zurück
Magazin Mitbestimmung

: Wirtschaft in der Schule - geht so Unterricht?

Ausgabe 10/2010

UNTERRICHTSMATERIALIEN Unternehmen und Verbände liefern in Schulmaterialien ihre Weltsicht gleich mit. Von Jeannette Goddar

Jeannette Goddar ist Journalistin in Berlin./Illustration: Jörg Volz/SIGNUM

Geht so Unterricht? Der weltgrößte Kaugummi-Hersteller Wrigley bietet eine Unterrichtseinheit zur Umwelterziehung an. Schritt für Schritt werden Lehrerinnen und Lehrer bei der Durchführung eines "Projekttags Umwelt" angeleitet - mit einem sehr speziellen Inhalt: Den ganzen Tag sollen sich die Schüler mit "Themen rund um das Kaugummi" auseinandersetzen. Eins der Lernziele: die korrekte Entsorgung des klebrigen Materials. Daran, dass Kaugummikauen an sich eine tolle Sache ist, lässt die Broschüre - wenig überraschend - keinen Zweifel: Wer kaue, könne sich besser konzentrieren!

Wer das Ganze für einen ebenso schlechten wie wirkungslosen PR-Gag hält, könnte irren. Immerhin hat der Kaugummi-Multi 2009 schon die zweite Auflage der illustren Mappe aufgelegt - wozu, wenn sie niemand nutzt? Auch lassen sich auf der Internetseite des Unternehmens Gymnasiastinnen mit der Aussage zitieren, es sei "sehr interessant zu erfahren, was ein Kaugummi hinter sich bringen muss, bevor es ins Regal kommt". Und schließlich kann der Kaugummi-Konzern - der sich auch als Sponsor des bundesweiten Schülerprojekts "Jugend denkt Zukunft" betätigt - der Unterstützung der Politik sicher sein. So teilte der ehemalige bayerische Kultusminister Siegfried Schneider schon mal in einer Presseerklärung mit: "Firmen wie Wrigley" sorgten "mit dafür, dass junge Menschen in Bayern und ganz Deutschland eine Plattform für die Entwicklung innovativer Ideen rund um das Lehren und Lernen von morgen erhalten".

Fest steht: So kann Unterricht gehen. Seit der damalige Bundesbildungsminister Jürgen Rüttgers (CDU) 1996 einen bundesweit beachteten Vertrag mit der Telekom über den Anschluss Zehntausender Schulen ans Internet schloss, gehen Unternehmen und Schulen in Deutschland immer häufiger eine geradezu symbiotische Beziehung ein. Nach den Telefongesellschaften wurde die versammelte Computerbranche an deutschen Schulen aktiv; die Ausbildung der Lehrer am neuen Lernmedium übernahm zu weiten Teilen ein Chiphersteller.

Heute ist das Engagement der Wirtschaft in der Schule Normalität - nahezu unumstritten, vor allem aber wenig diskutiert. Nur einige Bildungsexperten und die Gewerkschaften, allen voran die GEW, weisen immer wieder auf eine eigentlich auf der Hand liegende Tatsache hin: Privatisierung bedeutet immer auch Ökonomisierung. Sollen an Bildungsstätten für Minderjährige, die aus guten Gründen unter staatlicher Aufsicht stehen, Werbung, Kommerz und Marketingstrategien Einzug halten? Welche neuen Abhängigkeiten schafft der Einzug von Unternehmen an Schulen - erst recht in Zeiten knapper Kassen, in denen jeder Schulleiter über (fast) jede Unterstützung froh sein muss? Und: Nicht nur die Schulleiter, auch die Kultusminister stehen ganz offensichtlich unter Druck: Wenn in einer Schule geschrieben stehe, dass "Coca-Cola 20 Basketbälle gespendet" habe, sei das "in Ordnung, zulässig und unschädlich". So sagte es Klaus Böger (SPD), Ex-Bildungssenator jenes Landes, das als Erstes sogar direkte Produktwerbung an Schulen zuließ: das notorisch klamme Berlin.

