Betriebsrätepreis: Türöffner für Menschen mit Handicap
Schwerbehindertenvertreter Liridon Haziraj vermittelt zwischen Inklusionsschulen und seinem Arbeitgeber. Von Stefan Scheytt
Inklusion beschränkt sich beim Industriegase-Hersteller Linde nicht auf Hochglanzbroschüren oder Sonntagsreden. Das bestätigt auch Liridon Haziraj, Vorsitzender der Konzernschwerbehindertenvertretung (SBV). Haziraj initiierte 2023 eine Kooperation mit zwei Münchner Inklusionsschulen, inzwischen ist eine Stiftung als dritter Partner hinzugekommen. Im Rahmen des Projekts sollen Schülerinnen und Schüler dieser Einrichtungen für Praktika bei Linde gewonnen werden. Ziel ist eine Ausbildung oder eine Anstellung, damit Menschen mit Einschränkungen den Weg in qualifizierte Jobs finden. Das Engagement kommt gut an. Für das Projekt wurde die SBV für den Deutschen Betriebsrätepreis 2025 des Bund-Verlags nominiert und beim Deutschen Betriebsrätetag im November in Bonn in der Kategorie „Inklusion gestalten“ ausgezeichnet.
„Wir wollen Türöffner für junge Menschen sein“, sagt Liridon Haziraj. Er weiß aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, als Absolvent einer Inklusionsschule den Weg in die Arbeitswelt zu finden. Er habe viele Absagen bekommen, bevor es endlich mit einem Ausbildungsplatz als Bürokaufmann klappte. Dann machte er seinen Weg – wurde Bilanzbuchhalter, dann Arbeitsvermittler im Münchner Jobcenter und schließlich Assistent des SBV-Vorsitzenden von Linde. 2022 trat er dessen Nachfolge an. Seither setzt er sich als freigestellter Konzernschwerbehindertenvertreter für die Belange von deutschlandweit rund 210 Linde-Beschäftigten mit Einschränkungen ein, darunter knapp 70 am Standort in Pullach bei München.
Er habe die Vision, sagt Haziraj, dass Menschen mit Einschränkungen so selbstverständlich behandelt werden wie Beschäftigte, die zum Beispiel kein Deutsch sprechen. „Bei Meetings ist es in so einer Situation völlig normal, ins Englische zu wechseln. Genauso normal kann man mit anderen ‚Einschränkungen‘ umgehen und Lösungen finden.“ Dann könnten sich Menschen mit Handicap genauso zu Leistungsträgern entwickeln. Ein Weg dorthin soll über jene Kooperationen mit Inklusionsschulen führen. Haziraj und seine Kolleginnen und Kollegen stellten sich und Linde dort vor und warben für den mutigen Schritt in die Wirtschaft. „Bisher hatten wir zehn Praktikanten im Alter von 16 bis 23 Jahren im IT-Bereich, in der Logistik und in der Verwaltung“, berichtet der SBV-Vorsitzende. Einigen habe man Angebote gemacht, leider sei es noch nicht zu Anstellungen als Azubi oder Beschäftigter gekommen. „Es braucht einfach noch ein wenig Zeit“, sagt Haziraj entspannt. „Als Unternehmen haben wir trotzdem schon jetzt profitiert, weil man dadurch beim Umgang mit Menschen mit Einschränkungen lernt: Dies muss kein Tabuthema sein.“
Ich will hier etwas für die Menschen bewegen und fühle mich damit im Einklang mit dem Management, das für alle Fragen offen ist.“
Liridon Haziraj steckt jedenfalls voller Tatendrang. Er will die Kooperation mit Inklusionsschulen auch an weiteren Linde-Standorten in Deutschland aufbauen. In Leuna ist dies bereits geschehen. Für Dresden schwebt ihm eine Kooperation mit der Universität vor, um junge Ingenieure mit Einschränkungen für Linde zu interessieren. Außerdem will er seinen Arbeitgeber davon überzeugen, dass der bei der Suche nach Nachwuchskräften noch gezielter Plattformen für Menschen mit Behinderung nutzt. Haziraj befürchtet nicht, in seinem Engagement ausgebremst zu werden, weil der allgemeine Trend vor allem in den USA zu weniger Inklusion geht. Linde werde von seinem Bekenntnis zu Vielfalt in Deutschland nicht abrücken. Dafür gebe es keine Signale, im Gegenteil: „Ich will hier etwas für die Menschen bewegen und fühle mich damit im Einklang mit dem Management, das für alle Fragen offen ist,“ sagt Haziraj.
Das gilt, selbst wenn es ums Geld geht. Er müsse auch künftig nicht um jeden Euro betteln, sondern werde stets unterstützt. Die Zuversicht ist berechtigt. Sanjiv Lamba, Vorstandsvorsitzender von Linde, nimmt sich jedes Jahr Zeit für ein persönliches Treffen mit ihm. Dann trifft Haziraj sich mit ihm am Standort berichtet über das Erreichte und über neue Ansätze, mit denen der Vorstand den Aktionären zeigen kann, wie sozial Linde handelt. „Bisher haben wir immer Lösungen gefunden, wie wir uns in diesem Sinne weiterentwickeln können,“ sagt Haziraj.
Der Deutsche Betriebsrätepreis ist eine Initiative der Fachzeitschrift „Arbeitsrecht im Betrieb“ des Bund-Verlags. Mit dem Preis werden seit 2009 alljährlich Praxisbeispiele vorbildlicher Betriebsratsarbeit ausgezeichnet. Aus über 60 Bewerbungen wurden 2025 zwölf Projekte nominiert, darunter das Projekt der Schwerbehindertenvertretung (SBV) von Linde in München, die dafür beim Betriebsrätetag in Bonn im November die Auszeichnung in der Kategorie „Inklusion gestalten“ erhielt.
Mehr über die nominierten Betriebsräte auf der Seite des I.M.U. zum Betriebsrätepreis 2025
Das Institut für Mitbestimmung und Unternehmensführung der Hans-Böckler-Stiftung bietet ein Archiv mit zahlreichen Betriebsvereinbarungen.