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HBS Böckler Impuls

Crowdwork: Kreative im Hamsterrad

Ausgabe 07/2017

Wer sich als Kreativer über eine Crowdsourcing-Plattform verdingt, muss mit eher schlechten Arbeitsbedingungen rechnen. Für viel Mühe und Zeitdruck gibt es oft wenig Geld.

So mancher träumt davon, beruflich etwas Kreatives zu machen. Das Internet scheint die Chance, diesen Traum zu erfüllen, deutlich erhöht zu haben: Wer mit seinem künstlerischen Talent Geld verdienen möchte, kann sich weltweit mit Kunden vernetzen. Ein wichtiges Forum dafür stellen Crowdsourcing-Plattformen dar. Dort können Unternehmen Aufgaben an die „Crowd“ auslagern, also für einzelne Projekte Dienstleister aus einer Vielzahl von Crowdworkern rekrutieren.

Wie es Kreativen ergeht, die sich auf diese Form der Erwerbstätigkeit einlassen, haben Philip Schörpf, Annika Schönauer und Hubert Eichmann von der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt in Wien sowie Jörg Flecker von der Universität Wien untersucht. Dafür haben die Soziologen drei Experten, drei Plattform-Anbieter, vier Kunden und zehn Crowdworker interviewt, die als Grafikdesigner, Illustratoren, Sprecher, Texter oder Programmierer tätig sind. Den Ergebnissen zufolge gehen das rigide Kontrollregime und der Wettbewerbsdruck in diesem Bereich mit langen Arbeitszeiten, Einschränkungen im Privatleben und zum Teil unbezahlter Arbeit einher.

Unternehmen biete Crowdsourcing erhebliche Vorteile, schreiben die Wissenschaftler. Dazu gehören der Zugang zu enormen Kreativitäts- und Qualifikationsressourcen, geringe Kosten, hohe Flexibilität und die Möglichkeit, Geschäftsbeziehungen jederzeit unkompliziert zu beenden. Technisch funktioniert das Ganze so: Auf den Online-Plattformen veröffentlichen Auftraggeber kurze Aufgabenbeschreibungen, inklusive Zeitrahmen und Vergütung – fix oder pro Stunde. Registrierte Crowdworker können sich anschließend für diese Jobs bewerben. Möglich sind auch Ausschreibungen von Wettbewerben: Die Teilnehmer schicken fertige oder fast fertige Arbeiten, Geld bekommt nur der Gewinner.

Kontrolldruck durch Noten

Auslagerung bedeute für Auftraggeber aber immer auch Aufgabe von direkter Kontrolle, so die Autoren. Um diesen Nachteil auszugleichen, bieten die Plattformen Programme an, die eine Überprüfung des Arbeitsfortschritts ermöglichen. Diese Programme versorgen den Auftraggeber in regelmäßigen Abständen mit Screenshots von der Benutzeroberfläche des Crowdworkers, gewähren Zugang zur Webkamera oder protokollieren Tastenanschläge und Mausbewegungen. Die Voraussetzung: Der Betroffene muss der Überwachung zustimmen. Genutzt werden solche Instrumente den Befragungen zufolge allerdings kaum.

Stattdessen seien Kunden und Kreative normalerweise sehr ergebnisorientiert, berichten die Forscher. Kontrolle üben die Auftraggeber in erster Linie über ein Bewertungssystem aus: Für die Erledigung von Aufgaben vergeben sie Noten, wobei es auch Unterkategorien beispielsweise für die Einhaltung von Budget und Fristen, die Qualität der Arbeit oder die Reaktionszeit gibt. Anders als in der analogen Welt, wo mündlich auch differenzierte oder ambivalente Urteile übermittelt werden können, seien die digitalen Bewertungsschemata jedoch starr und eindimensional, urteilen die Sozialwissenschaftler. Direkte Kommunikation unter Umgehung der Plattformen werde gezielt unterbunden, die Online-Profile der Jobsuchenden seien nur begrenzt aussagekräftig.

Da gute Bewertungen nicht nur ein maßgebliches Kriterium für die Vergabe von Aufträgen darstellen, sondern zum Teil auch Voraussetzung für den Zugang zu sogenannten Premium-Projekten oder für eine höhere Bezahlung sind, befinden sich die Kunden in einer mächtigen Position: Über die aktuelle Geschäftsbeziehung hinaus können sie per Rating maßgeblich die Jobaussichten des Bewerteten beeinflussen.

Infolgedessen sind die Crowdworker zum Teil zu erheblichen Zugeständnissen bereit: Die Befragten geben an, dass sie regelmäßig zu wenig Honorar abrechnen, zusätzliche Dienste anbieten oder für Änderungswünsche rund um die Uhr erreichbar sind. Um überhaupt erstmal eine Online-Reputation aufzubauen, sei es üblich, zu Beginn der Karriere auch umsonst zu arbeiten.

Zeitdruck durch ständige Erreichbarkeit

Wer einen Auftrag ergattert, muss sich einem straffen Zeitregime unterwerfen: Der Zeitrahmen für die Aufgabenerfüllung beträgt den Interviews zufolge größtenteils mehrere Stunden oder allenfalls wenige Tage. Lange Arbeitszeiten, ständige Erreichbarkeit und Wochenendarbeit seien zwar generell ein Problem von selbständigen Kreativen, schreiben die Forscher. Bei Crowdworkern komme indes hinzu, dass sie extrem schnell auf Angebote reagieren müssen. Denn die Erreichbarkeit und die Reaktionszeit werden online dokumentiert. Weil es nicht möglich ist, das Profil – etwa im Urlaub – zu deaktivieren, ist permanent die Sorge präsent, durch eine verspätete Reaktion Reputation und damit Verdienstmöglichkeiten einzubüßen.

Allgemein ist nach Einschätzung der Soziologen davon auszugehen, dass die Vergütung wegen des mitunter globalen Wettbewerbs niedriger als im Offline-Bereich ausfällt. Die meisten Befragten sind jedenfalls auf zusätzliche Einkommensquellen angewiesen. Zudem sind viele von ihnen schon Opfer von Betrug gewesen: Wer sich auf alternative Zahlungswege einlässt, um Plattform-Gebühren zu vermeiden, geht oft komplett leer aus.

Auch was den schöpferischen Charakter der Arbeit angeht, müssen die digitalen Dienstleister Abstriche machen: Projekte in minuziös definierte Teilaufgaben zu zerlegen, sei in Kombination mit permanentem Kontrolldruck und begrenzter Kommunikation eine eher ungünstige Voraussetzung für die Entfaltung von Kreativität, urteilen die Wissenschaftler.

Philip Schörpf, Jörg Flecker, Annika Schönauer, Hubert Eichmann: Triangular love-hate: management and control in creative crowdworking, New Technology, Work and Employment 1/2017
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