JUNGE KÄUFERSCHICHTEN_ Aber ist das so? Schulen beherbergen nicht nur Schüler, die dort etwas lernen sollen - sondern auch eine Käuferschicht. Und zwar eine, der laut "Kids-Verbraucher-Analyse" schon im Alter von sechs bis 13 ein Vermögen von mehr als sechs Milliarden Euro zur Verfügung steht. Völlig unverhohlen wirbt auch eine "Agentur für Bildungsmarketing" auf ihrer Website statt mit der Chance auf gesellschaftliche Anerkennung mit jener auf neue Absatzmärkte. Bereits im Vorschulalter, steht dort, beherrschten viele Sprösslinge "ein erstaunliches Repertoire an Werbesprüchen". Und: Schon "Mädchen unter sieben Jahren, die ihre Wunschliste für Weihnachten zusammenstellen, orientieren sich vor allem an dem ihnen über Werbung Präsentierten".

Wenn Mira Rübsamen dies liest, schlägt auch sie als Befürworterin einer Zusammenarbeit von Schule und Wirtschaft die Hände über dem Kopf zusammen. So werde der "ohnehin nicht gute Ruf des Begriffs Sponsoring weiter ruiniert". Mira Rübsamen ist verantwortlich für Sponsoring und Corporate Social Responsibility bei der Stiftung "Partner für Schule NRW". Sie wurde von der Düsseldorfer Landesregierung und mehreren großen Unternehmen gemeinsam gegründet, um Kooperationen von Wirtschaft und Schule zu unterstützen.

Dass sich auf dem Schul- und Schülermarkt auch dunkelgraue bis schwarze Schafe tummeln, stellt Rübsamen nicht in Abrede. "Seriöse Partnerschaften und Projekte, wie wir sie starten, tun allen Beteiligten gut." Den Unternehmen, weil sie etwas für ihr Image, für ihren Standort - und in Zeiten des demografischen Wandels auch für ihren Nachwuchs tun. Den Schulen, weil sie Praktiker für den Unterricht, aber auch handfeste Unterstützung bekommen: bei der Gestaltung eines Schulgartens oder dem Ausbau einer Sporthalle zum Beispiel. Und natürlich den Schülern, die durch Praktika und Hospitanzen ihre Chancen auf dem Ausbildungsmarkt steigern. Tatsächlich sind Lernpartnerschaften die am wenigsten umstrittene Form der Zusammenarbeit. "Natürlich ist es toll, wenn Schüler die Praxis kennenlernen", sagt auch die Berliner Landeschefin der GEW, Rosemarie Seggelke. "Gäbe es das nicht, wäre die Lage vieler Jugendlicher noch schlechter."

Die Stiftung "Partner für Schule NRW" tut aber noch etwas: Sie prüft die Materialien, mit denen sie arbeitet, auf ihren pädagogischen Gehalt - auch mit Unterstützung des Düsseldorfer Schulministeriums. Auch damit ist etwas gewonnen. Nach Angaben des Deutschen Philologenverbandes werden die Schulen nämlich mit Unterrichtsmaterialien und Werbezusendungen von Unternehmen inzwischen "richtiggehend zugeschüttet" - ohne dass sie die Kapazitäten hätten, das ungefragt Gesandte gründlich zu überprüfen.

WANDERTAG INS AKW_ Dabei täte eine kritische Betrachtung gut. Längst nicht immer kommt Unterrichtsmaterial nämlich als so offensichtlich plumpe Schleichwerbung daher wie im Fall Kaugummi. Unter der unverdächtigen Internet-Adresse http://www.kernfragen.de/ muss der interessierte Nutzer schon eine Weile suchen, wer dort unter dem Titel "Ein Kernkraftwerk erkunden" Hilfe bei der Vorbereitung eines Wandertages in ein Atomkraftwerk bietet: Der "Informationskreis Kernenergie". Und wer steckt hinter dem? Das Deutsche Atomforum - der bundesweite Zusammenschluss der Betreiber von Atomkraftwerken.

