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Magazin Mitbestimmung

Nachwuchswissenschaftler: Eine unglaubliche Verschwendung

Ausgabe 04/2014

An den Hochschulen sind befristete Verträge die Regel, die Karrierewege sind oft unsicher. Talentierte junge Menschen haben etwas Besseres verdient. Die Gewerkschaften ver.di und GEW machen Druck. Von Joachim F. Tornau.

Wenn der Akademische Senat der Berliner Humboldt-Universität dieser Tage zu seinen Sitzungen zusammentritt, stößt er nicht nur, wie so oft, auf protestierende Studenten. Er muss sich auch mit wütenden Wissenschaftlern auseinandersetzen, mit Angehörigen des akademischen Mittelbaus. Mehrfach schon haben Doktoranden und Postdocs den Weg der Senatsmitglieder zum Sitzungssaal mit großen Sprechblasen gepflastert. Von Stellen, die auslaufen und nicht verlängert werden, war darin die Rede. Es folgten schlichte, drängende Fragen: Wie soll ich meine Dissertation abschließen? Oder: Wer soll jetzt die Raumvergabe übernehmen

Der Humboldt-Universität (HU) zu Berlin, die sich Exzellenzuniversität nennen darf, ist das Geld ausgegangen. Die Haushalts-Chefin der Hochschule machte dafür Tarif- und Besoldungserhöhungen, Pensionslasten, gestiegene Energiepreise und die Inflation verantwortlich, die durch die Hochschulfinanzierung des Landes nicht ausgeglichen worden seien – aber auch über Managementfehler wird spekuliert. Egal ob die Uni zu kurz gehalten wird oder sich schlicht verrechnet hat: Im Januar sickerte durch, dass deshalb in den nächsten Jahren auch Stellen von wissenschaftlichen Mitarbeitern eingespart werden sollen.

Diese Nachricht hat auch die Beschäftigten mobilisiert – jedenfalls einige von ihnen. Viele Kollegen, sagt die Historikerin Johanna Langenbrinck, hätten immer noch Vorbehalte, sich als Arbeitnehmer wahrzunehmen und für ihre Interessen zu kämpfen. „Das hat wohl auch mit Standesdünkel zu tun“, meint die 29-jährige Doktorandin. „Manche haben Angst, als Wissenschaftler, der sich immer so differenziert ausdrückt, auch mal etwas Politisches zu sagen.“ Langenbrinck sieht das anders. Sie ist Gewerkschaftsmitglied, engagiert sich in der ver.di-Betriebsgruppe und gehört nun auch zu den Aktiven des Projekts „Fairspektive“, das die Dienstleistungsgewerkschaft an der HU und sechs weiteren deutschen Hochschulen betreibt.

Ziel des Projekts: Die wissenschaftlichen Mitarbeiter, traditionell nicht eben eine Stammklientel der Gewerkschaften, sollen sich organisieren. „Wir wollen, dass mit ihnen geredet wird, nicht über sie“, sagt Britta Hamann, die sich bei ver.di zusammen mit einem weiteren Kollegen um „Fairspektive“ kümmert. „Aber warum sollte ein Arbeitgeber mit ihnen verhandeln, wenn sie alleine auftreten?“ Verhandlungsbedarf gibt es nicht bloß, wenn, wie jetzt in Berlin, Sparmaßnahmen und Stellenstreichungen abzuwehren sind. „Es geht“, erklärt Hamann, „um faire Behandlung und faire Perspektiven fürs Berufsleben.“ Ganz grundsätzlich. Und da liegt einiges im Argen.

FAST 90 PROZENT BEFRISTETE JOBS „Absurd“, dieses Wort fällt immer wieder, wenn Anne Krüger von den Arbeitsbedingungen an der Hochschule erzählt. Die promovierte Soziologin, aktives Mitglied der Gewerkschaft GEW, ist ebenfalls wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HU – und hat kürzlich eine Stelle ergattert, wie es sie, so sagt sie, „eigentlich nicht mehr gibt“. Befristet zwar, aber immerhin auf sechs Jahre. Und Vollzeit. „Alle in der Wissenschaft beneiden mich darum“, sagt die 32-Jährige. „Aber wenn ich außerhalb der Uni darüber spreche, schaue ich in verständnislose Gesichter.“ Es ist ja auch schwer zu begreifen.

