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Pankow: „Langeweile“ (1988) Dasselbe Land zu lange geseh’n Dieselbe Sprache zu lange gehört Zu lange gewartet, zu lange gehofft Zu lange die alten Männer verehrt. Ich bin rumgerannt, zu viel rumgerannt Zu viel rumgerannt Und ist doch nichts passiert (…) Magazin Mitbestimmung

Von MARTIN KALUZA: Soundtrack der Wendezeit

Ausgabe 05/2017

Das politische Lied Das Ende ist schon nahe, als die DDR-Rockband Pankow die Stagnation im Arbeiter- und Bauernstaat kritisiert. Im Westen wird das Lied als Sensation gehandelt, im Osten aus dem Radio verbannt.

Von MARTIN KALUZA

„Den alten Krimi zu oft gelesen / Rohe Spaghetti zu viel gekaut / Zu lange geschlafen, zu oft gebadet / Und vor allem zu viel Fernsehen geschaut“. So beginnt der Song „Langeweile“, eine lakonische Folk-Rock-Nummer mit Klavier, Banjo und Slidegitarre, 1988 von der Berliner Rockband Pankow veröffentlicht. Der Song baut sich langsam auf: „Zu viele Frauen nur angesehen / Zu viel nur mit mir rumgespielt / Zu viel gesoffen, zu viel geredet / Zu viele Nächte, wo nichts passiert“.

Als die dritte Strophe beginnt, setzt endlich die volle Band ein. Das Stück, das zuvor ein wenig auf der Stelle trat, nimmt kräftig Fahrt auf. Der Text, der im Privaten begonnen hatte, wird nun politisch: „Dasselbe Land zu lange geseh’n / Dieselbe Sprache zu lange gehört / Zu lange gewartet, zu lange gehofft / Zu lange die alten Männer verehrt“. Das Musikpublikum der DDR ist geübt darin, leise angedeutete Kritik zwischen den Zeilen herauszulesen. „Zu lange die alten Männer verehrt“? Das ist ungewohnt explizit.

Die Band hatte seit ihrer Gründung immer wieder ungeschönte Texte geschrieben. 1981 hatten die Musiker eine Art Rockoper über den jungen Lehrling Paul Panke komponiert, der so gar nicht in das sozialistische Ideal passte. Miesepetrig fügt er sich in seinen öden Arbeitsalltag, ordnet sich nur ungern den spießigen Chefs unter. Die Musik: ungekünstelt und direkt.

Pankow gelten als die Rolling Stones der DDR. Sänger André Herzberg, heute als Schriftsteller bekannt, ist damals ein Rockstar. Erst 1989 wird das Bühnenstück über den Lehrling auf dem DDR-Label Amiga als Schallplatte veröffentlicht. Doch Pankow hat auch Fürsprecher unter den Kulturfunktionären. Die Band kann „Paul Panke“ über 200 Mal live aufführen.

Der Song „Langeweile“ wird im Westen als Sensation aufgenommen. Als Pankow den Song einmal in der von Radio Bremen produzierten Talkshow „3 nach 9“ spielt – die Band reist im Rahmen des Kulturaustauschs öfter in die Bundesrepublik – liest der Moderator noch einmal bedeutungsschwanger die heikle Textzeile vor. Und bohrt nach: „Jetzt wollen wir doch mal konkret werden: Welche alten Männer haben wir zu lange verehrt?“

Die Antwort legt er Sänger Herzberg gleich in den Mund: „Die im Politbüro vielleicht?“ Herzberg ist die selbstgefällige Vereinnahmung durch den Moderator sichtlich unangenehm. „Möglicherweise hängt man seinen alten Idealen zu lange nach“, erklärt er sich. „Ich hab’s geschrieben, es ist meine Haltung.“

Die Band bekommt trotzdem Ärger. Die Stimmung in der DDR-Führung ist aufgekratzt, der Kampf zwischen Freunden der Perestroika und Hardlinern in vollem Gange. Auf der 7. ZK-Tagung im Dezember 1988 empört sich einer der Redner über die Band Pankow und den Song, mit dem sie sich „gegen die Männer unserer Partei produzieren“. Die Folge: „Langeweile“ wird nicht mehr im DDR-Radio gespielt. Zumindest für ein paar Monate.

Mit dem Fall der Mauer bekommt der Song  eine neue Bedeutung. Hatte er in den letzten Monaten der DDR ein Unbehagen mit dem Stillstand auf den Punkt gebracht, so wird er nun zum Soundtrack der Wendezeit: In den Monaten nach dem Mauerfall steht er für eine rauschhafte Aufbruchstimmung. Eine ganze Generation hat ihr Schicksal in die Hand genommen und den größten denkbaren Wandel eingeleitet. Die „alten Männer“ sind entmachtet, die DDR löst sich auf. Es kommt Bewegung in die Bude. Was auch immer die Zukunft jetzt bringt – langweilig wird sie erst einmal nicht.

Foto: Ute Mahler/OSTKREUZ

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