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Magazin Mitbestimmung

: Nur Mittelmaß

Ausgabe 05/2008

WEITERBILDUNG Im Vergleich mit seinen Nachbarn erreicht Deutschland bei der Weiterbildung im Betrieb nur durchschnittliche Werte. Etwa 237 Euro geben die Unternehmen pro Jahr und Mitarbeiter aus.

Von DOMINIK REINLE, Journalist in Köln

Mit großem Aufwand lässt die EU-Kommission alle sechs Jahre untersuchen, was europäische Unternehmen für die berufliche Weiterbildung tun. Die Ergebnisse der letzten Untersuchung sind unerfreulich wie schon bei den beiden früheren. Die Bundesrepublik hat nicht gut abgeschnitten. "Deutschland liegt im europäischen Vergleich weiterhin lediglich im Mittelfeld", sagt Winfried Heidemann, Leiter des Referats Qualifikation der Hans-Böckler-Stiftung.

"Wir sind im Vergleich zur letzten Untersuchung vor sechs Jahren schlechter geworden: weniger Weiterbildungsangebote der Betriebe, geringere Teilnahme der Beschäftigten." Das sei sehr ernüchternd. "Die Bemühungen der letzten Jahre, lebenslanges Lernen in den Unternehmen voranzubringen, haben nicht allzu viel gebracht - um es mal vorsichtig zu formulieren", so Heidemann. Aber er gibt sich optimistisch: "Sich für die Weiterbildung im Betrieb einzusetzen lohnt sich trotzdem." Man könnte auch sagen: gerade deshalb - schließlich geht es auch um die Beschäftigungsfähigkeit der Mitarbeiter.

Die Umfrage, auf die der Böckler-Experte sich bezieht, ist unter Fachleuten als CVTS - Continuing Vocational Training Survey - ein Begriff. Die aktuellsten Daten stammen aus dem Jahr 2005 - untersucht wurden im Auftrag der EU-Kommission insgesamt 27 EU-Mitgliedsstaaten sowie Norwegen. In Deutschland befragte das Statistische Bundesamt in Zusammenarbeit mit dem Bundes-institut für Berufsbildung (BIBB) rund 10?000 Unternehmen aus nahezu allen Wirtschaftsbereichen.

RÜCKGANG IN NORD- UND WEST-EUROPA_ Bisher liegen erst aus 22 Ländern Ergebnisse vor. Sie zeigen, dass nur einige Staaten Süd- und Osteuropas Fortschritte erzielen konnten: Dort boten 2005 mehr Betriebe ihren Beschäftigten Weiterbildung an als noch 1999. Auch die Teilnahmequote - jener Anteil der Beschäftigten, die an betrieblichen Weiterbildungskursen teilgenommen haben - ist in diesen Ländern gestiegen. In den meisten nord- und westeuropäischen Nationen ist der Anteil weiterbildender Unternehmen dagegen im Jahr 2005 niedriger als 1999 - ebenso sank die Teilnahmequote.

Von dieser Entwicklung betroffen sind auch die europäischen Spitzenreiter: Die skandinavischen Länder, die Niederlande und Großbritannien verfügen aber nach wie vor über das höchste betriebliche Weiterbildungsniveau in Europa. Für Deutschland hat sich durch die Verluste der Führungsgruppe kein positiver Effekt ergeben: "In den Trendsetter-Ländern ging die Weiterbildung stärker zurück als hierzulande", sagt Qualifikationsexperte Heidemann. "Die Bundesrepublik hat ihren mittleren Rankingplatz behalten, sie ist aber im Vergleich zu anderen Ländern nicht besser geworden."

In absoluten Zahlen gerechnet, hat Deutschland sogar erneut verloren: Der Anteil der Unternehmen mit betrieblichen Weiterbildungskursen ist von 67 auf 54 Prozent um 13 Punkte gesunken. Dadurch konnten Länder wie Tschechien und Estland mit 63 und 56 Prozent vorbeiziehen. Auch die Teilnahmequote ging in Deutschland zurück: Von den Beschäftigten beteiligten sich 2005 nur noch 30 Prozent an der betrieblichen Weiterbildung. Das entspricht einer Abnahme von zwei Prozentpunkten im Vergleich zu 1999.

bedarf an it-weiterbildung gesättigt_ In den meisten europäischen Ländern haben die Unternehmen auch weniger Geld für die Qualifizierung ihrer Beschäftigten ausgegeben. Der Anteil der direkten Weiterbildungskosten an den gesamten Arbeitskosten ist wiederum vor allem in Skandinavien und in den Niederlanden deutlich rückläufig. Aber auch Deutschland macht hier keine Ausnahme: 2005 gaben die Betriebe für Weiterbildungskurse 237 Euro pro Mitarbeiter aus. Gegenüber 1999 ist dies ein Rückgang der direkten Weiterbildungskosten um markante 23 Prozent.

Bezogen auf die gesamten Arbeitskosten sind die direkten Weiterbildungsausgaben deutscher Unternehmen ebenfalls gesunken: von 0,9 auf 0,7 Prozent. Das bedeutet: Deutschland liegt bei den direkten Kosten für betriebliche Weiterbildungskurse an viertletzter Stelle - zusammen mit Bulgarien, Litauen, Polen und Rumänien. In Deutschland ist lediglich die Zahl der Weiterbildungsstunden je Beschäftigtem stabil geblieben: Sie beträgt durchschnittlich neun Stunden pro Jahr. Doch auch hier nimmt Deutschland nur eine Position im Mittelfeld ein. Ein großer Teil der Staaten, die 1999 vor Deutschland lagen, haben zwar erheblich mehr verloren.

Das hat aber auf die deutsche Platzierung keinen Einfluss, wie das Beispiel Schweden zeigt: Mit einem Rückgang von 18 auf 15 Stunden reicht es den Skandinaviern immer noch für den zweiten Rang bei den Weiterbildungsstunden pro Mitarbeiter. Auch wenn man die Weiterbildungsstunden je Teilnehmer betrachtet, ist Deutschland Durchschnitt. Allerdings mit einer positiven Tendenz: Die deutsche Stundenzahl ist von 27 auf 30 gestiegen. Das heißt: In den wenigen Firmen, die Weiterbildung anbieten, haben sich die Teilnehmer mit mehr Stunden beteiligt.

 Die Aussagekraft der Studie ist unbestritten: "CVTS gehört neben den Studien der OECD und Erhebungen des statistischen Amtes der EU zu den herausragenden internationalen Untersuchungen", sagt Heidemann, der für die Hans-Böckler-Stiftung selbst europäische Projekte zu Bildung und Beschäftigung koordiniert. Doch es gebe auch methodische Schranken: "Die Schwierigkeit besteht darin, dass nur alle sechs Jahre Daten erhoben werden.

Innerhalb dieses Zeitraums kann jede Menge passieren, was sich dann in den Befragungen gar nicht mehr niederschlägt." Deshalb sei es schwierig, nachzuvollziehen, worauf etwa der Rückgang in den Trendsetter-Ländern Skandinaviens und in Holland, aber auch in Deutschland zurückzuführen ist. "Da gibt es nur Vermutungen. Eine plausible Antwort könnte sein, dass in der Zeit von 1999 bis 2005 der Nachholbedarf nach IT-Weiterbildung gesättigt worden ist."
 
REFORMREZEPTE FÜR DEUTSCHLAND_ Um die Situation in Deutschland zu verbessern, hat Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) im Mai 2006 den Innovationskreis Weiterbildung (IKWB) eingesetzt, der inzwischen Empfehlungen vorgelegt hat. Eines der Mitglieder ist die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock. "Wir haben ihr zugearbeitet und einige Vorschläge gemacht", sagt Heidemann. "Man muss bei der betrieblichen Weiterbildung an vielen Punkten ansetzen."

Eine Möglichkeit, um die niedrige Weiterbildungsbeteiligung zu steigern, seien Lernzeitkonten. "Das Instrument ist aber nicht das Gelbe vom Ei, weil diese Konten nur dann nötig sind, wenn sich Beschäftigte mit eigenen Freizeit-Stunden an der Finanzierung von Weiterbildung beteiligen. Die Gewerkschaften legen aber Wert darauf, dass die betrieblich nötige Weiterbildung vom Arbeitgeber allein finanziert wird." Sehr empfehlenswert seien hingegen Bildungs-Schecks, wie sie in Nordrhein-Westfalen genutzt würden.

Kleinbetriebe und sogar einzelne Arbeitnehmer können unter bestimmten Voraussetzungen öffentliches Geld einsetzen, um bei Bildungsträgern Qualifikationen einzukaufen. "Dieses Instrument hat der ehemalige SPD-Arbeitsminister Harald Schartau angeregt, und es wird von der neuen schwarz-gelben Regierung weitergeführt", so Heidemann. "Das Land unterstützt damit insbesondere Klein- und Mittelunternehmen." Ein Modell, findet Heidemann, das auf andere Bundesländer ausgeweitet werden sollte. Notwendig sei auch die Förderung anerkannter Abschlüsse: "Denn eine große Zahl der Arbeitslosen und der noch immer Beschäftigten hat keinen anerkannten Berufsabschluss", sagt Heidemann.

"Unser Berufsbildungssystem, auch das duale System, produziert eine große Zahl von Leuten, die keinen anerkannten Abschluss erhalten." Hier müsse der Staat als Reparaturinstanz eintreten und eine zweite Chance ermöglichen. "Menschen ohne Berufsabschluss sollen auch noch im Erwachsenenalter einen Abschluss erwerben können, indem sie sich beurlauben lassen - mit Wiedereinstellungsgarantie", schlägt Heidemann vor. "In der Zwischenzeit muss ihnen auch der Unterhalt gezahlt werden. Das wird in Schweden, Dänemark und Finnland praktiziert. So etwas kann man auch hier machen, als Ausweitung des Meister-Bafögs."

NUR EIN FLICKENTEPPICH_ Heidemann kritisiert, dass in Deutschland stabile und verlässliche Rahmenbedingungen fehlen: "Gesetzliche Vorgaben zur betrieblichen Weiterbildung gibt es nicht, und die tarifliche Regulierung ist nicht flächendeckend, sondern existiert nur als Flickenteppich." Die vorhandenen Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen kommen nur mühsam voran.

"Die in den vergangenen Jahren abgeschlossenen Verträge in den großen Tarifbereichen wie Metall, Chemie und öffentlicher Dienst brauchen vermutlich noch Zeit, bis sie in den Betrieben wirklich wirken können." Heidemann ist skeptisch, ob eine Weiterbildungsallianz - analog zum Ausbildungspakt - eine Verbesserung bringen könnte: "Man kann sich auf schöne Resolutionen einigen, aber Papier ist geduldig. Das Hauptproblem ist die Umsetzung in den Betrieben."

Diese sei schwierig - auch wegen des Widerstands der Unternehmen, die Weiterbildung vorwiegend unter Kostengesichtspunkten betrachteten. "Die Betriebe leben bei der Weiterbildung quasi von der Hand in den Mund. Sie sorgen nicht für Nachhaltigkeit." Zudem müsse man sich vor der Behauptung hüten, Weiterbildung sei bei den Beschäftigten insgesamt ein Renner: "Auch viele Mitarbeiter machen Weiterbildung tendenziell nur dann, wenn sie wirklich nötig ist."


MEHR INFORMATIONEN

Friederike Behringer u. a.: AKTUELLE ERGEBNISSE AUS CVTS 3. In: Berufsbildung in Wissenschaft und Praxis (BWP) 1/2008. Download unter www.bibb.de/de/31597.htm

Dick Moraal: BERUFLICHE WEITERBILDUNG IN DEUTSCHLAND. Download unter www.bibb.de/de/30130.htm

Detlef Ullenboom: LERNGELD. BILDUNGSSCHECKS UND -GUTSCHEINE IN DER (BETRIEBLICHEN) WEITERBILDUNG. Fallstudie für die Hans-Böckler-Stiftung. Download unter www.boeckler.de/pdf/mbf_lerngeld_4.pdf

 


 

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