zurück
HBS Böckler Impuls

Ältere Beschäftigte: Dem Erfahrungsverlust vorbeugen

Ausgabe 07/2009

Arbeitskräfte werden im nächsten Jahrzehnt im Schnitt deutlich älter sein. Die Betriebe müssen jetzt dafür sorgen, dass die Beschäftigten lange im Beruf durchhalten - sonst droht ihnen ein erheblicher Verlust an Erfahrungswissen.

Die gegenwärtigen Arbeitsbedingungen in Deutschland können ernste Folgen haben: Viele Beschäftigte müssen zum Ausklang des Arbeitslebens mit Erwerbslosigkeit und Gesundheitsschäden rechnen, viele Firmen mit einem Verlust an wertvollem Erfahrungswissen. Davor warnt Ernst Kistler, Direktor des Internationalen Instituts für Empirische Sozialökonomie (INIFES). Denn derzeit scheiden viele Arbeitnehmer aufgrund von gesundheitlichen Belastungen und verkümmernden Kompetenzen vorzeitig aus dem Berufsleben aus.

Die Frage, wie die Beschäftigten möglichst lange fit bleiben, wird immer drängender. Der Anteil der 55- bis 64-Jährigen an den potenziellen Arbeitskräften wächst bis 2025 um gut 40 Prozent, in manchen Regionen um bis zu 75 Prozent. Nur eine Minderheit der Arbeitgeber kümmert sich bislang um dieses Problem. Ein Gesamtkonzept aus Gesundheitsprävention, Qualifizierung und altersgerechten Arbeitsplätzen bieten nur wenige Betriebe, so Professor Kistler, der für die Hans-Böckler-Stiftung den Forschungsstand zusammengefasst hat.

Gesundheitsprobleme und verkümmernde Kompetenzen. Jeder dritte Beschäftigte fürchtete 2008, aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zur Rente im Beruf bleiben zu können. "Bereits der Durchschnittswert ist ein höchst bedenklicher Befund", sagt Kistler. In einzelnen Branchen liegen die Werte deutlich höher. Am Bau erwarten 68 Prozent der Beschäftigten, nicht durchhalten zu können, im Gesundheitswesen 42 Prozent. Die subjektiven Einschätzungen seien realistisch, so der Forscher. Sie spiegeln sich gut mit dem berufsspezifischen Risiko, eine Erwerbsminderungsrente zu benötigen. Zusätzlich höhlen einseitig unterfordernde Arbeit und wenig Abwechslung die Qualifikationen aus. Berufliche Spezialisierungen bergen das Risiko, auf ein Abstellgleis zu kommen.

Trotzdem sind spezifische Maßnahmen zur Förderung der Arbeitsfähigkeit Älterer in den Betrieben die Ausnahme, beobachtet Kistler. Obwohl das Thema Demografie in den Jahren 2002 bis 2006 viel Aufmerksamkeit fand, gab es einen Rückgang an Weiterbildungsangeboten. Zwar kümmern sich heute mehr Betriebe um das Thema Qualifizierung. Doch der Anteil der geförderten Beschäftigten sank. Vornehmlich werden bereits gut ausgebildete Beschäftigte weiter geschult. Politische Entscheidungen haben diesen Trend befördert, erklärt Kistler: Die Arbeitsmarktpolitik habe eine große Zone atypisch Beschäftigter geschaffen - und die hat kaum Zugang zu Weiterbildung. Es fehle ein Bundes-Weiterbildungsgesetz, bemängelt der Wissenschaftler. Außerdem sei es von Nachteil, dass die Infrastruktur ausgedünnt wurde: "Ob mit dem dramatischen Herunterfahren von Weiterbildungsmaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit wirklich ein sinnvoller Weg beschritten wurde, kann bezweifelt werden."

Prävention und altersgerechte Arbeitsplätze. Auch beim Thema Prävention gibt es Lücken. "In kleineren Betrieben und leider auch in manchen Branchen mit besonders gesundheitsabträglichen Arbeitsbedingungen bestehen noch große Defizite", so die Studie. Der Arbeitsschutz werde zu wenig kontrolliert, bemängelt Kistler. Nur etwa 17 Prozent der Unternehmen mit über 50-Jährigen praktizieren altersgerechtes Arbeiten; der Anteil dieser Betriebe war zuletzt rückläufig. Kistler berichtet von der Furcht vor Missverständnissen: Gezielt Arbeitsplätze für Ältere gestalten - das könnte so aussehen, als würden Schonarbeitsplätze ­geschaffen. Am besten werde die Beschäftigungsfähigkeit Älterer durch integrierte Ansätze erhalten, so der Ökonom. Gesundheitsförderung und Kompetenzerhalt müssten Hand in Hand gehen. Und die Betriebe sollten sich nicht nur an die Älteren wenden - denn schon früh in der Erwerbsbiografie kann es sich entscheiden, ob es jemand lange im Arbeitsleben aushält.


Textbox
Mehr Ältere
Gegenwärtig gibt es noch relativ wenig ältere Beschäftigte: Wer heute zwischen 55 und 65 ist, kam in den geburtenschwachen Jahren nach dem Krieg zur Welt. In den nächsten 15 Jahren gehen die so genannten Babyboomer auf das Rentenalter zu. Diese Altersgruppe ist stark ins Berufsleben eingebunden, der Anteil nicht erwerbstätiger Frauen ist klein. Zudem werden die Alten der kommenden Jahre aus finanziellen Gründen länger arbeiten müssen - das verlangen die bei einem vorzeitigen Rentenbeginn fälligen Rentenabschläge. Der Druck würde durch die Rente mit 67 nochmals zunehmen. Die habe der Staat eingeführt, so Kistler, "ohne dass die Betriebe und die Arbeitsmarktpolitik die Voraussetzungen dafür schaffen, dass die Menschen auch länger arbeiten können".

  • Viele Beschäftigte müssen zum Ausklang des Arbeitslebens mit Erwerbslosigkeit und Gesundheitsschäden rechnen. Jeder Dritte befürchtete 2008, aus gesundheitlichen Gründen nicht bis zur Rente im Beruf bleiben zu können. Zur Grafik

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen