Forschungsprojekt: Betriebsräte in Aufsichtsräten in der Weimarer Republik

Die Mitbestimmungspraxis der Betriebsräte im Aufsichtsrat in der Weimarer Republik

Projektziel

Das Forschungsprojekt zielte darauf ab, die Entstehungsbedingungen und Erfahrungen der Mitbestimmungsakteure in den Aufsichtsräten unter den Bedingungen der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Verhältnisse in der Weimarer Republik aufzuarbeiten. Es leistete so einen Beitrag zur Mitbestimmungsforschung über die bisher kaum beachtete Frühphase der deutschen Unternehmensmitbestimmung.

Projektbeschreibung

Kontext

Das Gesetz über die Entsendung von Betriebsratsmitgliedern in den Aufsichtsrat vom 15.2.1922 ist die Geburtsstunde der Unternehmensmitbestimmung in Deutschland. Erstmals wurde die institutionelle Berufung von maximal zwei Arbeitnehmervertretern in die unternehmerischen Kontrollorgane rechtlich fixiert. Das Gesetz gehörte zu den sozialpolitischen Eckpfeilern, die in den ersten stürmischen Jahren der Weimarer Republik als Bausteine eines dreistufigen Systems der Mitbestimmung gesetzt wurden. Mit der rechtlichen Fixierung von Belegschaftsmitsprache mit dem Betriebsrätegesetz von 1920, der Mitsprache in den Unternehmenskontrollorganen und der überbetrieblichen Mitbestimmung im Reichswirtschaftsrat wurde im Grunde das Fundament für die gewerkschaftliche Mitbestimmungskonzeption gelegt, die die Programmatik des DGB seit seinem Aufbau nach dem Ende des 2. Weltkriegs prägen sollte.

Fragestellung

Im Mittelpunkt des Projektes stand die Analyse des Mitbestimmungshandelns der Betriebsräte in den Aufsichtsräten (BiA) sowie der diese Praxis begleitenden Mitbestimmungspolitik der Gewerkschaften. Dabei wurde der Frage nachgegangen, wie weit der Einfluss der Mitbestimmungsträger auf die Unternehmenspolitik reichte. Neben der Analyse der Primäreffekten der Aufsichtsratsmitbestimmung auf die Unternehmenspolitik wurde gefragt, welche sekundären Effekte festzustellen sind. Im Focus standen hier die Ausnutzung des Immediatzugangs zu Vorstand und Aussichtsratsvorsitzendem sowie die Kommunikationsausweitung in Richtung anderer Betriebsvertretungen des jeweiligen Konzerns, die angesichts der gesetzlichen Blockade von Konzernbetriebsräte von hoher Bedeutung war.

Untersuchungsmethoden

Der Schwerpunkt der Forschungsarbeit lag auf Archivrecherchen. Für die Vor- und Entstehungsgeschichte des Betriebsrätegesetzes (BRG) und des Gesetzes zur Entsendung in den Aufsichtsrat waren die Akten der Reichskanzlei, des Reichsarbeitsministeriums und des Reichswirtschaftsministerium im Bundesarchiv in Berlin-Lichterfelde relevant. Im Mittelpunkt stand aber die Sichtung von Unternehmensakten in Firmenarchiven, wobei insbesondere die Aufsichtsratsakten, aber auch die Akten der Personalverwaltungen und - soweit vorhanden - der Betriebsräte aufbereitet wurden. Dabei wurden aus fünf Branchen (Eisen- und Stahlindustrie, Steinkohlenbergbau, Chemie, Elektrotechnik/Maschinenbau, Dienstleistungen) Unternehmen ausgesucht, um Gemeinsamkeiten, aber auch mögliche Unterschiede aufzuzeigen.

Darstellung der Ergebnisse

Zwischen den einzelnen Branchen bestand ein auffälliges Gefälle im Umgang mit den BiA. Ausschlaggebend war dabei die generelle Einstellung gegenüber dem BRG und dem Weimarer Staat. Die Arbeitgeber der "modernen", chemischen und elektrotechnischen Industrien arrangierten sich mit den neuen gesetzlichen Bedingungen, die der Staat gesetzt hatte, und schlugen einen Kooperationskurs gegenüber den BiA ein. Dagegen verharrte die Schwerindustrie, insbesondere die des Ruhrreviers, in einer Kooperationsunwilligkeit gegenüber den Interessenvertretungen.

Einen Sonderfall bildete die Preussag, der gemeinwirtschaftlichen Gesellschaft der Bergbau- und Metallindustrie. Im Aufsichtsrat war ein Drittel der Mitglieder Gewerkschafter. Der Aufsichtsrat schuf mit dem Sozialpolitischen Ausschuss ein Gremium, das eine kooperative Unternehmenskultur implementierte. Mit Nikolaus Osterroth wurde ein Sozialdirektor in den Vorstand berufen, der sich als Vermittler zwischen Konzern- und Belegschaftsinteressen verstand. So wurde eine kooperative Konfliktpartnerschaft zur Leitreferenz der betrieblichen Akteure. Preussag wurde für die Gewerkschafter zur Mitbestimmungsmodell mit Strahlkraft für die Nachkriegszeit.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Prof. Dr. Stefan Berger
Ruhr-Universität Bochum Institut für soziale Bewegungen

Bearbeitung

Werner Milert

Kontakt

Dr. Michaela Kuhnhenne
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung