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Magazin Mitbestimmung

: Unerwünschte Nebenwirkungen

Ausgabe 11/2008

EIGENTÜMERWECHSEL Multimilliardärin Susanne Klatten machte durch den Verkauf ihrer Altana-Pharma-Anteile groß Kasse. Die Folgen der anschließenden Restrukturierung tragen allein die Mitarbeiter.

Von STEFAN SCHEYTT, Journalist in Rottenburg am Neckar/Foto: photothek

Da saß er nun, der Betriebsratsvorsitzende, der 57.000 Euro im Jahr verdient, und ihm gegenüber am Tisch seine Aufsichtsrats-Kollegin, die reichste Frau Deutschlands, geschätzte neun Milliarden Euro schwer. Sie kämpfte mit den Tränen, erinnert sich der Betriebsrat an die denkwürdige Sitzung im September 2006. Was die medienscheue, "unsichtbare Milliardärin" (Handelsblatt) so rührte, kann man nur vermuten - vielleicht war es nostalgischer Abschiedsschmerz, vielleicht auch die Enttäuschung über die Vorwürfe des "undankbaren" Betriebsrats. Der hatte ihr nämlich vorgehalten, sie mache es sich zu leicht, es fehle ihr an unternehmerischem Mut und Durchhaltevermögen, sie würde ihrer Verantwortung als Haupteigentümerin nicht gerecht.

Dabei wären Emotionsausbrüche auf der anderen Seite, bei Konzernbetriebsratschef Rolf Benz und seinen Arbeitnehmer-Kollegen im Aufsichtsgremium, viel angebrachter gewesen. Denn während Susanne Klatten, "Deutschlands Dividendenkönigin" (Die Zeit), durch den Verkauf ihrer Anteile an der Altana Pharma AG um gut 2,3 Milliarden Euro reicher wurde, begann für die Beschäftigten des Konstanzer Pharmaunternehmens mit dem Ausstieg der Großaktionärin eine aufreibende Zeit des Personalabbaus und der Ungewissheit, die bis heute andauert. Zu erzählen ist deshalb die Geschichte einer Enttäuschung - weil ein Management nicht Wort hielt und weil ein Kapitaleigner wieder einmal vor allem seine eigenen Interessen bediente.

MAGENMEDIKAMENT ALS FÜLLHORN_ Man kann die Geschichte 1995 beginnen lassen, in jenem Jahr, in dem Altana Pharma das Magenmedikament Pantoprazol auf den Markt bringt. "Pantoprazol war nicht der 68. Betablocker, sondern eine wirkliche Innovation", erklärt Betriebsratschef Rolf Benz. Das Medikament wird zum Verkaufsschlager von Altana Pharma, "allein auf dem US-Markt hat das Unternehmen viele Hundert Millionen Euro damit verdient", so Benz. Die Entwicklung ist ganz nach dem Geschmack von Susanne Klatten, der die Hälfte der Firma gehört, seit ihr Vater, der Industrielle Herbert Quandt, ihr die Anteile vermachte - als Ausgleich dafür, dass sie weniger BMW-Aktien erbte als ihre Mutter und ihr Bruder (zusammen hält die Familie heute knapp 47 Prozent am bayerischen Autobauer).

In Konstanz und Singen, den zwei wichtigsten Standorten von Altana Pharma, wächst die Belegschaft zwischen 2000 und 2005 vor allem dank Pantoprazol um 1200 Mitarbeiter auf fast 3000 Beschäftigte. Viele von ihnen haben - noch aus der Zeit von Herbert Quandt - Namensgewinnscheine, deren jährliche Verzinsung an die Entwicklung der Dividenden gekoppelt ist; später gibt es bezuschusste Belegschaftsaktien und Einmalzahlungen für ertragreiche Geschäftsjahre; die Gruppenarbeit mit ihrem Vergütungssystem beschert vielen Mitarbeitern ein weiteres zusätzliches Einkommen. "Altana schüttete das Füllhorn nicht nur über seinen Aktionären aus, sondern auch über seinen Mitarbeitern", anerkennt Wilfried Penshorn, Bezirksleiter bei der IG BCE in Freiburg und Aufsichtsratsmitglied der Pharmafirma. Betriebsrat Benz bestätigt: "Kollegen aus der Branche sagten mir oft: ‚Rolf, so schön wie du hätten wir's auch gern.‘ Manche dachten, Altana Pharma sei etwas anderes als andere Firmen. Aber das war ein Trugschluss."

WORTE UND TATEN_ Es war ein Trugschluss mit eingebauter Vorwarnzeit. Denn absehbar war von Anfang an: 2009/2010 läuft der Patentschutz für Pantoprazol aus, dann werden Nachahmerprodukte den Preis drücken und den Umsatz dramatisch einbrechen lassen; und neue Medikamente, die den Rückgang auffangen könnten, sind nicht "in der Pipeline", wie es bei forschenden Pharmafirmen heißt. "In geradezu arroganter Weise hat das Management allein auf diesen einen Blockbuster gesetzt - und das rächt sich jetzt", kritisiert Gewerkschafter Penshorn. "Vielleicht war es ein Fehler, dass wir diese Problematik nicht stärker thematisiert haben", räumt Konzernbetriebsratschef Rolf Benz ein. "Aber vermutlich hätte man das als ‚Panikmache und Schwarzmalerei‘ abgetan."

Als der Handlungsdruck doch immer größer wird, präsentiert Altana-Chef Nikolaus Schweickart schließlich einen Plan: "Es hieß, wir würden an die Börse gebracht. Und zuvor würde eine Milliarde Euro ins Unternehmen investiert, die uns stark machen sollte für die Zeit nach dem Ende des Patentschutzes für Pantoprazol", berichtet Benz. Doch die Investition, so der Betriebsrat, sei nie getätigt worden, der Vorstand habe sich auch immer mehr vom Plan eines Börsengangs entfernt. Stattdessen ist plötzlich von Verkauf die Rede, aber Vorstandschef Schweickart beteuert öffentlich, man suche einen Partner mit eigener Forschung, auf keinen Fall würde Altana Pharma an einen Finanzinvestor veräußert.

Nur wenige Monate später kommt es genau umgekehrt: Altana Pharma wird an den viel kleineren dänischen Wettbewerber Nycomed verkauft, der keine eigene Wirkstoffforschung betreibt, sondern seine Präparate überwiegend auf dem Wege der sogenannten Einlizenzierung wenige Jahre vor der Zulassung forschenden Konkurrenten abkauft und dann in eigener Regie zulässt und vertreibt; außerdem sind die maßgeblichen Anteilseigner von Nycomed die bekannten Finanzinvestoren Nordic Capital, Credit Suisse Private Equity und Blackstone (Letzterer hat seine Anteile inzwischen schon wieder verkauft). Den Kaufpreis von 4,6 Milliarden Euro schultert Nycomed - wie bei Finanzinvestoren üblich - zum größten Teil mit Krediten, deren Tilgung einfach auf das übernommene Objekt abgewälzt wird. Kommentiert Betriebsrat Benz: "Wir haben uns quasi über Nacht von einem Unternehmen mit sehr hoher Eigenkapitalquote in ein hochverschuldetes Unternehmen verwandelt."

FEHLENDER FAMILIENSINN_ Bei der Ex-Großaktionärin Susanne Klatten läuft dafür die größte Dividendenzahlung auf, die je in Deutschland an einen einzelnen Teilhaber ausgeschüttet wurde: rund 2,3 Milliarden Euro. Für viele Altana-Mitarbeiter ist das nach dem Wortbruch des Vorstands die zweite große Enttäuschung. Umso mehr, als die Unternehmerfamilie Quandt eigentlich dafür bekannt ist, sehr lange an ihren Beteiligungen festzuhalten und eben nicht den schnellen Vorteil zu suchen. Wie der alte Herbert Quandt, der mit seinem Einstieg bei BMW die Firma einst vor dem Untergang bewahrte. "Es hieß immer, Susanne Klatten stehe zu uns", sagt Rolf Benz. "Das galt auch für viele Jahre, aber in dieser Situation hat sie sich doch entschieden, einfach Kasse zu machen."

Tatsächlich geht es für sie um noch viel mehr Geld. Rolf Benz: "Es bestand durchaus Restrukturierungsbedarf, und eine Milliarde Euro an Investitionen hätte sicher nicht ausgereicht: Wir hätten 2 bis 2,5 Milliarden benötigt. Aber für diese Risikoinvestition fehlte Klatten der Mut." Sie habe so lange so gut an Altana Pharma verdient, dass sie auch eine "Durststrecke" mit dem Unternehmen hätte durchstehen können, findet Benz - "wie in einer guten Familie". Dafür boten die Arbeitnehmervertreter sogar an, dem absehbaren Umsatzeinbruch ab 2009/2010 durch einen gesteuerten, sozialverträglichen Personalabbau zu begegnen.

Den exekutieren nun die neuen Eigentümer, und sie machen es auf ihre Weise. So haben sie Vorteile und Sozialleistungen gekappt, die es zu Zeiten Altanas noch gab. Und schon bald nach der Übernahme kündigen sie an, dass weltweit zehn Prozent aller Beschäftigten, das sind 1250 Mitarbeiter, gehen müssen, davon 930 in Deutschland, die meisten am Forschungs- und Verwaltungssitz in Konstanz, der von 1800 auf 900 Mitarbeiter halbiert wird.

RAMPONIERTER RUF_ "Der Verlust von Arbeitsplätzen ist immer bitter", meint Rolf Benz, aber Katastrophen sehen anders aus. "Keiner der rund 800 Kollegen, die schon gegangen sind, ist derzeit arbeitslos." Fast 700 der meist hoch qualifizierten Wissenschaftler, Laboranten, IT- oder Verwaltungsfachleute haben neue Jobs gefunden, das Angebot in Süddeutschland und in der nahen Schweiz ist gut. Fast 500 von ihnen haben die Turboprämie mitgenommen - 1,45 Monatsgehälter pro Dienstjahr, mindestens aber 15.000 Euro - mit der Altana ihren Mitarbeitern den freiwilligen und schnellen Abschied schmackhaft machte; einige prozessierten sogar um den Abschiedsturbo.

Dieselbe Abfindung handelten Betriebsrat und IG BCE auch für die 330 vom Sozialplan betroffenen Mitarbeiter aus und für jene 120, die in eine Transfergesellschaft wechselten, in der sie bis zu einem Jahr lang 85 Prozent ihres letzten Nettogehalts bekommen. "Die Vermittlungsquote liegt derzeit bei zirka 60 Prozent", weiß Betriebsrat Benz, "und ich bin guten Mutes, dass auch die Kollegen, die noch bis Frühjahr 2009 dort sind, ebenfalls eine neue Stelle finden." Für die Güte des Sozialplans spricht nicht zuletzt, dass sogar mehr Beschäftigte die Firma verlassen haben als ursprünglich angepeilt. Nycomed sucht schon wieder neue Mitarbeiter - und das ist gar nicht so leicht. "Was hier passiert ist, hat unseren Ruf ramponiert", glaubt Rolf Benz. "Es wird lange dauern, bis wir das Vertrauen als verlässlicher Arbeitgeber zurückgewonnen haben."

DAS MISSTRAUEN BLEIBT_ Vergleichsweise harmlos ist die Ankündigung von Nycomed, Ende 2010 auch die Produktion des Pantoprazol-Wirkstoffs am Standort Singen einzustellen und nach Indien zu verlagern. "Panikmache ist in dem Fall unangebracht", meint Benz. "Es war absolut untypisch für einen Finanzinvestor, dass er diese Maßnahme drei Jahre im Voraus bekannt gab." Zudem sind nicht viele hundert, sondern nur 90 Mitarbeiter betroffen. "Wir verhandeln zurzeit ein Überleitungskonzept. Die Kollegen haben beste Chancen, 2010 eine Stelle am Standort angeboten zu bekommen."

Entwarnung also bei Nycomed? Die Stimmung sei fast wieder normal, sagt Rolf Benz. "Das Geschäft läuft, der Personalabbau ist vorbei, es gibt wieder Aufstiegschancen." Es ist wie früher - aber eben nur fast. Der Unterschied ist, dass Nycomed als forschendes Pharmaunternehmen wegen der extrem langen branchenüblichen Produktzyklen sehr langfristig agieren muss, nun aber Eigentümer das Sagen haben, die für Kurzfristigkeit stehen. Niemand weiß, wie lange sie bei der Stange bleiben. Sicher ist nur: Der nächste Exit kommt bestimmt. Und die nächste Gelegenheit dafür könnte sich schon sehr bald ergeben. Voraussichtlich Ende diesen Jahres erfährt Nycomed, ob das Atemwegmedikament Daxas seinen zweiten Anlauf auf Zulassung bei den Behörden nehmen kann; der erste Antrag war 2005, damals noch unter der Regie von Altana Pharma, kurzfristig zurückgenommen worden, um weitere klinische Studien anzustellen. "Wenn wir diesmal in die Zulassung kommen, steigert das den Unternehmenswert enorm, denn Daxas könnte einmal mehrere hundert Millionen Umsatz im Jahr generieren", weiß Rolf Benz.

Gut möglich, dass die Finanzinvestoren dies als gute Gelegenheit begreifen, Nycomed wieder weiterzureichen und so ihren Schnitt zu machen. Sollte das Medikament die Zulassung abermals verpassen, sieht das Szenario allerdings auch nicht besser aus: Durch den dann geringeren Unternehmenswert könnten die Eigentümer versucht sein, Nycomed noch einmal zu restrukturieren und den Forschungsstandort in Konstanz dann ganz zu schließen. "Man hat uns gesagt, dass das nicht passiert, selbst wenn Daxas die Zulassungshürde nicht nimmt", sagt Rolf Benz. "Jetzt bin ich wirklich gespannt, ob sie Wort halten." Diesmal wenigstens.


 

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