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Freude über das Insourcing des Callcenters von Reemtsma in Hamburg: Betriebsratsvorsitzender Stefan Jünger (l.) und Vertriebsinnendienstleiter Marcel Thiedke Magazin Mitbestimmung

Von JEANNETTE GODDAR: Outsourcing bei Reemtsma: „Bis hierhin und nicht weiter“

Ausgabe 09/2018

Betriebsrat Mit guten Argumenten erreichte es der Betriebsrat der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH in Hamburg, das Call-Center zurück in den Betrieb zu holen. Die Kollegen dort sind jetzt nicht nur besser bezahlt, sondern gehören gleichberechtigt zur Belegschaft dazu.

Von JEANNETTE GODDAR

Heute sitzen sie sich zufrieden und einträchtig als Kollegen in einem geräumigen Büro in der Reemtsma-Hauptverwaltung in Hamburg-Bahrenfeld gegenüber. Aber noch vor einigen Jahren war die Lage von Ralph Trbojevic und Cristiane Heise nicht die beste.

Trbojevic, damals 57 Jahre alt, war schon mehr als drei Jahre arbeitslos. „Ich wollte unbedingt wieder arbeiten“, erzählt er, „doch es war katastrophal – ich bekam nur Absagen!“

Schließlich bewarb sich der Großhandelskaufmann für einen Call-Center-Job bei einer Zeitarbeitsfirma. Nicht toll bezahlt – aber Vollzeit. Dort stellte sich auch die Zahnarzthelferin Cristiane Heise vor. Auch sie fand nur schwer einen Weg zurück in eine Vollzeittätigkeit, nachdem sie für ihre Kinder lange zu Hause geblieben war. Die Zeitarbeitsfirma nahm beide unter Vertrag.

Seit dem 1. Mai 2018 haben die 50-Jährige und der inzwischen 62-Jährige einen neuen Arbeitgeber: die Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH. Die beiden sind dort fest angestellt, ebenso wie 19 weitere Kollegen, die seit 2013 über eine Zeitarbeitsfirma in dem Call-Center des Unternehmens beschäftigt waren. Der Verdienst von Cristiane Heise und Ralph Trbojevic erhöhte sich dadurch monatlich um 1000 Euro sowie um mehr als ein zusätzliches Monatsgehalt und zwei zusätzliche Urlaubstage. Zu verdanken haben sie das dem Reemtsma-Betriebsrat.

Entgegen dem Trend gelang es den Arbeitnehmervertretern, das Call-Center „einzusourcen“ – also zu erreichen, dass die Zeitarbeitsmitarbeiter, bis auf wenige Ausnahmen, bei Reemtsma fest angestellt wurden. Cristiane Heise sagt, der Unterschied mache sich nicht nur auf dem Gehaltszettel bemerkbar: „Wir gehören mehr dazu.“ Und ihr Chef Marcel Thiedke, Leiter des Vertriebsinnendienstes, ergänzt: „Das schafft auch eine ganz andere Identifikation – die sich positiv auf die Arbeit auswirkt. Wir sind alle sehr glücklich, dass der Stefan das hingekriegt hat.“

„Der Stefan“ ist Betriebsratsvorsitzender und heißt mit vollem Namen Stefan Jünger – und man wird bei einem Rundgang mit ihm durch das Call-Center niemanden treffen, der ihn nicht duzt, und kaum jemanden, der ihn nicht mal kurz herzt oder ihm ein launiges „Hau rein!“ hinterherruft. In den 1990er-Jahren startete Jünger im Reemtsma-Außendienst; seit 2009 ist er Vorsitzender des Betriebsrats, zuständig für das Hamburger Call-Center sowie für insgesamt 250 Außendienstmitarbeiter. Außerdem ist er Vorsitzender des Europäischen Betriebsrats. Seit 2003 gehört die 1910 gegründete Hamburger Traditionsfirma zu Imperial Tobacco mit Sitz in Bristol/Großbritannien. Weltweit hat sie 36.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, darunter 2150 in Deutschland.

Der Kampf gegen das Outsourcing bei Reemtsma ist lang, berichtet Betriebsrat Jünger. Bereits als die Geschäftsführung 2012 das Recruiting für den Außendienst an eine externe Agentur vergab, stieg der Anteil der Leiharbeiter ganz erheblich: „Binnen kürzester Zeit waren acht Prozent im Außendienst nicht mehr bei Reemtsma beschäftigt“, erinnert sich Stefan Jünger. „Da wussten wir: Wir müssen in die Eisen steigen. Sonst sind wir geradewegs auf dem Weg in eine Zweiklassengesellschaft.“

Der Betriebsrat einigte sich im Gespräch mit der Geschäftsführung auf ein „Bis hierhin und nicht weiter“. Eine Betriebsvereinbarung fror die damals bestehende Zahl der Leiharbeiter ein und begrenzte ihre maximale Beschäftigungszeit auf zwei Jahre. Es wäre schöner gewesen, das Outsourcing ganz loszuwerden, findet Jünger. Das klappte zwar nicht, aber: „Unsere Gespräche mit der Standortleitung waren immer von Vertrauen und Verhandlungsbereitschaft geprägt. Wer gute Argumente hat, erreicht etwas – aber ohne Kompromisse geht es nicht.“

Kaum war diese Einigung erzielt, drohte an anderer Stelle Ungemach: Reemtsma verlagerte sein Call-Center, das bis 2013 in Hannover-Langenhagen bei der Zigarettenproduktion residierte, nach Hamburg. Diesen Umzug machten viele der bis dahin fest angestellten Reemtsma-Beschäftigten nicht mit. Daraufhin übergab das Unternehmen das neue Call-Center in die Hände einer Leiharbeitsfirma, die flugs für den Bereich mehr als 20 Mitarbeiter einstellte, darunter Heise und Trbojevic. Eingesetzt wurden sie in enger Zusammenarbeit mit dem Außendienst.

Das führte nun allerdings wieder in die Zweiklassengesellschaft – auf der einen Seite die Zeitarbeiter im Call-Center, auf der anderen die festangestellten Außendienstmitarbeiter. Eine Zeitlang sah es so aus, als gäbe es für den Betriebsrat dagegen keine Handhabe. Zupass kam Stefan Jünger und seinen Kollegen schließlich das reformierte Arbeitnehmerüberlassungsgesetz, das zum 1. April 2017 in Kraft trat. Es gab dem Betriebsrat zwei Argumente an die Hand: erstens die Begrenzung der Höchstüberlassungsdauer auf 18 Monate, zweitens die Beschränkung der Ausnahmen vom Grundsatz auf gleiche Bezahlung auf neun Monate. Wieder wurden Jünger und seine Kollegen bei der Unternehmensleitung vorstellig und teilten mit: „Die Übergangsfrist läuft zum 1. Oktober 2018 aus. Bis dahin muss eine für alle befriedigende Lösung her.“

Die Überlegungen der Standortleitung waren damals, die gesamte Einheit per Werkvertrag an eine externe Agentur zu vergeben. Diese sollte für ein Pauschalhonorar das Call-Center betreiben und auch arbeitsrechtlich zuständig für die Mitarbeiter werden. Neben dem Betriebsrat war auch Vertriebsinnendienstleiter Marcel Thiedke strikt gegen diese Lösung: „Ich war sehr froh, dass wir es geschafft hatten, mit festen Ansprechpartnern für 17 Regionen so eine gute Kundenbindung hinzubekommen“, erzählt er.

Thiedke befürchtete, diese Kundenbindung könnte zerstört werden, wenn eine Agentur die Aufgabe übernimmt und danach womöglich immer wechselnde Mitarbeiter Ansprechpartner der Kunden würden.

Fraglich war für ihn als Vertriebsinnendienstleiter auch, wie seine Zusammenarbeit mit einer per Werkvertrag eingesetzten Agentur aussehen würde: „Wer ist da mein Ansprechpartner? Wie groß ist mein Einfluss? Wie soll ich das steuern?“ Unklar war zudem, ob eine Agentur X die bisher eingesetzten Zeitarbeiter übernehmen würde, mit deren Arbeit man ja zufrieden war.

Mit diesen Argumenten stiefelte der Betriebsrat erneut zur Standortleitung. Als nächstes bezogen Betriebsrat und Unternehmensleitung eine Unternehmensberatung ein, die ohnehin bereits im Haus tätig war – wenn auch, wie Jünger ausdrücklich betont, nicht zwecks Stellenabbaus, sondern, um manch eingeschliffene Prozesse neu zu sortieren. Gemeinsam setzte man sich an eine Kalkulation: Was kostet a) die Beschäftigung von Leiharbeitern, b) der Werkvertrag mit einer Agentur, c) die Übernahme der Call-Center-Mitarbeiter als Reemtsma-Beschäftigte?

Das Resultat fasst Jünger so zusammen: „Die ersten drei Jahre ist die Festanstellung kostenneutral, dann leicht teurer – aber jede andere Lösung würde dann vermutlich auch teurer.“ Das überzeugte die Standortleitung. Und so unterzeichneten Geschäftsführung und Betriebsrat, Arbeitgeberverband und die Gewerkschaft NGG eine Vereinbarung, nach der 21 der 30 Mitarbeiter fest angestellt würden – also so viele, wie 2013 für den Betrieb des Call-Centers geplant waren.

„Zu verdanken ist das – außer dem hochgradig engagierten Betriebsrat – ebenso engagierten Mitarbeitern, die im Übrigen nahezu ausnahmslos in die NGG eingetreten sind“, sagt Ina Korte-Grimberg, die als zuständige Referatsleiterin in der NGG-Hauptverwaltung das Projekt von Beginn an begleitete. Außerdem war die Gewerkschaft, wie tarifvertraglich verankert, über die betrieblichen Bewertungskommissionen an der Eingruppierung der neuen Mitarbeiter beteiligt.

Wer heute durch die Räume des Call-Centers geht, erfährt: Die Lösung ist auch deswegen geglückt, weil der Betriebsrat die Zeitarbeiter immer mit einbezogen hat. „Der Stefan hat uns von Anfang an zugehört und gefragt, wie wir uns das vorstellen – und zwar auch, als es nicht so gut lief und das Unterfangen auf der Kippe stand,“ erinnert sich Cristiane Heise, für die das Resultat persönlich ein „Meilenstein“ ist. Jünger sagt, das habe er als selbstverständlich empfunden: „Ich bin der Betriebsratsvorsitzende. Jenen zuzuhören, die ich vertrete – das verstehe ich als meinen Job.“

 

WEITERE INFORMATIONEN

Für das Projekt „Festvertrag und Tarif statt Leiharbeit und Werkvertrag“ ist der Betriebsrat der Reemtsma Cigarettenfabriken GmbH für den Deutschen Betriebsräte-Preis 2018 nominiert. Der Preis wird im Rahmen des Deutschen Betriebsräte-Tages verliehen, der vom 6. bis 8. November 2018 stattfindet.

Alles rund um den Betriebsrätepreis 2018

Wissen Kompakt auf dem Mitbestimmungsportal: Wie können Betriebsräte mit dem Thema Werkverträge umgehen?

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