Denn anders als in der freien Wirtschaft können Wissenschaftler bis zu zwölf Jahre lang befristet beschäftigt werden, für jeweils sechs Jahre vor und nach der Doktorarbeit. In beliebig vielen und beliebig kurzen Teilstücken. Und wer es danach nicht auf einen der raren Professorenposten schafft, muss gehen. Trotz aller Erfahrung und aller erworbenen Meriten. Einzige Alternative: Jobs in Forschungsprojekten, die durch Drittmittel finanziert werden, etwa von Stiftungen. Dann sind sogar noch weitere Kettenbefristungen erlaubt, im Prinzip endlos. „Absurd“, sagt Anne Krüger.

SPÄTE ENTSCHEIDUNG ÜBER PROFESSUREN Die Auswirkungen des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes, das im Jahr 2007 von der damaligen Großen Koalition beschlossen wurde, hat das HIS-Institut für Hochschulforschung bereits vor drei Jahren im Auftrag der Bundesregierung evaluiert. Das Ergebnis war erschreckend: Jeder zweite Doktorand und Postdoc hatte demnach einen Arbeitsvertrag, der kürzer lief als zwölf Monate. Im vergangenen Jahr legte der Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs, ebenfalls für das Bundesbildungsministerium verfasst, mit weiteren alarmierenden Zahlen nach: Der Anteil der wissenschaftlichen Mitarbeiter, die nur befristet eingestellt sind, ist mittlerweile auf nahezu 90 Prozent gestiegen. Fast die Hälfte davon hat überdies bloß eine Teilzeitstelle.

Die schwarz-gelbe Bundesregierung sprach danach zwar immer noch davon, dass sich das Wissenschaftszeitvertragsgesetz „grundsätzlich bewährt“ habe. Doch dass an den Hochschulen alles super läuft, wollte auch sie nicht mehr behaupten. Der wissenschaftliche Nachwuchs brauche „planbare, verlässliche und transparente Karrierewege“, erklärte das damals wie heute von Johanna Wanka (CDU) geführte Bundesbildungsministerium, sah aber vor allem die Länder und die Hochschulen selbst in der Pflicht. So seien das Verhältnis zwischen befristeten und unbefristeten Stellen „zu überprüfen“ und Modelle auszubauen, in denen wissenschaftlichen Mitarbeitern zu Beginn ihrer Laufbahn der weitere Aufstieg und die Entfristung verbindlich zugesagt werden, wenn sie die vereinbarten Leistungen erbringen.

 Derzeit sind Wissenschaftler zumeist im fünften Lebensjahrzehnt, ehe sich herausstellt, ob sie Professor werden oder ihre Universitätskarriere beerdigen müssen. Bei Promotions- und Habilitationsstellen, verlangte die Bundesregierung, sollte sich die Befristungsdauer an der Zeit orientieren, die für den Abschluss einer solchen Qualifikationsarbeit erforderlich ist, und bei Drittmittelstellen am gesamten Projektzeitraum. Und schließlich sollten die Hochschulen sich endlich auch mal um Personalplanung und Personalentwicklung kümmern. All das sind Punkte, die sich seit Langem auch in den Forderungskatalogen von GEW und ver.di zum akademischen Mittelbau finden.

Also: Problem erkannt, Problem gebannt? Keineswegs. Der Koalitionsvertrag der neuen Bundesregierung enthält, obschon er „Handlungsbedarf“ feststellt, zu alledem wenig Konkretes. Sehr allgemein wird eine „Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“ angekündigt. Was das heißt, bleibt offen. Ob etwa, was den Gewerkschaften besonders am Herzen liegt und die SPD als Oppositionspartei noch gefordert hatte, die sogenannte Tarifsperre, gestrichen wird. Es ist bisher nicht möglich, die laxen Befristungsvorschriften des Gesetzes durch strengere tarifvertragliche Regelungen zu ersetzen. „Wenn die Tarifsperre fällt, werden wir das Thema sofort in unsere Tarifverhandlungen aufnehmen“, sagt der Berliner ver.di-Sekretär Matthias Neis.

Was ver.di und die GEW für die wissenschaftlichen Mitarbeiter erreichen wollen, geht über die vagen Versprechungen der Bundesregierung weit hinaus: Teilzeit soll nur noch begründete Ausnahme sein. Wer eine Promotionsstelle hat, soll seine Dissertation auch wirklich während der bezahlten Arbeitszeit schreiben können – und nicht mehr, wie bisher zumeist, mit anderen Tätigkeiten überhäuft werden. Und für Daueraufgaben sollten grundsätzlich Dauerstellen eingerichtet werden. „Zeitverträge“, sagt der stellvertretende GEW-Vorsitzende Andreas Keller, „haben bei grundständiger Lehre, in Wissenschaftsmanagement und Verwaltung nichts verloren.“ Unbefristete Jobs im akademischen Mittelbau braucht es nach Ansicht der Gewerkschaften aber auch, um dem wissenschaftlichen Nachwuchs langfristige Alternativen zur Professur bieten zu können.

„Die Entscheidung, ob jemand an der Hochschule bleiben kann oder nicht, muss wesentlich früher fallen als heute“, sagt Keller. Doch solche Regelungen sind in Deutschland, von gelegentlichen Entfristungszusagen bei Juniorprofessoren abgesehen, äußerst rar gesät. Als erste deutsche Hochschule führte 2012 die TU München ein solches Modell nach US-amerikanischem Vorbild ein: Postdocs steigen dort jetzt innerhalb von sechs Jahren verlässlich vom „Assistant Professor“ zunächst zum „Associate Professor“ und schließlich zum „Full Professor“ auf – positive Evaluierungen vorausgesetzt. Die Exzellenzuniversität hatte Sorge, sonst keine herausragenden Forscher mehr binden zu können.

DIE BESTEN VERLASSEN DEUTSCHLAND Dass die Arbeitsbedingungen für Wissenschaftler hierzulande eher abstoßend wirken, hat kürzlich auch die Expertenkommission Forschung und Innovation (EFI) in ihrem jährlichen Gutachten für die Bundesregierung bestätigt: „Deutschland verliert die besten Wissenschaftler durch Abwanderung“, heißt es in dem Ende Februar veröffentlichten Papier. „Insbesondere für die Besten scheint das deutsche Forschungssystem nicht attraktiv genug zu sein.“ Für die Berliner Soziologin Anne Krüger ist die Verschwendung, die sich die Hochschulen mit dem derzeitigen System des „Hire and fire“ leisten, ein weiterer Fall für die Bewertung „absurd“. Statt auch gute Leute nach spätestens zwölf Jahren aus dem System zu kicken, müsste doch eigentlich alles dafür getan werden, sie zu halten. „Der hohe Personaldurchlauf tut den Universitäten nicht gut“, meint sie. „Forschung besteht nicht nur aus einem Geistesblitz pro Monat, sondern ist ein längerer Prozess.“

Auch die 32-Jährige weiß nicht, was aus ihr nach dem Auslaufen ihrer Sechsjahresstelle wird – trotz der Habilitation, über die sie dann wohl verfügen wird. „Die unsichere Zukunftsperspektive ist das größte Problem“, sagt ein Doktorand, der namentlich nicht genannt sein will. „An schlechten Tagen macht mir das massiv Angst.“ Rund 160 000 wissenschaftliche Mitarbeiter gibt es in Deutschland, aber nur gut 600 Professuren werden im Durchschnitt jedes Jahr neu besetzt. Wer da nicht von vornherein aufgeben will, muss alles tun, um sich zu profilieren. Möglichst viele Publikationen, Tagungen, Auslandsaufenthalte, Preise. „Man muss eine wahnsinnige Sichtbarkeit erzeugen“, sagt der 37-jährige Soziologe. Bei diesem Wettrennen bleiben besonders oft Frauen auf der Strecke. Je höher die Karrierestufe in der Wissenschaft, desto geringer der Frauenanteil. Aber auch die soziale Herkunft spielt eine Rolle, wie Andrea Lange-Vester und Christel Teiwes-Kügler in einer von ver.di in Auftrag gegebenen Studie mit dem Titel „Zwischen W 3 und Hartz IV“ (W 3 ist die Besoldungsstufe eines Lehrstuhlinhabers) herausgearbeitet haben.

UNLIEBSAME ZUARBEITEN Konkurrenzdenken und Selbstaufwertung, die im wissenschaftlichen Feld belohnt werden, fänden sich besonders bei Mittelbau-Angehörigen mit akademischem Elternhaus, schreiben die Sozialwissenschaftlerinnen. Dagegen würden Bildungsaufsteiger eher die „unliebsamen Zuarbeiten“ erledigen. „Sie arrangieren sich vergleichsweise genügsam mit den gegebenen Bedingungen und stellen auch sehr viel stärker ihre eigenen Interessen zurück.“ Für die Gewerkschaften sind dicke Bretter zu bohren an den Universitäten. Sie hoffen deshalb nicht allein auf den Gesetzgeber, sondern drängen auch auf verbindliche Regelungen an den einzelnen Hochschulen.

Einen Kodex „Gute Arbeit in der Wissenschaft“, auf den sich die Universitäten verpflichten sollen, schlägt die GEW vor – und will, dass Bund und Länder nur noch Hochschulen fördern, die sich ein solches Regelwerk gegeben haben. „Es braucht einen Kulturwandel an den Hochschulen“, sagt ver.di-Sekretär Neis. „Dazu muss man sie zwingen.“ Nicht zuletzt natürlich mit Druck von unten. Über Informationsveranstaltungen, Unterschriftensammlungen oder Mailings versuchen die beiden Gewerkschaften, wissenschaftliche Mitarbeiter zu erreichen und zu kollektivem Engagement zu bewegen. Damit eines Tages vielleicht möglich wird, was heute noch undenkbar scheint: Tarifverhandlungen und Arbeitskämpfe.

„Das ist ein gletscherhaft langsamer Prozess“, räumt Neis ein. Erfolge aber gibt es schon jetzt: An der Universität Halle-Wittenberg – einer der Hochschulen, die sich ver.di im Rahmen des Projekts „Fairspektive“ vorgenommen hat – ist eine Dienstvereinbarung über bessere Arbeitsbedingungen für den Mittelbau auf dem Weg. Vielerorts sind gewerkschaftliche Hochschulgruppen entstanden oder wiederbelebt worden. Und das „Templiner Manifest“, mit dem die GEW 2010 ihre Kampagne für eine Reform von Berufswegen in der Wissenschaft startete, hat mittlerweile mehr als 10 000 Unterzeichner gefunden. „Wir haben gemerkt, dass wir damit einen Nerv getroffen haben“, sagt GEW-Vize Keller. „Es scheinen viele nur darauf gewartet zu haben.“

Mehr Informationen

Andrea Lange-Vester/Christel Teiwes-Kügler: Zwischen W 3 und Hartz IV. Arbeitssituation und Perspektiven wissenschaftlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Opladen, Verlag Barbara Budrich 2013. 213 Seiten, 28 Euro

ver.di-Projekt „Fairspektive“:
www.fairspektive.de

Das „Templiner Manifest“ der GEW:
www.gew.de/Templiner_Manifest.html

Bundesbericht Wissenschaftlicher Nachwuchs:
 www.buwin.de

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