Mit Verve vorangetrieben wird auch die Frage der wirtschaftlichen Bildung an Schulen. Im Kern geht es den treibenden Kräften um die Einführung eines Schulfaches "Wirtschaft" - das sie am liebsten auch mit Inhalten füllen wollen: Sowohl die Bundesverbände von Industrie und Arbeitgebern (BDI und BDA) wie auch der Bankenverband legten in jüngerer Zeit mit ihrer Forderung nach Wirtschaftsunterricht auch gleich Bestandteile des Lehrplans vor. Das Material für den Unterricht ist nicht nur längst geschrieben. Massenhaft, sagt der Politikwissenschaftler Dirk Lange, produzierten Unternehmen wie wirtschaftsnahe Institute Unterrichtsbausteine, die "nichts anderes als ihre Partikularinteressen verbreiten".

Für den wissenschaftlichen Unterbau ist auch gesorgt: Sowohl die aus Metall- und Elektroindustrie finanzierte Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft (INSM) wie auch die Friedrich-Naumann-Stiftung arbeiteten sich in den vergangenen Jahren an dem Bild der Marktwirtschaft in deutschen Schulbüchern ab - die in den meisten Ländern noch der staatlichen Kontrolle unterliegen. Die FDP-nahe Naumann-Stiftung, die "konsequent" "für die Freiheit" steht, beschreibt anhand von acht Schulbüchern eine "gefährliche" Realität: Die bestehe darin, dass den Schülern in Niedersachsen "ökonomischer Nonsens mit antikapitalistischem Beigeschmack" serviert werde.

Die INSM hat das renommierte Georg-Eckart-Institut für internationale Schulbuchforschung in Braunschweig mit einem Vergleich deutscher Schulbücher mit schwedischen und englischen beauftragt. Zwar bekennen sich alle Schulbücher"unzweifelhaft zu einer marktwirtschaftlichen Ordnung", konstatiert die INSM. In England werde die Marktwirtschaft aber weniger stark "dem Primat der Politik" untergeordnet. Auch blicke man anderswo "positiver auf die industrielle Vergangenheit zurück".

Den steigenden Stellenwert ökonomischer Bildung haben die Gewerkschaften maßgeblich mit eingeleitet: Gemeinsam mit BDA und Bundeselternrat forderte der Deutsche Gewerkschaftsbund vor zehn Jahren die Kultusministerkonferenz auf, sozioökonomische Bildung verbindlich in allgemeinbildenden Schulen zu verankern. Seither, moniert Martina Schmerr von der GEW, habe aber vor allem eines zugenommen: "der Einfluss von Unternehmen auf Schulen und auf die Kultusminister".

Dem etwas entgegensetzen will die "Initiative Schule und Arbeitswelt" des DGB - in der GEW, IG Metall, IG BAU, IG BCE und ver.di vertreten sind. Sie unterstützt in ganz Deutschland regionale Arbeitskreise, die sich in der Schule engagieren: junge Gewerkschafter, die mit Klassen über Arbeitnehmerrechte sprechen oder Bewerbungstrainings durchführen; Betriebsräte, die Besuche in Unternehmen anbieten; Foren, die sich der Schulpolitik widmen. Auch Unterrichtsmaterial hat die Initiative erstellt. Das oberste Ziel, sagt Bernd Kaßebaum, in der IG Metall für Bildung zuständig, sei aber nicht die Stärkung der Gewerkschaften, sondern "eine gute Schule für alle". Und das heißt auch: unabhängig vom Geldbeutel der Eltern.

Der rechtliche Rahmen für Unterrichtsmaterialien (pdf zum Download)

Interview mit Politikwissenschaftler Dirk Lange Über wirtschaftsnahe Schulmaterialien (pdf zum Download)

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen