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Magazin Mitbestimmung

Öffentlichkeit: Wettlauf um Aufmerksamkeit

Ausgabe 11/2014

Arbeitnehmervertreter stehen zunehmend im Fokus der Medien – und stoßen auf viel Verständnis. Doch der Schritt ins Scheinwerferlicht will gut vorbereitet sein. Von Andreas Schulte

Markus Rademacher war auf dem Weg vor die Fernsehkameras. Aber das wusste er nicht. Eigentlich hatte er sich nur zu seiner Arbeit auf dem Flughafen Zweibrücken aufgemacht. Doch plötzlich hieß es dort: Insolvenz! Reporter tauchten auf: „Wie geht es weiter mit dem Flughafen? Wie fühlt sich die Belegschaft? Welche rechtlichen Schritte plant die Arbeitnehmerseite?“ Solche Fragen setzten dem 24-Jährigen mächtig zu. „Ich wusste nicht, wo mir der Kopf stand, ich wurde überrannt“, sagt er. Erst zwei Monate zuvor war er zum Betriebsrat gewählt worden. Ohne Erfahrung musste er sich an vorderster Kommunikationsfront behaupten. 

Doch im Spiel mit der Öffentlichkeit lernte er schnell dazu. Heute, fast 100 Interviews später, klingelt sein Telefon noch immer regelmäßig. Journalisten wollen auf dem jüngsten Stand der Dinge gehalten werden. Betriebrat Rademacher geht gelassener damit um als früher. „Anfangs war ich im Gespräch zu ängstlich. Ich bin jetzt viel selbstsicherer. Das habe ich mir durch die ständige Praxis antrainiert“, sagt er.

SKANDALISIEREN HILFT

Rademacher ist nicht der einzige Arbeitnehmervertreter, der die geballte Wucht der Medien spürt. Betriebsräte und Gewerkschafter stehen in Interviews, bei Streiks oder im Tarifstreit immer häufiger im Rampenlicht der Öffentlichkeit. Denn die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auf. „Wegen der sozialen Schieflage stoßen Arbeitnehmervertreter in der öffentlichen Wahrnehmung zunehmend auf Verständnis“, sagt Hans-Jürgen Arlt, Kommunikationswissenschaftler und bis 2003 Leiter der Öffentlichkeitsarbeit beim DGB. Betriebsräte und Gewerkschaften nutzen das aus. 

So wirbelte die Kampagne „Schwer für mehr“ der IG BCE während der Tarifrunde 2014 mächtig Staub auf. Dazu stiegen Arbeitnehmer an verschiedenen Orten in Deutschland in ihren Betrieben auf die Waage. Das Ziel: symbolisch die Verhandlungsmasse der Gewerkschaft zu steigern und an einer Stelle zu bündeln. Dazu richtete die Gewerkschaft eine Internetpräsenz ein. Dort ließ sich die Gewichtszunahme der Verhandlungsmasse jederzeit ablesen. Am Ende standen vier Millionen Kilo und ein großes Medienecho. 

Derart kreative Aktionen sind für Gewerkschaften kein Neuland mehr. Die Zeiten des bloßen Protests sind vorbei. „Seit rund einem Jahrzehnt kommunizieren Gewerkschaften deutlich professioneller“, sagt Juri Maier, Geschäftsführer von Wegewerk. Die Berliner Agentur konzipiert und begleitet Kampagnen für den DGB und einige seiner Gewerkschaften. Das Ziel: „Kampagnen müssen für Verständnis sorgen“, sagt Maier. Dafür sucht seine Agentur einfache, bildhafte Vergleiche. So seilten sich bei einem Event des DGB zum Mindestlohn Aktivisten an Fassaden ab. Darunter war ein Sicherheitsnetz gespannt, sinnbildlich für die soziale Funktion des Mindestlohns. Der Erfolg einer solchen Veranstaltung lässt sich leicht messen. „Je häufiger wir unseren Vergleich anschließend in der Presse wiederfinden, desto gelungener ist er“, sagt Maier.

Spektakuläre Kampagnen sind freilich nicht das tägliche Brot von Gewerkschaften. Nachrichten aus dem betrieblichen Alltag reichen in der Regel nicht aus, um von Redaktionen berücksichtigt zu werden. „Für viele Sender und Zeitungen steht die Produktion von Aufmerksamkeit im Vordergrund, Inhalte sind ihnen weniger wichtig“, sagt Arlt. Arbeitnehmervertreter müssen daher skandalisieren. 

Dabei hilft Ulrich Wohland, der unter anderem ver.di bei der Organisation von Kampagnen berät. „Die Skandalisierung beginnt im Betrieb – mit Plakatierungen, Buttons und Flugblättern“, sagt er. „Erst wenn dort eine stabile Meinung über den Konflikt herrscht, kann man den Schritt in die Öffentlichkeit wagen.“ Die Gefahr: Neue Aspekte der öffentlichen Diskussion können intern neuen Streit entfachen. „Das kann die Belegschaft spalten“, sagt Wohland.

KREATIVITÄT STATT TRILLERPFEIFE

Doch auch das geschlossene Auftreten einer Belegschaft garantiert öffentliches Interesse nicht. Laut Wohland bleiben betriebliche Konflikte oft unberücksichtigt, weil im Arbeitnehmerlager die Ressourcen für eine kontinuierliche Öffentlichkeitsarbeit fehlen. Zwar springen regionale Medien schnell auf einen Streit zwischen Chefs und Beschäftigten an, sagt Wohland. Um den Sprung in nationale Leitmedien wie etwa die „Süddeutsche Zeitung“ zu finden, müsse ein Konflikt aber rund ein halbes Jahr schwelen. Nur wenige Auseinandersetzungen dauern so lange. „Schon deshalb haben es betriebliche Konflikte schwer, überregional Beachtung zu finden“, sagt Wohland. 

Experte Arlt empfiehlt Arbeitnehmervertretern daher, sich nicht nur auf Journalisten zu verlassen, sondern zusätzlich eigene Kanäle zu bedienen. Im Internet lässt sich über Blogs, Twitter und Facebook die Öffentlichkeit ungefiltert erreichen. Betriebsräte nutzen diese Medien zunehmend. Wie wichtig ein eigener Kanal sein kann, zeigt das Beispiel der Kölner Verlagsgruppe DuMont. Gewerkschaft und Betriebsräte betreiben dort einen gemeinsamen Blog. Das ­Thema: Die Entwicklung des Verlags, der bereits seit Jahren Arbeitnehmerrechte zu beschneiden versucht und massiv Personal abbaut. Für die Arbeitnehmer ist dieser Blog die einzige Möglichkeit, die Kölner Öffentlichkeit ungefiltert zu erreichen. Denn ausgerechnet der eigene Arbeitgeber kontrolliert alle entscheidenden Medien der Stadt. 

Hat es ein Konflikt einmal nach draußen geschafft, empfiehlt Wohland Arbeitnehmervertretern möglichst originelle Aktionen. So legten sich Mitte des Jahres in Berlin Beschäftigte im Gesundheitswesen einige Minuten lang aufs Straßenpflaster. Ihr Motto: „Pflege am Boden“. Das Kalkül: Statt mit einer Trillerpfeife nur Aufmerksamkeit zu erregen, wecken sie durch Kreativität Sympathien. „Früher haben Arbeitnehmer in Aktionen eher den Konflikt innerbetrieblich ausgelebt, heute wollen sie zusätzlich die Öffentlichkeit für sich gewinnen“, sagt Wohland. Auch das habe zu mehr allgemeinem Verständnis für ihre Interessen geführt. 

DIE MACHT DER BILDER

Stößt ein Konflikt aber auf Unverständnis, droht ein Imageschaden. Prominentes Beispiel: die Lokführergewerkschaft GDL. Für ihre Streiks im Oktober und November hagelte es Kritik. Auch GDL-Boss Claus Weselsky geriet ins Trommelfeuer der Medien. So bezeichnete etwa das Magazin „Wirtschaftswoche“ den Streik als „Amoklauf eines komplexbeladenen Außenseiters“. 

Wohland rät daher zu Vorsicht: „Arbeitnehmervertreter irren, wenn sie meinen, dass es per se gut ist, mit betrieblichen Konflikten an die Öffentlichkeit zu gehen.“ Das Mediendebüt von Gewerkschaftssekretären und Betriebsräten sollte daher gut vorbereitet sein. „Wer mit der Presse spricht, sollte in Bildern sprechen und sich kurz und knapp fassen“, rät Wohland, der dies in Kommunikationstrainings und Rollenspielen mit Arbeitnehmervertretern einübt. 

Betriebsrat Rademacher am Flughafen Zweibrücken hätte sich so eine Schulung gewünscht. „Damals war keine Zeit“, sagt er. Die richtigen Worte hat er offensichtlich dennoch gefunden. Facebook-Gruppen und ein Internetforum unterstützen Rademacher beim Kampf gegen die Insolvenz. Gute Kontakte habe er zu drei regionalen Medien aufgebaut, auch der TV-Sender Sat1 höre regelmäßig nach, ob es etwas zu berichten gebe. Rademacher will das nutzen. „Durch sie kann ich unsere Interessen in der Öffentlichkeit mit mehr Nachdruck vertreten“, sagt er. „Wir spüren in der Bevölkerung eine gewisse Solidarität.“

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