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Magazin Mitbestimmung

: Vertrauensbildende Maßnahmen

Ausgabe 10/2008

GLOBALE ETHIK Vor großem Publikum haben die Chemie-Arbeitgeber und die IG BCE ihre Sozialpartnerschaft durch Leitlinien erneuert. Der Praxistest steht noch aus.

Von Susanne Kailitz, Journalistin in Dresden/Foto: Wolfgang Roloff

Für mich ist das ehrlich gesagt so, als hätte unsere gesamte Branche das höchste Bundesverdienstkreuz bekommen." Noch lange nach dem Festakt ist Hans Paul Frey, Hauptgeschäftsführer des Bundesarbeitgeberverbandes Chemie (BAVC) euphorisiert. Am 14. August hat sein Verband gemeinsam mit der IG BCE im Berliner Congress Center einen Ethik-Kodex unterzeichnet, der künftig "Leitlinien für verantwortliches Handeln in der sozialen Marktwirtschaft" vorgeben soll. Viel Applaus hatten die Bündnispartner, IG-BCE-Chef Hubertus Schmoldt und BAVC-Präsident Eggert Voscherau, für ihren Vertrag bekommen - doch besonders geadelt wurde die Veranstaltung durch eine ungewöhnlich begeisterte Rede des Bundespräsidenten.

Das Zusammenspiel der Sozialpartner in der Chemiebranche, so Horst Köhler, sei gekennzeichnet durch "Partnerschaft auf Augenhöhe" und "Pragmatismus statt Polemik". Die Chemiebranche habe ihre gesellschaftliche Verantwortung "früher erkannt und wahrgenommen als manch andere". Mit ihrer Vereinbarung habe sie einen guten Weg eingeschlagen, der "wegweisend für uns alle" sei. In Zeiten, in denen die betrieblichen Konflikte zunehmen und das Vertrauen der Bürger in gesellschaftliche Institutionen und Verbände so gering ausgeprägt ist wie nie, derartige Komplimente einzuheimsen, machte die Verbandsvertreter sichtlich stolz - auch wenn die IG BCE schon länger die Lieblingsgewerkschaft der amtierenden Bundeskanzlerin ist.

GUTE AREIT BEWAHREN_ Dabei geht es IG BCE und BAVC mit ihrer Vereinbarung um mehr als schnelles Lob. Ihre Vereinbarung soll nicht weniger als "neues Vertrauen in die soziale Marktwirtschaft und unsere Demokratie" stiften, so Hubertus Schmoldt. Im Wirtschaftsleben seien die Maßstäbe verantwortlichen Handelns "ein Stück weit abhanden gekommen" - damit sei ein Vertrauensverlust einhergegangen, dem nun entgegengewirkt werden solle. Für Eggert Voscherau ist der Kodex "alles andere als ein Lippenbekenntnis", man wolle damit erreichen, dass das "Bewusstsein für wirtschaftsethisches Handeln" geschärft werde.

In der Präambel der Vereinbarung heißt es, IG BCE und BAVC setzten sich für ein "neues gesellschaftliches Gleichgewicht" ein, beruhend auf der "Akzeptanz von ökonomischen, sozialen und ökologischen Bedürfnissen". Fünf Themenbereiche - von "nachhaltigem unternehmerischem Erfolg" über "gute Arbeit" durch Respekt und Fairness bis hin zu "Qualifikation und Engagement" enthält der Kodex, den die Sozialpartner in fünf gemeinsamen Workshops mit Unterstützung des Wittenberg-Zentrums für Globale Ethik erarbeitet haben. Man wolle, so heißt es darin, unter den Bedingungen des globalen Wettbewerbs die Voraussetzungen für gute Arbeit bewahren, um gemeinsam von ihren Vorteilen zu profitieren und nachhaltigen wirtschaftlichen Erfolg zu sichern.

Was beim Festakt in Berlin als Resultat offener Diskussionen auf Augenhöhe präsentiert wurde, ist nicht zuletzt das Ergebnis eines anstrengenden Prozesses. Die Diskussionen der vergangenen zwölf Monate seien für alle Beteiligten "ungewohnt" gewesen, erinnert sich Michael Vassiliadis, Vorstandsmitglied der IG BCE. "Natürlich beharrte jede Seite erst einmal auf ihrer programmatischen Beschlusslage." Doch irgendwann habe man Hierarchien und festgefahrene Denkmuster hinter sich gelassen und produktiv diskutiert. "Dazu hat auch die gesamte Atmosphäre beigetragen. Wir waren im geschichtsträchtigen Wittenberg, in kargen Räumen, nichts als ein Glas Wasser vor uns. So etwas erleichtert das klare Denken. In einer solchen Umgebung will sich niemand vorwerfen lassen, er habe an profaner Tagespolitik festgehalten und sei nicht konstruktiv gewesen."

Auch für Hans Paul Frey ist das Gelingen der Diskussion auf ihren besonderen Rahmen zurückzuführen. "In Kleingruppen fällt das miteinander Sprechen leichter als im Plenum, wo jeder an bestimmte kollektive Positionen gebunden ist." Beide Seiten betonen die produktive Rolle, die das Wittenberg-Zentrum für Globale Ethik dabei gespielt hat. Die Einrichtung hatte in den insgesamt fünf Workshops, an denen die Sozialpartner teilnahmen, die Gespräche moderiert und die Beteiligten dazu gebracht, andere Positionen anzuhören und selbst zu durchdenken. "Wir wurden immer wieder gefragt, warum wir bestimmte Vorschläge der anderen Seite ablehnten. Wenn man das wirklich begründen muss, werden plakative Argumente schnell entlarvt", so Michael Vassiliadis. Außerdem, beschreibt Hans Paul Frey einen weiteren Vorteil, seien die Ergebnisse nicht unmittelbar mit konkreten Auswirkungen verbunden gewesen, wie etwa in Tarifverhandlungen. "Es ging ja um Erkenntnisse - und das macht es leichter."

MITBESTIMMUNG AUSGESPART_ Unkomplizierter wurden die Verhandlungen ganz sicher auch dadurch, dass bestimmte Themenbereiche ausgespart wurden. So findet sich im Ethik-Kodex an keiner Stelle der Begriff "Mitbestimmung". Er wurde bewusst ausgeklammert, gibt IG-BCE-Sprecher Hülsmeier zu. "Diese Diskussion wollten wir im Wittenberg-Prozess einfach nicht führen." Weil es damit schwerer geworden wäre, die Arbeitgeberseite zu Zugeständnissen zu bewegen und für die Gewerkschaft die Mitbestimmung ohnehin fundamentaler Bestandteil der sozialen Marktwirtschaft sei.

Ob der Begriffsverständigung Taten folgen oder ob der Wittenberg-Prozess letztlich doch theoretisch bleibt, wird sich erst noch zeigen. Geht es nach dem Willen der IG BCE, wird es in den kommenden Monaten in den Unternehmen der Branche konkrete Agreements für die Zusammenarbeit von Arbeitgebern und Mitarbeitern geben. Ulrich Bormann, Leiter Corporate Human Resources bei Evonik, erwartet, dass das in seinem Unternehmen schnell geschieht. "Wir haben die Leitlinien gerade in unserem konzernweiten Intranet bekannt gemacht, damit kann sich jeder informieren. Als Nächstes wird es einen Dialog zwischen Unternehmensleitung und Mitarbeitern geben, wie wir die Vereinbarung umsetzen können." Denkbar seien etwa Betriebsvereinbarungen in Feldern wie Weiterbildung oder Chancengleichheit.

Weil die Vereinbarung der Sozialpartner freiwillig abgeschlossen wurde, gibt es keine Sanktionsmöglichkeiten, sollte sie gebrochen werden. Doch damit rechnen beide Seiten nicht. Für Hans Paul Frey wäre ein solches Verhalten kontraproduktiv. "Wenn wir das so nicht gewollt hätten, gäbe es diesen Kodex jetzt nicht. Den einseitig aufzukündigen würde nur dazu führen, dass beide Seiten nicht mehr von den Vorteilen der bisherigen Zusammenarbeit profitieren würden. Und das will keiner." Auch Michael Vassiliadis ist optimistisch. "Es gibt regelmäßige Treffen der Verbandsspitzen. Die werden wir nutzen und eine Umsetzung unserer Vereinbarung im betrieblichen Alltag immer wieder einfordern."

Mehr informationen

Zur Sozialpartnervereinbarung findet man
weitere Infos auf der Startseite der IG BCE unter http://www.igbce.de/ nebst Beiträgen zur Tagung.

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