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Magazin Mitbestimmung

Tarifpolitik: Neue Dreiecksverhältnisse

Ausgabe 10/2013

Die industrienahen Dienstleistungen mausern sich zu einer eigenständigen Branche. Tarifpolitisch finden die Arbeitgeber und Gewerkschaften der Branche aber selten zueinander. Die Folge sind zersplitterte Tarifstandards. Auch Dumpinganbieter wittern ihre Chance. Von Markus Helfen

In der Wirtschaft hat sich mittlerweile ein Segment unternehmensnaher, arbeitsintensiver Dienstleistungsunternehmen entwickelt. Sie heißen Facility-Dienstleister, Industriedienstleister oder Personaldienstleister, wobei Kombinationen auch bei den Kunden, die solche Dienste nachfragen, eher erwünscht als verpönt sind. Die unterschiedlichen Bezeichnungen haben häufig mit der Geschichte dieser Unternehmen zu tun, von denen viele durch die Auslagerung von Servicetätigkeiten im Baugewerbe oder im verarbeitenden Gewerbe entstanden sind. Doch es gibt etwas, das alle diese Anbieter eint: die Tatsache, dass sie für andere Unternehmen, meist Industrieunternehmen, tätig werden – und dass sie sich selbst als Dienstleistungsunternehmen verstehen.

Die Vielseitigkeit ihrer Aufgaben führt jedoch zu einem lohnpolitischen Dilemma: Wie sieht ein fairer Lohn aus für Dienstleister, die zugleich Werkshallen reinigen, Grünflächen pflegen oder Kantinenessen zubereiten? Wer organisiert Arbeitnehmer von Firmen, die sich um die Klimaanlage kümmern, den Einlass zum Unternehmensgelände regeln, aber auch Produktionsanlagen montieren und warten? Damit nicht genug: Es gibt bereits Anbieter, die Werkstücke und Bauteile bis ans Band anreichen, Wertstoffe recyceln, Kontraktarbeiter für einzelne Fertigungsschritte bereitstellen und Beschäftigte als Flexibilitätspuffer überlassen. Manche Anbieter betreiben bereits einzelne Produktionsanlagen im Auftrag ihres Kunden.

Die Firmen, die solche Dienste einkaufen, wollen so effizienter werden. Und sie wollen sparen, indem sie billigere Anbieter einsetzen, wo sonst der Branchentarif gilt. Der Arbeitgeberverband Südwestmetall erklärte in einer Pressemitteilung vor Kurzem, „dass es für unsere Firmen schlicht zu teuer wäre, wenn sie alle Schritte entlang der Wertschöpfungskette im Metalltarif erledigen müssten“. Die IG Metall sieht das anders: „Dahinter ist die Zielstellung zu erkennen, die Stammbelegschaften um ein Fünftel bis ein Drittel zu reduzieren. Das geschieht durch Leiharbeit und zunehmend durch Ausgliederungen von Aufgaben und Fremdvergabe in Form von Werkverträgen.“

DIE NEUEN ARBEITGEBER

Nimmt man jedoch die im Zuge von wachsender Unternehmensvernetzung entstehenden Dreiecksverhältnisse aus Kundenunternehmen, Dienstleistern und Beschäftigten ernst, stellt sich die Frage, wie sich die neuen Dienstleistungsfirmen als Arbeitgeber verhalten. Wie stehen sie zu den tarifpolitischen Parallelwelten, die ihre Geschäftsmodelle heraufbeschwören? In welchem Maße könnten die neuen Dienstleister und ihre Organisationen mit den Gewerkschaften zusammenwirken, um den tarifpolitischen Flickenteppich zu ordnen?

Blickt man auf die Vielzahl der Spezialverbände der Dienstleistungsbranche, geben die Industriedienstleister ein unübersichtliches Bild ab, verglichen mit der klassischen Tarifpolitik auf Branchenebene, wo idealerweise ein Verband einer Gewerkschaft gegenübersteht. So gibt es für den Kern der Industriedienstleistungen neben dem Unternehmerverband Industrieservice (UIS) den Wirtschaftsverband für Industrieservices e.V. (WVIS), die German Facilities Management Association e.V. (GEFMA) und den Bundesindustrieverband Technische Gebäudeausrüstung e.V. Die Sicherheitsdienste sind im Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) organisiert. Dazu kommt der Bundesinnungsverband des Gebäudereinigerhandwerks. Bei den Personaldienstleistern gibt es zwei kooperierende Verbände: den Bundesarbeitgeberverband der Personaldienstleister (BAP) und den Interessenverband Zeitarbeit (IGZ). Etliche Betriebskantinen wiederum sind in der Fachabteilung Gemeinschaftsgastronomie beim Deutschen Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) vertreten. Mehrfachmitgliedschaften kommen genauso vor wie die fortgesetzte Mitgliedschaft in den Verbänden der Ursprungsbranche. Zum Beispiel wenn die Dienstleistungsgesellschaften der Chemieparks im Bundesarbeitgeberverband Chemie (BAVC) oder einzelne Dienstleistungssparten bei den Mitgliedsverbänden von Gesamtmetall Mitglied sind. Ein großer Teil der Dienstleistungsunternehmen freilich bleibt verbandsabstinent.

WAS TARIFPOLITIK SCHWIERIG MACHT

Diese Heterogenität wäre für sich alleine aus tarifpolitischer Perspektive nicht problematisch, wenn jeder dieser Verbände eine durchgriffsstarke und eigenständige tarifpolitische Kompetenz hätte. Und wenn sich die Geschäftsmodelle der Unternehmen nicht so stark überlappen würden. So erbringen einige Unternehmen die gesamte Palette der unternehmensbezogenen Dienstleistungen von der Gebäudereinigung bis zur Industriemontage, von der Leiharbeit bis zur Immobilienverwaltung. Andere Unternehmen bewegen sich von einer Ursprungsdienstleistung, etwa Reinigung, Personaldienstleistungen oder Sicherheit, über Zukäufe oder Werkvertragsmodelle ebenfalls in Richtung eines erweiterten Dienstleistungsspektrums. Betrachtet man die industrienahen Dienstleistungen als einen Wirtschaftszweig, der sich zu einer eigenen Branche entwickelt, wird klar, warum die Sozialpartner bislang erhebliche Schwierigkeiten mit ihnen haben.

Manche der neu entstehenden Konzerne schließen verschiedene Tarifverträge gleich mit mehreren DGB-Gewerkschaften ab. Andere Unternehmen bleiben tariflos. Zugleich zögern die neu entstandenen Unternehmensverbände teilweise, eine tarifpolitische Funktion zu übernehmen. Der UIS, der BDSW und auch der Bundesinnungsverband des Gebäudereinigerhandwerks sind tarifschließende Verbände, der WVIS und die GEFMA hingegen verzichten darauf, ihre Mitglieder tarifpolitisch zu vertreten. Dies kann nur teilweise dadurch erklärt werden, dass sich die darin organisierten Unternehmen grundsätzlich einer Tarifbindung verweigern. Genauso gewichtig erscheint der Umstand, dass einige der größeren Mitgliedsunternehmen durch Haustarifverträge und Übergangsregelungen tarifvertraglich gebunden sind. Ausgehend von den Ursprungsbranchen der einzelnen Firmen wirken dann unterschiedliche tarifpolitische Traditionen fort, was einem gemeinsamen Verständnis als Dienstleistungsunternehmen und einem einheitlichen Tarifwerk entgegensteht. Hinzu kommt eine verbandspolitische Konkurrenz der Art, dass verschiedene Verbände unterschiedliche Regelwerke mit konkurrierenden Arbeitnehmerorganisationen unterhalten.

TARIFPOLITISCHE PERSPEKTIVEN

Aus kollektiver Sicht der neuen Dienstleistungsunternehmen wäre eine Tarifpolitik wünschenswert, die eine Dumpingkonkurrenz nachhaltig unterbindet, die Gefahr der Durchsetzung partikularer Ansprüche einzelner Arbeitnehmergruppen zugunsten einer Tarifeinheit minimiert, die allseits erhobenen Forderungen nach gesetzlicher Regelung dämpft und – nicht zuletzt – gegenüber den Kunden transparent macht, welchen Wert die erbrachten Dienstleistungen haben. Aber wie angesichts der bestehenden Unübersichtlichkeit dahin kommen?

Eine gemeinsame institutionelle Arbeit in Dialog und Verhandlung mit den Gewerkschaften wäre ein Anfang. Tarifpolitische Ansätze zeichnen sich in einzelnen Fällen bereits ab. Zum Beispiel der Weg einer Mindestlohnfestsetzung über das Entsendegesetz, der in der Gebäudereinigung seit 2007 und im Sicherheitsgewerbe seit 2009 genutzt wird. In der Gebäudereinigung beträgt der Mindestlohn nach dem Entsendegesetz pro Stunde derzeit zwischen 7,56 und 11,33 Euro je nach Tarifgebiet und Tätigkeitsprofil; in der Sicherheitswirtschaft liegen die allgemeinverbindlichen Mindestlöhne je nach Tarifregion zwischen 7,50 und 8,90 Euro. In der Leiharbeit ist ebenfalls auf Grundlage des 2011 geänderten Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes seit Anfang 2012 ein Mindestlohntarifvertrag allgemeinverbindlich, der – ab Januar 2014 – eine Lohnuntergrenze von 7,86 Euro (Ost) und 8,50 Euro (West) festlegt. In diesen Fällen ist der Antrag zur Allgemeinverbindlicherklärung jeweils von beiden Seiten getragen worden. Allerdings sind die Abläufe durchaus komplex und zeitaufwendig, da neben den Tarifparteien auch der Gesetzgeber und die Exekutive involviert sind. Die einzelnen Verfahren sind auch keinesfalls Selbstläufer, wie der Bereich Briefdienstleistungen besonders dramatisch aufzeigt: Hier ist bislang keine Allgemeinverbindlichkeit zustande gekommen, da sich ein Teil der Arbeitgeber widersetzte und der andere Teil keine wasserdichte Repräsentativität nachweisen konnte.

Ein anderer Weg ist das Instrument des unternehmensbezogenen Verbandstarifvertrages, bei dem ein Rahmentarifvertrag jeweils auf ein Unternehmen bezogen modifiziert wird. Ein Beispiel hierfür ist etwa der vom UIS mit der Tarifgemeinschaft aus IG BAU, IG BCE und IG Metall vereinbarte Rahmentarifvertrag, der dann jeweils auf einzelne Unternehmen angepasst wird. Danach liegt bei der WISAG Produktionsservice GmbH die für Beschäftigte ohne Berufsausbildung vereinbarte Mindestvergütung derzeit zwischen 9,00 und 12,26 Euro pro Stunde. Den Unterschied zum reinen Haustarifvertrag machen vor allem die zugrunde liegenden Mantel- und Rahmenvereinbarungen, die als erster Schritt einer branchenweiten Angleichung gesehen werden können.

Des Weiteren gibt es das Instrument der sogenannten Dienstleistungstarifverträge, in denen die Sozialpartner der angestammten Branchen im Zusammenspiel mit den Dienstleistungsunternehmen bzw. -einheiten die Tarifbedingungen für einzelne Dienstleistungssparten modifizieren. Ein Beispiel hierfür ist der Tarifvertrag der Hochtief Solutions AG Segment Service Solutions Facility Management mit der IG BAU von 2011, in dem 8,85 bis 11,69 Euro als stundenmäßige Mindestvergütung der unteren Lohngruppen festgelegt sind.

Schließlich treten auch Kombinationen dieser Instrumente auf, etwa in der komplex geregelten Arbeitnehmerüberlassung, wo neben den Mindestlohntarifvertrag und den regulären Tarifvertrag nunmehr auch sogenannte Zuschlagstarifverträge treten, mit denen die Lücke zwischen den untersten Lohngruppen der jeweiligen Branchentarifverträge der Kundenunternehmen und den Lohngruppen der Leiharbeit, nach Einsatzzeit gestaffelt, durch prozentuale Zuschläge reduziert wird. Beispielsweise erhält dann ein Leiharbeitnehmer nach neunmonatiger Einsatzzeit bei einem tarifgebundenen Metallunternehmen statt derzeit 8,19 Euro einen Stundenlohn von mindestens 12,29 Euro.

Unabhängig davon, welcher dieser Wege sich auf Dauer als praktikabel und angemessen durchsetzen wird, steht wohl fest, dass die verbandlich organisierten Unternehmen der industrienahen Dienstleistungsbereiche gut beraten sind, ihren Worten und Imagekampagnen auch Taten folgen zu lassen, wenn sie aus der lohnpolitischen Schmuddelecke kommen wollen, in die sie sich zu Unrecht gedrängt fühlen. An einem verbandlich organisierten Dialog mit den Gewerkschaften führt in diesem Zusammenhang kein Weg vorbei.

Markus Helfen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Unternehmenskooperation an der FU Berlin

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