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Editorial Adjan Titel Service aktuell

Tarifverhandlungen in der Fleischwirtschaft: Ein Erfolg gegen die Ausbeutung

Der nächste Schritt ist ein Tarifvertrag über Mindestarbeitsbedingungen. Von Freddy Adjan

[28.06.2021]

Nach dem Verbot der Werkverträge mit dem von Bundesarbeitsminister Hubertus Heil initiierten Arbeitsschutzkontrollgesetz ist der neue Branchenmindestlohn ein zweiter sehr wichtiger Baustein für ordentliche Bedingungen in der Fleischwirtschaft. Mit dem Mindestlohn wird für die – mit Ausnahme einiger Haustarifverträge – weitgehend tariflose Branche eine neue Untergrenze gezogen und der  Preiskampf der Fleischkonzerne beschränkt, welcher bislang auf Kosten der Beschäftigten geführt wurde.

Diesen Erfolg mussten wir hart erkämpfen: Seit dem Beginn der bis zum 23. Mai erfolglosen Verhandlungen haben unsere NGG-Regionen rund 20 Warnstreiks sowie Dutzende Kundgebungen vor den Betriebstoren durchgeführt. Das gab es noch nie in dieser Branche und zeigt, dass viele der Beschäftigten, insbesondere aus Süd- und Südosteuropa, genug haben von der jahrzehntelangen Ausbeutung. Viele machten erstmals die Erfahrung, dass es sich lohnt, in Konfrontation mit dem Arbeitgeber zu gehen – und dass dies möglich ist ohne dabei den Job zu verlieren. Allerdings wurden auch viele Streikwillige massiv unter Druck gesetzt, um sie von Aktionen abzuhalten. Erst dank der anhaltenden Demonstration unserer Kampfkraft ist der Durchbruch am 27. Mai gelungen.

Der erzielte Tarifvertrag soll nun so schnell wie möglich vom Bundesarbeitsministerium als allgemeinverbindlich erklärt werden. Dann gilt für die rund 160.000 Beschäftigten in der Fleischbranche die neue Lohnuntergrenze von 10,80 Euro pro Stunde. Zum 1. Januar 2022 steigt der Mindestlohn auf 11 Euro, ab 1. Dezember 2022 auf 11,50 Euro. Ab 1. Dezember 2023 sind 12,30 Euro tariflich vereinbart. Dieser Tarifabschluss ist eine deutliche Verbesserung, jedoch sprechen wir weiterhin von einem geringen Lohn für sehr harte Arbeit.

Auf dieser Basis bauen wir deshalb nun auf: Im nächsten Schritt werden wir mit den Arbeitgebern einen „Tarifvertrag über Mindestarbeitsbedingungen“ wie Nacht- und Überstundenzuschläge, Urlaub, Arbeitszeit und Weihnachtsgeld verhandeln. Auch dieser soll als allgemeinverbindlich erklärt werden.

Zunächst gilt es jedoch schon jetzt, Versuche der Arbeitgeber, den neuen Mindestlohntarifvertrag mit allerlei Tricks zu umgehen, abzuwehren. Mit Informationen in zwölf Sprachen – von Bulgarisch bis Vietnamesisch – informieren wir die ehemals Werkvertragsbeschäftigten über ihre Rechte. Nach wie vor werden sie von ihren neuen Vorgesetzten, die oft die alten aus den ehemaligen Subunternehmen sind, massiv unter Druck gesetzt. So werden sie zum Beispiel dahin gedrängt, neue Arbeitsverträge mit schlechteren Konditionen zu unterschreiben.

Unser Fazit: Das Arbeitsschutzkontrollgesetz und der Branchenmindestlohntarifvertrag haben die Fleischwirtschaft in wenigen Monaten schon einschneidend verändert. Es bleibt allerdings noch viel zu tun!

Freddy Adjan ist stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG) und Mitglied im Kuratorium der Hans-Böckler-Stiftung.

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HANS. 13/2021

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