zurück
Homeoffice bleibt Böckler Impuls

Arbeitswelt: Homeoffice bleibt

Ausgabe 02/2023

Die Coronakrise hat dem Homeoffice zum Durchbruch verholfen. Das verändert die Ökonomie in den Industrieländern und könnte zu neuen sozialen Spannungen führen.

Daheim zu arbeiten war für die meisten Menschen jahrhundertelang normal. Erst mit der industriellen Revolution setzte sich die strikte räumliche Trennung von privatem Lebensraum und Erwerbssphäre durch – dann aber mit Nachdruck. Die Arbeit im Betrieb entwickelte sich zum Standardmodell, von dem bis in die jüngste Zeit kaum abgewichen wurde, obwohl mobile Arbeit für etliche Tätigkeiten schon länger technisch möglich war. Erst Corona veränderte festgefügte Vorstellungen und eingeübte Routinen nachhaltig. Zu dieser Einschätzung gelangen Daniel Lorberg und Holger Janusch. Die Politikwissenschaftler betrachten die Coronakrise als einen kritischen Bruch in der Entwicklung der globalen Ökonomie, der die Arbeitsorganisation auf einen neuen Entwicklungspfad führen könnte. Allerdings gilt das vor allem für einen Teil der Wirtschaft, nämlich „für die Arbeitsweise von Angestellten, Beschäftigten mit höherer Bildung und Einkommen, in Bereichen wie Management, IT, Finanzen und Recht sowie in Industrieländern mit hohen Einkommen“. 

Von Führungskräften, aber auch von vielen anderen Beschäftigten wurde die Gleichsetzung von Arbeit und Anwesenheit lange nicht hinterfragt. Von den einen nicht, weil sie die bewährten Kontroll- und Belohnungsstrukturen für unverzichtbar hielten, von den anderen nicht, weil sie um die Trennung von Berufs- und Privatsphäre fürchteten. In der Pandemie wechselten jedoch zeitweilig mehr als 40 Prozent der Beschäftigten in Deutschland ins Homeoffice, in anderen Industrieländern war die Entwicklung ähnlich. Wäre Corona mit einer einzigen Lockdownphase ausgestanden gewesen, vermuten die Wissenschaftler, hätten die Unternehmen danach wieder zu den alten Mustern zurückkehren können. Homeoffice wäre nichts weiter als eine Episode gewesen. Doch das Arbeiten im Krisenmodus zog sich hin. Im Laufe der Zeit haben Unternehmen investiert, um die letzten Hindernisse zu beseitigen, die der Arbeit „ohne räumliche Bindung“ entgegenstanden: Sie haben Notebooks angeschafft und die stationären Computer ausgemustert, Akten wurden digitalisiert, Beschäftigte im Umgang mit neuen Technologien geschult.  

Vor allem aber haben sich Einstellungen verändert: Drei Viertel der Beschäftigten, die das Arbeiten zu Hause in Corona-Zeiten kennengelernt haben, wollen Befragungen zufolge auch weiterhin wenigstens teilweise im Homeoffice tätig sein. Nur noch 15 Prozent sagen, dass ihren Vorgesetzten Anwesenheit sehr wichtig sei; vor der Pandemie waren es noch 60 Prozent. Der Anteil der Beschäftigten, die angeben, ihnen sei die Trennung zwischen Arbeit und Privatleben und die Zusammenarbeit mit Kolleginnen und Kollegen wichtig, ist ebenfalls erheblich gesunken. 

Die Uhr lässt sich nach Einschätzung von Lorberg und Janusch nur schwer zurückdrehen. Die Forscher betonen aber, dass sich Veränderungen auf eine bestimmte Gruppe beschränken. Krankenpflege, ärztliche Behandlung, Kinderbetreuung, Handwerksleistungen oder Logistik werden auch in Zukunft nicht am Heimarbeitsplatz stattfinden können. Es sind die qualifizierten Angestelltenjobs in Großunternehmen, bei denen sich Homeoffice weiter etablieren dürfte. 

Und damit werden neue Spaltungslinien sichtbar: nach Beruf und Tätigkeitsprofil, Bildungsstand und Einkommen, aber auch nach Unternehmensgröße. Größere Firmen, in denen räumliche Nähe zwischen den Beschäftigten ohnehin eine geringere Rolle spielt und die größere Kapazitäten zur professionellen Umorganisation der Arbeit haben, werden beim Homeoffice die Nase vorn haben – was sie wiederum attraktiver für qualifizierte Arbeitssuchende macht. Diejenigen, die bereits heute am meisten von der Digitalisierung profitieren, können ihre Wettbewerbsvorteile weiter ausbauen. Zudem vergrößern sich ihre Freiheiten bei der Standortwahl, wenn qualifizierte Beschäftigte nicht mehr jeden Tag ins Büro kommen müssen. Damit dürfte es gerade transnational tätigen Unternehmen leichter fallen, sich gewerkschaftlicher und politischer Regulierung zu entziehen, fürchten die Forscher. Zumal die Solidarität zwischen den Beschäftigten durch die Spaltung in eine Homeoffice- und eine Präsenzklasse auf eine harte Probe gestellt werde.

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen