiten. In der Praxis profitieren hiervon aber nur wenige, weil rund drei Viertel der Leiharbeitskräfte erst kurz, das heißt weniger als 18 Monate, in der Branche tätig sind. Vom gesetzlichen Grundsatz der gleichen Bezahlung kann wie in Deutschland durch Tarifvertrag abgewichen werden - und dies ist die übliche Praxis. Allerdings ist der wichtigste Zeitarbeitstarifvertrag in den Niederlanden für allgemeinverbindlich erklärt worden. Außerdem ist tariflich geregelt, dass Leiharbeitskräfte zumindest bei längeren betrieblichen Einsätzen von mehr als sechs Monaten einen Anspruch auf gleiche Bezahlung haben.

Das IAQ resümiert, der Blick auf die Regelungen in anderen europäischen Ländern lasse verschiedene Möglichkeiten erkennen, um die ausgeprägten Lohnunterschiede zwischen Stamm- und Randbelegschaften zu verringern: Gleiche Bezahlung plus Prekaritätsprämie wie in Frankreich oder zumindest Referenzzuschläge bei Einsätzen in Hochlohnbranchen wie in Österreich. Wenigstens bei längeren be­trieb­lichen Einsätzen sollte Equal Pay wie in den Niederlanden gelten, um finanzielle Anreize zur Ausweitung der Leiharbeit zu begrenzen.

  • In den Jahren vor der Wirtschaftskrise nahm die Zahl der Leiharbeiter nicht nur in Deutschland mit zweistelligen Raten zu. Zur Grafik

Achim Vanselow, Claudia Weinkopf: Zeitarbeit in europäischen Ländern - Lehren für Deutschland? (pdf), Expertise für die Hans-Böckler-Stiftung, Juli 2009

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