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HBS Böckler Impuls

Steuern: Rekordmeldungen führen in die Irre

Ausgabe 20/2013

„Einnahmerekorde“ bei den Steuern täuschen darüber hinweg, dass der Staat in Deutschland unterfinanziert ist. Das geht zu Lasten dringend notwendiger Investitionen.

Gut 620 Milliarden Euro werden Bund, Länder und Gemeinden nach der Steuerschätzung vom November in diesem Jahr an Steuern einnehmen. Das wäre, wie viele Medien berichteten, ein „historischer Höchststand“. Doch solche Rekord-Meldungen führen in die Irre, denn bei normaler wirtschaftlicher Entwicklung sind Einnahmezuwächse schlicht eine Selbstverständlichkeit. Darauf weisen Katja Rietzler und Achim Truger hin, Steuerexpertin des IMK und Wirtschaftsprofessor in Berlin. Die beiden Autoren der IMK-Steuerschätzung warnen vielmehr vor einer dauerhaften strukturellen Unterfinanzierung des Staates. Wesentlicher Grund dafür: Die deutlichen Steuersenkungen seit Ende der 1990er-Jahre.

Die Wissenschaftler verdeutlichen den Zusammenhang mit Daten aus der bundesdeutschen Steuergeschichte seit 1951. In den allermeisten Jahren entwickelten sich die Steuereinnahmen im Einklang mit dem nominalen Bruttoinlandsprodukt. Die Wirtschaft wuchs, und das spülte auch mehr Geld in die Kasse des Staates. In 58 von 63 Jahren bis 2013 lagen die Einnahmen deshalb höher als in den zwölf Monaten zuvor. Und gleich 54 können sogar als „Rekordjahre“ gelten, in denen mehr eingenommen wurde als je zuvor in der bundesdeutschen Geschichte. Westdeutschland hatte seit 1950 40 Jahre lang ausschließlich „Rekordeinnahmen“ aufzuweisen.

Aussagekräftiger als die langfristige Normalentwicklung sind für die Forscher daher die Ausnahmezeiträume. Und die häuften sich zuletzt: Alle fünf Jahre, in denen die Einnahmen zurückgingen, lagen zwischen 1996 und 2009, drei davon nach der Jahrtausendwende. Rietzler und Truger erklären diese Häufung durch die Kombination aus wirtschaftlichen Schwächephasen und den kräftigen Steuersenkungen, die seit 1999 vor allem die Bezieher höherer Einkommen, Unternehmen und Vermögende entlastet haben. Wenn 2013 noch die Steuergesetze von 1998 gegolten hätten, wären die Staatseinnahmen allein in diesem Jahr um 45 Milliarden Euro höher ausgefallen, hat Truger errechnet. „Die Steuersenkungen haben die staatliche Finanzierungsbasis stark geschwächt“, sagt Rietzler. „Obwohl sich die deutschen Staatsausgaben im internationalen Vergleich sehr moderat entwickelt haben, reichen die Mittel nicht.“

Das geht nach Analysen des IMK und anderer Institute vor allem zu Lasten der Investitionen. Seit 2003 übersteigen die Abschreibungen auf den staatlichen Kapitalstock die Bruttoinvestitionen, die öffentliche Infrastruktur verfällt – insgesamt war ein Nettokapitalverzehr von 31 Milliarden Euro festzustellen. Die von Union und SPD angekündigten zusätzlichen Mittel für die Infrastruktur – 5 Milliarden Euro in vier Jahren – sind daher nach Einschätzung des IMK nicht mehr als ein Tropfen auf den heißen Stein.

Gleichwohl stoßen die im Koalitionsvertrag geplanten Reformvorhaben schnell an die Grenzen des engen Einnahmekorsetts, zeigt Rietzler: Das beginne schon bei dem von Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble genannten Betrag von 23 Milliarden Euro für alle so genannten „prioritären Maßnahmen der Legislaturperiode“ – neben Investitionen sind das unter anderem eine finanzielle Entlastung der Kommunen und zusätzliche Forschungsausgaben. Hinzu kommen einige Rentenleistungen wie die Mütterrente und die solidarische Lebensleistungsrente im Umfang von jährlich 7,5 Milliarden Euro. Die seien als gesamtgesellschaftliche Aufgaben eigentlich ebenfalls vom Bund aus Steuermitteln zu finanzieren und nicht aus den Beitragseinnahmen der Rentenversicherung, betont die Forscherin.

Das würde die Finanzierungslücke noch vergößern. Außerdem hat die aktuelle Steuerschätzung vom November die Steuereinnahmen des Bundes in den kommenden Jahren um rund 5 Milliarden Euro niedriger veranschlagt als die Mittelfristige Finanzplanung des Finanzministeriums vom Sommer. „Es ist also äußerst riskant, einfach auf Steuermehreinnahmen zu hoffen“, sagt Rietzler. Als bessere Alternative befürwortet das IMK gezielte Steuererhöhungen bei hohen Einkommen und Vermögen. Diese kämen auch Ländern und Kommunen zugute. Da rund die Hälfte der staatlichen Investitionen von Städten und Gemeinden getätigt werden, könnte Deutschland so auch seine öffentliche Infrastruktur modernisieren.

  • Steuersenkungen haben die staatliche Finanzierungsbasis geschwächt. Zur Grafik

Katja Rietzler ist Expertin für Finanzpolitik am IMK,
Achim Truger lehrt an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin.

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