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Magazin Mitbestimmung

: Rätselhaftes Fundstück

Ausgabe 10/2011

Ein protziges gotisches Schloss erhebt sich seit 1880 auf dem Halberg bei Saarbrücken. Bauherr ist der Industrielle Carl Ferdinand Stumm. In seiner Heimat, dem Saarrevier, hat er ein Hüttenimperium aufgebaut, das mit Tausenden Arbeitern große Menge Roheisen produziert. Als Reichstagsabgeordneter der Freikonservativen Partei unterstützt der Unternehmer weitgehend den Kurs Bismarcks, setzt sich aber noch entschiedener als dieser für Schutzzölle und gegen die Sozialisten ein...

...Das Schloss ist sein repräsentativer Wohnsitz. Im Betrieb baut Stumm nach dem Prinzip „Zuckerbrot und Peitsche“ sein Herrschaftssystem aus. Strenge Strafbestimmungen und Kontrollmechanismen werden in der Arbeitsordnung festgelegt. Mit seinen Vorstellungen von Disziplin und Gehorsam mischt sich Stumm sogar ins Privatleben ein. Will ein Arbeiter vor dem 25. Lebensjahr heiraten, so bedarf er der Zustimmung des Patriarchen.

Vor dem Parlament vertritt Stumm die Meinung, dass Gewerkschaften den Wirtschaftsfrieden stören, indem sie die Vertragsfreiheit zum Klassenkampf nutzen. Im Reichstag erklärt er: „Sozialdemokratie und Anarchismus sind sachlich genau dasselbe. Sie unterscheiden sich lediglich in der Taktik und in der Beurteilung des Moments, ob früher oder später losgeschlagen werden soll.“ Der Kaiser, ein enger Freund des Stahlbarons, verspricht, jeden Arbeiter, der einen anderen Arbeiter an der Arbeit hindert und für den Streik agitiert, mit Gefängnis zu bestrafen. Doch eine entsprechende Gesetzesinitiative scheitert 1899 im Reichstag.

Seine paternalistische Grundhaltung rechtfertigt Stumm mit seiner christlichen Fürsorgepflicht: „Sollte ich in der Tat verhindert werden, den Arbeiter auch in seinem Verhalten außer dem Betriebe zu überwachen und zu rektifizieren, so würde ich keinen Tag länger mehr an der Spitze der Geschäfte bleiben, weil ich dann nicht mehr imstande sein werde, die sittlichen Pflichten zu erfüllen, welche mir mein Gewissen vor Gott und meinen Mitmenschen vorschreibt.“ Zeitgenossen nennen den prunksüchtigen Superreichen „König Stumm“ oder den „Scheich von Saarabien“. Der erste echte Adelstitel wird dem neureichen Schlossherren erst 1888 verliehen. Nun darf er sich Freiherr von Stumm nennen.

KAY MEINERS/UDO ACHTEN/ Bildquelle: Verlag Wilh. Steil, Brebach

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