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Ralf Reinstädtler, Vorstandsmitglied der IG Metall Magazin Mitbestimmung

Interview: „Wir haben ein agiles Angebot“

Ausgabe 01/2024

Ralf Reinstädtler, Vorstandsmitglied der IG Metall und stellvertretender Vorsitzender des Vorstands der Hans-Böckler-Stiftung, über Ziele und Methoden gewerkschaftlicher Bildungsarbeit. Das Gespräch führten Kay Meiners und Andreas Molitor

Was muss Bildungsarbeit leisten in einer Zeit, in der die Demokratie unter Druck gerät?

Die Demokratie ist beobachtbar bedroht. Russland mit seinem diktatorischen Machthaber führt einen Angriffskrieg in der Ukraine. Donald Trump, ein Mann mit seinem sehr zweifelhaften Demokratieverständnis, könnte noch einmal US-Präsident werden. Und in Deutschland ist mit der AfD eine rechtsextreme Partei erstarkt, die auch 2024 zu Europa- und Landtagswahlen antritt. Darum ist es so wichtig, dass wir mit der Bildungsarbeit die Demokratie festigen. Es ist eine Überlebensfrage. Freie Gewerkschaften gibt es nur in einer intakten Demokratie.


Müssen die klassischen Seminare ersetzt oder ergänzt werden durch aufsuchende Bildung vor Ort im Betrieb und auch durch digitale Angebote?

Unsere Bildung findet schon lange nicht mehr nur im Bildungszentrum statt. Wir haben ein agiles Angebot. Wir sind vor Ort und gehen hin zu den Kolleginnen und Kollegen. Und da kommen wir nicht mit vorgefertigten Präsentationen, sondern nehmen genau die Themen in den Blick, die im jeweiligen Betrieb relevant sind. Diese aufsuchende Bildungsarbeit werden wir noch verstärken, genau wie unsere digitalen Angebote. Die richten sich an jüngere  Beschäftigte, aber auch an Kolleginnen und Kollegen, denen der Weg ins Bildungszentrum schwerfällt, weil sie Familienangehörige pflegen oder Kinder betreuen. Im vergangenen Jahr haben wir mit 6000 Seminaren rund 90 000 Menschen erreicht.


Wie weit strahlt diese Bildungsarbeit auf die Gesellschaft insgesamt aus?

Über den Arbeitsplatz sind wir nah an den Menschen, dort leben wir Demokratie und Mitbestimmung. Das ist eine positive Ausgangslage. Allerdings sind der Betrieb und das Private, die Gesellschaft draußen, unterschiedliche Welten. Auf das gesellschaftliche Umfeld können wir nur indirekt Einfluss nehmen und Leute befähigen, auch in der Gesellschaft  insgesamt ihre Interessen zu vertreten. Das ist schwieriger. Darum bilden wir „Demokratiekämpferinnen und -kämpfer“ aus – Leute, die in den Betrieben erklären, was eine Demokratie eigentlich ausmacht und was systemische Gefährdungen sind. Die wichtigste Zielgruppe sind diejenigen, die Zweifel haben und durch Transformationsprozesse verunsichert sind. Harte Extremisten erreichen wir damit natürlich nicht. Aber es gilt, mit denen ins Gespräch zu kommen, die anfällig sind für die Parolen.


Manche Betriebsräte scheuen die Diskussion heikler Themen – aus Angst, dass, wenn Konflikte offen ausbrechen, ihnen der Laden auseinanderfliegt.

Scheut man den Weg in die Betriebe, läuft man Gefahr, dass die Triggerpunkte entweder gar nicht angesprochen und heikle Themen zu Tabus erklärt werden – oder dass die Diskussion nur im Kreis der Seminarteilnehmer geführt wird, nicht aber an der Werkbank oder im Pausenraum. Unsere Bildungsarbeit lebt doch davon, dass die Kolleginnen und Kollegen uns ihre Schwierigkeiten mitteilen. Es geht nicht darum, die Beschäftigten vor den Kopf zu stoßen, sondern sie mitzunehmen, zur kritischen Selbstreflexion zu befähigen und konfliktfähig zu machen. Was wir nicht brauchen, ist ein Pseudo-Konsens, der alle Probleme zukleistert.

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