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HBS Böckler Impuls

Mitbestimmung: Betriebsrat: Gefragt in schweren Zeiten

Ausgabe 05/2011

In Deutschlands Mittelstand ist die betriebliche Mitbestimmung relativ schwach ausgeprägt. Damit dort ein Betriebsrat entsteht, braucht es engagierte Beschäftigte.

Arbeitnehmervertretungen sind in Deutschland unterschiedlich verbreitet: Knapp 90 Prozent der Großbetriebe mit mehr als 500 Beschäftigten haben einen Betriebsrat, aber weniger als 10 Prozent der Betriebe mit 5 bis 50 Beschäftigten. Das Bonner Institut für Mittelstandsforschung hat jetzt untersucht, warum Belegschaften mittelständischer Unternehmen so selten von ihrem Recht auf betriebliche Mitbestimmung Gebrauch machen. Ergebnis: Da Beschäftigte wissen, dass eine Gründung Zeit kostet und Ärger bringen kann, bilden sich Betriebsräte nur dann, wenn die Arbeitnehmer ein starkes Interesse daran haben. Das ist eher in betrieblichen Krisensituationen der Fall als in konfliktarmen Zeiten.

In ihrer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie nahmen die Wirtschaftswissenschaftlerinnen Nadine Schlömer und Rosemarie Kay 22 mittelständische Unternehmen genau unter die Lupe. In 10 dieser Firmen gibt es einen Betriebsrat, in den anderen keine oder eine weniger verbindliche Mitarbeiterbeteiligung. Die Unternehmen sind vornehmlich in den unternehmensnahen Dienstleistungen, dem Baugewerbe oder dem Handel tätig - Branchen, in denen die betriebliche Mitbestimmung traditionell nicht sonderlich ausgeprägt ist. Alle relevanten Akteure kamen zu Wort - die Belegschaften per Fragebogen, die Geschäftsführung und gegebenenfalls die Initiatoren der Betriebsratsgründung mittels persönlicher Interviews entlang eines Gesprächsleitfadens.

Die bisherige Forschung hat gezeigt: Vor allem Veränderungen oder Konflikte im Betrieb wirken als Ursachen für die Gründung einer Arbeitnehmervertretung. Etwa:

  • Umbrüche in der Führung, wie ein Eigentümerwechsel
  • Wachstumskonflikte, also ein Organisationswandel aufgrund raschen Beschäftigungsanstiegs
  • Konflikte um Führungsstil und Arbeitsbedingungen
  • wirtschaftliche Krisensituationen im Unternehmen.

Die Ergebnisse der aktuellen Untersuchung bestätigen diesen Befund: In allen befragten Unternehmen mit Betriebsrat gingen der Idee zur Gründung eines solchen ebenfalls betriebliche Probleme voraus. In den ostdeutschen Betrieben waren es Zukunftsängste der Beschäftigten aufgrund der Privatisierung nach der Wende, in den westdeutschen Unstimmigkeiten mit der Geschäftsführung wegen Tarifumstellungen oder Gehaltsfragen, aber auch betriebsbedingte Kündigungen.

Jedoch: Ein solcher Auslöser allein führt noch nicht zur Gründung eines Betriebsrats, so die Studie. Es bedarf weiterer Faktoren, vor allem eines Kerns engagierter Beschäftigter. Grundsätzlich müssen sich mindestens drei Beschäftigte finden, die die Wahl eines Betriebsrats in Gang setzen. Diese wägen im Vorfeld die Vor- und Nachteile ab, folgern die Forscherinnen aufgrund ihrer Untersuchungsergebnisse: bessere Interessenvertretung versus Zeitaufwand und mögliche Konflikte mit Kollegen und Geschäftsführung.

In den von den Wissenschaftlerinnen befragten Unternehmen ging bei innerbetrieblichen Konflikten oder Krisen die Initiative zur Gründung von den Arbeitnehmern aus. Daran war zumeist eine kleine Gruppe von drei bis zehn Beschäftigten beteiligt. Diese hatte entweder Kontakt zu Gewerkschaften oder kannte Betriebsräte aus ihrem Umfeld. Bei der Privatisierung ostdeutscher Betriebe gaben Gewerkschaften den Anstoß, in einem Fall sogar die Geschäftsführung.

In den betriebsratslosen Unternehmen der Untersuchung fanden Schlömer und Kay in den vergangenen Jahren keine starken strukturellen Änderungen vor, die eine Gründung hätten auslösen können. Sechs mussten allerdings im Zuge der Wirtschaftskrise Kurzarbeit anmelden oder Beschäftigte entlassen. Trotzdem entschloss sich die Belegschaft auch in diesen Fällen nicht dazu, einen Betriebsrat einzuführen.

Die Gründe für die Betriebsratslosigkeit lassen sich zu vier Typen zusammenfassen lassen, so die Forscherinnen:

  • Die Beschäftigten sind mit der Beteiligung im Betrieb zufrieden. Die Geschäftsführung geht stark auf die Bedürfnisse der Arbeitnehmer ein und informiert diese regelmäßig. In diesen Unternehmen gab es in jüngster Zeit aber keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten.
  • Die Beschäftigten halten einen Betriebsrat nicht für das geeignete Instrument zur Mitbestimmung. Sie wollen ihre Interessen lieber selbst vertreten. Ihr Arbeitgeber ist tarifgebunden, was das Konfliktpotenzial reduziert, zum Beispiel bei der Entlohnung.
  • Die Arbeitnehmer sind zwar unzufrieden - allerdings nicht so sehr, dass sie einen Betriebsrat für lohnenswert halten. Die Haltung von Beschäftigten und Geschäftsführung zum Thema Betriebsrat ist neutral bis eher positiv.
  • Die Belegschaft verzichtet auf eine Betriebsratsgründung, weil sie Angst vor Repressalien hat. Die Geschäftsführung hat meist eine stark negative Haltung. Da es zum Zeitpunkt der Untersuchung wirtschaftlich gut lief, war aber nicht sicher, ob die Beschäftigten sich auch in schlechten Zeiten von der Gründung abhalten ließen.
  • Wenn in einem mittelständischen Unternehmen kein Betriebsrat existiert, kann das verschiedene Gründe haben: Zum Beispiel sind die Beschäftigten mit der Beteiligung im Betrieb zufrieden, oder es gibt keine wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Zur Grafik

Nadine Schlömer, Rosemarie Kay: Belegschaften als Initiatoren von Betriebsratsgründungen, Studie gefördert durch die Hans-Böckler-Stiftung, Oktober 2010

mehr Infos zum Projekt "Belegschaften als Initiatoren von Betriebsratsgründungen - Die Haltung von Belegschaften zur Gründung von Betriebsräten in kleinen und mittleren Unternehmen"

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