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Wahlkämpfer Nikolaos Sakellariou am Küchentisch in Schwäbisch Hall: „Man muss vor dem Streit mit großen Tieren keine Angst haben, wenn man sich gut vorbereitet und gute Argumente hat.“ Stipendien

Altstipendiat: Der Kämpfer

Ausgabe 03/2011

Der Altstipendiat und Politiker Nikolaos Sakellariou geht selten Konfliten aus dem Weg.

Von Carmen Molitor

Sehr hohe Stirn, Brille, ein Dreitagebart und ein wacher Blick - an allen Ecken seines Wahlkreises Schwäbisch Hall kann Nikolaos Sakellariou auf SPD-roten Plakaten in sein eigenes Spiegelbild blicken. Der 49-Jährige will Ende März wieder in den baden-württembergischen Landtag einziehen, in dem er seit 2001 sitzt. Endspurt vor einer Wahl, auf die ganz Deutschland gespannt schaut, seit sich ausgerechnet im braven Ländle der massive Widerstand gegen das Bahnprojekt Stuttgart 21 formierte und die deutsche Sprache um den Begriff "Wutbürger" bereicherte. Sakellarious Kalender ist voll, ein Wahlkampftermin jagt den nächsten. Aber äußerlich merkt man ihm den Stress nicht an, als er an diesem Morgen am Küchentisch seiner Wohnung in Schwäbisch Hall-Hessental sitzt und lebhaft gestikulierend davon erzählt, wie er dorthin kam, wo er heute ist.

Sakellariou ist Sohn einer deutschen Krankenschwester und eines griechischen Fotografen. Seine Mutter hatte sich während der Au-pair-Zeit verliebt, blieb in Athen, heiratete und bekam drei Kinder. Als Sakellariou sieben Jahre alt war, zog die Familie nach Deutschland, damit die Kinder auf Wunsch der Mutter eine deutsche Schulbildung erhielten. "Sie wollte auch unbedingt, dass wir das Abitur schaffen", erzählt er. Ein hartes Stück Arbeit, vor allem als der Vater sich von der Familie trennte und zurück in seine Heimat ging. Das Geld war knapp, zeitweise lebte die Mutter im Schwesternwohnheim. Ihr Sohn Nikolaos verkraftete die Scheidung nur schwer, geriet in Schlägereien, galt als schwer erziehbar. Die Wende kam, als das Jugendamt ihm einen Aufenthalt in einem christlichen Internat finanzierte. Die Gemeinschaft tat dem Jungen gut. Er übte ein, was sich wie ein roter Faden durch sein Leben ziehen würde: sich mutig für seine Rechte und die Rechte anderer einzusetzen, auch wenn es massive Gegenwehr gibt. "Klassensprecher, Schülersprecher, das ist mir relativ schnell angetragen worden", erinnert sich der Sozialdemokrat. "Das habe ich gerne gemacht, ich mag diese Verteidigerrolle."

Sakellariou lernte früh, sich selbst zu finanzieren. Geschichte wollte er nach dem Wehrdienst studieren, aber es war klar, dass er einen guten Job brauchte, um das Geld dafür aufzubringen. So trat er in die Fußstapfen des Vaters und machte eine Ausbildung zum Fotografen, auf die er 1991 die Meisterprüfung draufsattelte. Er arbeitete als Fotograf in Horb, Stuttgart, Berlin und schließlich in Schwäbisch Hall. Hier, beim Haller Tagblatt, ärgerte er sich immer öfter darüber, dass eine ständige Verfügbarkeit der Belegschaft verlangt wurde. "Es gab die Unsitte, uns zwar das Gehalt zu bezahlen, das im Vertrag stand - aber die Arbeitszeit, die dort ebenfalls festgelegt war, nicht zu beachten." Die Kollegen wählten ihn aus, gegen diesen Missstand vorzugehen. Er wurde Betriebsratsvorsitzender und setzte durch, dass jeder einen Stundenzettel führen und Überstunden abfeiern konnte. Arbeitsrecht blieb sein Steckenpferd, und er entschied sich als junger Familienvater, statt Geschichte nun in Berlin und Heidelberg Jura zu studieren. "Die Hans-Böckler-Stiftung hat mir das erst ermöglicht", sagt er. Denn das Studium erwies sich als "absolute Vollbeschäftigung", die gar keine zeitraubenden Nebenjobs zuließ. "Ohne Stipendium wäre es nicht gegangen."

Angst vor den Mächtigen, den Schulleitern, den Chefs für seine Interessen einzutreten, hatte er nie. "Wenn man sich zu 100 Prozent im Recht fühlt und gut vorbereitet ist, gibt es keine Veranlassung, sich dabei Sorgen zu machen", findet er. Sogar mit dem kompletten Landtag in Stuttgart hat er sich einmal angelegt, weil er einen einstimmigen Beschluss zur Änderung des Wahlrechts, nach der künftig die Wahlbeteiligung zur Mandatsvergabe herangezogen werden sollte, für verfassungswidrig hielt. So bekämen Nichtwähler einen Einfluss auf die Zusammensetzung des Parlaments, kritisierte er. Für ihn ein Unding. Er setzte sich durch, das Gesetz kippte. "Dieses Beispiel zeigt, dass der einzelne Abgeordnete etwas bewirken kann und dass die Kraft des Argumentes zählt!" Sakellariou hofft, dass solche Erfolge auch etwas gegen die Politikverdrossenheit bewirken können, die ihn erschreckt. Er ist seit 30 Jahren SPD-Mitglied, kämpft leidenschaftlich für seine politischen Themen: gute Bildung, gerechte Arbeitsbedingungen, eine moderne Zuwanderungspolitik und eine bessere Bahnverbindung in die Region. Aber sich in Vollzeit der Berufspolitik zu verschreiben, das möchte er als Familienvater von drei leiblichen und zwei Stieftöchtern nicht. Lieber streitet er auch weiter als Anwalt für Arbeitsrecht. Politik im Kokon, fernab vom wahren Leben, das ist nichts für ihn.

Foto: Cira Moro

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