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HBS Böckler Impuls

Deregulierung: Post prekär: Wenn der Minijobber klingelt

Ausgabe 09/2007

2008 soll die Deutsche Post ihr Zustell-Monopol für Briefe bis 50 Gramm verlieren. Es droht ein Verdrängungswettbewerb zulasten von Löhnen und Arbeitsbedingungen - so wie im bereits liberalisierten Teil des Marktes.

Das Briefgeschäft in Deutschland stagniert. Der Kampf um Marktanteile wird künftig vor allem über die Lohn- und Arbeitskosten ausgetragen. Das prognostizieren Torsten Brandt, Kathrin Drews und Thorsten Schulten in einem Beitrag für die WSI-Mitteilungen. Die Wissenschaftler konstatieren: "Schon heute basiert das Wettbewerbsmodell der meisten neuen Postunternehmen auf der Ausnutzung von prekären Beschäftigungsverhältnissen und der Zahlung von Niedrig- und Armutslöhnen."

Der Briefmarkt ist bislang etwa zur Hälfte für den Wettbewerb geöffnet. Laut Bundesnetzagentur gibt es neben der Deutschen Post derzeit circa 750 aktive neue Postdienste, darunter eine Handvoll Großunternehmen und viele nur auf Regionalmärkten tätige Kleinunternehmen. Die neuen Anbieter hatten 2005 rund 46.000 Beschäftigte - bislang ohne Tarifvertrag und in 96 Prozent der Fälle ohne Betriebsrat. Die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich erheblich von denen der Deutschen Post: Bei den Neuen arbeiteten 2005 nur 18 Prozent der Mitarbeiter in Vollzeit, 60 Prozent waren Minijobber. Die Deutsche Post beschäftigte im gleichen Jahr hingegen knapp zwei Drittel ihres Personals in der Briefsparte mit voller Stundenzahl und hatte lediglich eine Minijobber-Quote von 4 Prozent. Nach einer Untersuchung der Beratungsfirma Input Consulting liegen die durchschnittlichen Lohnkosten der beiden größten Post-Konkurrenten PIN Group und TNT je nach Beschäftigtengruppe um 30 bis 60 Prozent unter dem Niveau der früheren Staatspost. Bruttostundenlöhne von etwas über fünf Euro sind keine Seltenheit. Viele der neuen Briefträger sind zusätzlich auf Arbeitslosengeld II angewiesen.

Doch die bisherigen Liberalisierungsschritte haben auch bei der Deutschen Post tiefe Spuren hinterlassen, stellen die Forscher fest. So ging der Abbau von gut 28.000 Arbeitsplätzen im lizenzpflichtigen Briefgeschäft zwischen 1999 und 2005 zwar ohne betriebsbedingte Kündigungen vonstatten. Viele Beschäftigte mussten im Gegenzug aber längere Arbeitszeiten, weniger arbeitsfreie Tage, Versetzungen, Teilzeitarbeit oder Änderungskündigungen hinnehmen. In neu gegründeten Tochtergesellschaften gelten teilweise niedrigere Tariflöhne. Neu Eingestellte erhalten bis zu 30 Prozent weniger Lohn als Kollegen, für die Bestandsschutzregeln gelten.

Der Startschuss zur Liberalisierung war bereits 1989 mit der Aufspaltung der Bundespost gefallen. 1995 folgte die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft - nachdem der Bundestag die Briefzustellung per Grundgesetzänderung von einer hoheitlichen zur privatwirtschaftlichen Aufgabe umdeklariert hatte. Inzwischen ist der Konzern mehrheitlich in privater Hand, die Aktien werden vorwiegend von institutionellen Investoren im Ausland gehalten.

Die deutsche Post-Liberalisierung "vollzog sich im Großen und Ganzen im Einklang mit den von der Europäischen Kommission vorgesehenen Liberalisierungsschritten", analysieren die Wissenschaftler. In mancher Hinsicht sei Deutschland jedoch sogar über die EU-Vorgaben hinausgegangen und habe den Markt schneller geöffnet als andere Länder. Folge: De facto ist die Wettbewerbsintensität auf dem deutschen Briefmarkt mit am größten in Europa, so die Einschätzung der Experten.
Der endgültige Wegfall des Briefmonopols 2008 könnte die Deutsche Post nach Ansicht des Managements 20 Prozent ihres Marktanteils kosten - und damit 32.000 Arbeitsplätze gefährden. Verringern ließen sich die Jobverluste allenfalls mit einer massiven Senkung der Arbeitskosten, durch die letztlich die gesamte Branche "in die Zone von Armutslöhnen abgleitet", so Walter Scheuerle, Arbeitsdirektor der Post AG. Um dies zu verhindern, dürfe es keine weitere Liberalisierung ohne eine Re-Regulierung des Postsektors geben, schreiben Brandt, Drews und Schulten. Dazu gäbe es verschiedene Möglichkeiten:

=> Abschluss eines Flächentarifvertrags, der für die gesamte Branche einheitliche Wettbewerbsbedingungen bei Lohn- und Arbeitskosten schafft. Die Politik könnte dies durch den Einsatz von Tariftreueklauseln fördern, sprich: Behördenpost nur von tarifgebundenen Unternehmen befördern lassen.

=> Einführung eines allgemeinen gesetzlichen Mindestlohns.

=> Die Bundesnetzagentur könnte von der so genannten Sozialklausel im Postgesetz Gebrauch machen. Sie ermöglicht es, Wettbewerbern, die die üblichen Arbeitsbedingungen "nicht unerheblich unterschreiten", die Lizenz zu verweigern. Als Vorbild könnte die Schweizer Regulierungsbehörde dienen, die einen umfassenden Kriterienkatalog zur Bestimmung branchenüblicher Arbeitsbedingungen heranzieht.

  • Die Arbeitsverhältnisse bei den neuen Postdienstleistern sind oft prekär. Zur Grafik

Torsten Brandt, Kathrin Drews, Thorsten Schulten: Liberalisierung des deutschen Postsektors - Auswirkungen auf Beschäftigung und Tarifpolitik, erscheint in: WSI-Mitteilungen 5/2007. Download (pdf)

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