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Magazin Mitbestimmung

Mitbestimmung: Niemand schreit vor Glück

Ausgabe 10/2014

Onlinehändler Zalando hat sich in Rekordzeit in eine Europäische Aktiengesellschaft (SE) umgewandelt. Für ver.di eine plumpe Aushebelung der Mitbestimmung. Auch weil im neuen Aufsichtsrat jetzt Spitzenmanager als „Arbeitnehmervertreter“ sitzen. Von Guttram Doelfs

Alles ging sehr schnell, viel schneller als üblich. Im März 2014 wandelte sich der Onlineversender und neue Börsenstar Zalando in eine Europäische Aktiengesellschaft (Societas Europaea, kurz SE) um und änderte damit die Rechtsform des Unternehmens. Was sonst normalerweise rund ein halbes Jahr benötigt, schaffte der Online-Bekleidungsversender in weniger als drei Monaten. Man habe die Umwandlung halt in dem für Zalando üblichen Tempo vollzogen, sagte Unternehmenssprecher Boris Radke etwas lakonisch im Gespräch mit dem Blog „Samwer-Watchblog“. Das Blog wird vom „Händlerbund“, dem Verband der Onlinehändler, betrieben. Für ver.di hat das große Tempo des Onlinehändlers dagegen rein gar nichts mit hipper Schnelligkeit eines erfolgreichen Start-ups zu tun, sondern mit einem hinterlistigen Manöver zur Vermeidung der deutschen Arbeitnehmermitbestimmung. Dazu muss man jedoch die Vorgeschichte kennen. 

WAS BISHER GESCHAH

Im Vorgriff auf den Anfang Oktober erfolgten Börsengang wandelte sich Zalando im Dezember 2013 in eine Aktiengesellschaft um. Das Berliner Unternehmen zählt inzwischen weltweit rund 7000 Mitarbeiter, rund 90 Prozent der Belegschaft arbeiten in Deutschland. Damit wäre das Unternehmen ein Fall für die paritätische Mitbestimmung im Aufsichtsrat, also die Besetzung der Hälfte der Aufsichtsratsmandate mit Arbeitnehmervertretern. Doch daran scheint das Unternehmen, das auf seiner Webseite damit wirbt, dass „an Zalandos Erfolgsgeschichte jeder Mitarbeiter jeden Tag ein bisschen mitschreibt“, nicht wirklich ein Interesse zu haben. Auf die Aufnahme von Verhandlungen über die Arbeitnehmermitbestimmung wartete ver.di seit Dezember vergeblich. Martin Lemcke, Leiter des Bereichs Mitbestimmung in der ver.di-Bundesverwaltung, leitete deshalb zu Beginn des Jahres vor dem zuständigen Registergericht eine Prüfung des rechtlichen Status von Zalando ein. „Die Klage mussten wir dann aber wegen Aussichtslosigkeit zurückziehen“, sagt Lemcke. Grund dafür war die Mitteilung des Gerichts, dass der Onlinehändler inzwischen keine AG, sondern eine Europäische Aktiengesellschaft sei. Im neunköpfigen Aufsichtsrat der neuen SE sitzen nun sechs Vertreter der Anteilseigner und drei „Arbeitnehmervertreter“ – zu diesen zählen Christine de Wendel (Frankreich-Chefin von Zalando) und Christoph Stark, Logistikchef des Unternehmens. Ein Schelm, der Böses dabei denkt. 

Arbeitnehmermitbestimmung ist bei Zalando seit Firmengründung ohnehin ein Fremdwort. Obwohl das Unternehmen seit Jahren mehr als 500 Mitarbeiter hat, gibt es keinerlei Form von institutionalisierter Unternehmensmitbestimmung. Dazu hätte es der Einrichtung eines Aufsichtsrates bedurft. Die Gewerkschaften haben aber bei dieser Mitarbeitergröße kein Antragsrecht, erst ab 2000 Mitarbeitern und bei der Umwandlung in eine Aktiengesellschaft sind sie dazu berechtigt. Genützt hat es ihnen bei Zalando dennoch nichts, weil der Onlinehändler ihnen mit der schnellen SE-Gründung zuvorkam. 

Um die Umwandlung in eine SE in einem möglichst kurzen Zeitraum umsetzen zu können, bediente sich der Onlinehändler einer Variante, deren Vorgang formaljuristisch zunächst nicht angreifbar ist. So hat Zalando für den Rechtsformwechsel den Weg der Verschmelzung gewählt – und eine britische Unternehmenstochter mit der deutschen Zalando AG „verschmolzen“. Folge dieser Konstruktion ist, dass  die sogenannte Vorher-Nachher-Regelung für die Mitbestimmungssicherung laut Lemcke „nicht zwingend“ gilt – sie stellt eine Art Bestandsschutz für das vor der SE-Gründung existierende Mitbestimmungsniveau sicher. Doch auch bei der SE-Gründung via Verschmelzung verhandelt ein Besonderes Verhandlungsgremium (BVG) aus europäischen Belegschaftsvertretern mit dem Vorstand über die Besetzung des Aufsichtsrates und legt die Zahl der Arbeitnehmervertreter fest. Drei Sitze im BVG hätten auf Vorschlag der Gewerkschaften besetzt werden müssen – so will es der deutsche Gesetzgeber. Das ist bei Zalando nicht erfolgt – ver.di blieb außen vor.

MANAGER ALS „ARBEITNEHMERVERTRETER“

Die Einsetzung eines BVG setzt die ausführliche Information aller Mitarbeiter, die Einordnung der Verfahrensschritte und eine ordentliche Wahl der Mitglieder des Gremiums voraus. Die übliche Schnittstelle, um dies umsetzen zu können, sind Betriebsratsgremien, die mit der zuständigen Gewerkschaft kooperieren. Doch bis heute gibt es nur an zwei Zalando-Standorten Betriebsräte – und die auch nur, weil Mitarbeiter diese unter „großen Schwierigkeiten durchgeboxt haben“, wie Stephan Najda erzählt, der bei ver.di für den Onlinehandel zuständig ist. 

Bei ver.di sieht man deshalb das BVG bei Zalando als ein handverlesenes Gremium, in dem zahme Beschäftigtenvertreter die Kreise der Geschäftsführung nicht weiter stören. Zalando-Sprecher Boris Radke wollte auf Anfrage nicht kommentieren, ob Zalando leitende Manager wirklich als „Arbeitnehmervertreter“ ansieht. „Die Vertreter sind rechtlich einwandfrei durch die Belegschaft gewählt worden“, sagte Radke und verwies auf die seiner Meinung nach ordnungsgemäße, „umfassende“ und „rechtzeitige Information aller Mitarbeiter“. Man sei in der Angelegenheit sehr transparent gewesen, es habe in allen Standorten Aushänge an Schwarzen Brettern gegeben. Wann die Wahl des Gremiums stattgefunden hat, konnte der Unternehmenssprecher aber nicht sagen. 

RECHTLICHE SCHRITTE?

ver.di-Mitbestimmungsexperte Martin Lemcke bezweifelt die Angaben von Zalando. „Uns ist kein Mitarbeiter bekannt, der diese Aushänge zur Wahl eines BVG gesehen hat.“ Wenn aber die Information der Arbeitnehmer nicht ausreichend war, ist aus Sicht der Gewerkschaft die Einsetzung des BVG rechtlich gesehen zumindest fragwürdig – und damit im Nachklapp auch der Vorgang der SE-Gründung. Die Klärung dieser Frage ist daher Ausgangspunkt für eine mögliche Klage der Gewerkschaft. 

Das Unternehmen selbst sieht sich in einer sicheren Position. „Wir glauben, dass die Umwandlung zur SE rechtlich einwandfrei verlaufen ist“, sagte Radke. Zalando mache sich deshalb „überhaupt keine Sorgen“ über mögliche rechtliche Schritte von ver.di. Ohnehin sieht man sich beim Berliner Onlinehändler zu Unrecht an den Pranger gestellt. Schließlich habe man in wenigen Jahren 7000 Arbeitsplätze geschaffen, viele davon für Arbeitnehmer mit niedriger Qualifikation. Was Zalando nicht so offensiv öffentlich kommuniziert, ist die hohe Zahl an zeitlich befristeten Jobs. 

Bevor ver.di weitere Schritte einleitet, wird zunächst das Ergebnis eines Gespräches mit der Zalando-Geschäftsführung abgewartet. Das Gespräch soll in den nächsten Wochen stattfinden, an ein positives Ergebnis glaubt aber bei den ver.di-Verantwortlichen niemand so recht. Falls das Treffen tatsächlich wie das Hornberger Schießen ausgeht, wird die Gewerkschaft wahrscheinlich den Klageweg beschreiten und die Einsetzung des BVG bei Zalando und die daraus resultierende Berufung der Aufsichtsratsmitglieder gerichtlich prüfen lassen. Einen Präzedenzfall gibt es laut Martin Lemcke dafür nicht, offen ist auch, ob die Eintragung der SE im Handelsregister gelöscht werden müsste. Bislang existiert dazu weder eine einheitliche Rechtsposition, noch gibt es Gerichtsentscheidungen. „Wir werden aber auf keinen Fall lockerlassen“, verspricht Lemcke.

MEHR INFORMATIONEN

 Sebastian Sick, u.a.: MITBESTIMMUNG IN EUROPA. Report, August 2014. 

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