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Silke Tober Magazin Mitbestimmung

Pro & Contra: Müssen wir Angst vor Inflation haben?

Ausgabe 05/2021

Nein - sagt Silke Tober, Referentin für Geldpolitik im IMK der Hans-Böckler-Stiftung. Ja - sagt Markus Brunnermeier, VWL-Professor an der Universität Princeton.

Silke Tober ist Ökonomin und leitet das Referat Geldpolitik im IMK der Hans-Böckler-Stiftung: 
Nein. Die diesjährigen Preisschocks nach oben sind ebenso ein temporäres Phänomen wie die Preisschocks nach unten im vergangenen Jahr. Die aktuelle höhere Inflationsrate ist eine Folge der wirtschaftlichen Erholung, höherer Ölpreise und höherer Mehrwertsteuersätze. Aber diese Effekte werden überwiegend Anfang 2022 nicht mehr inflationserhöhend wirken. Ein anhaltender Inflationsprozess käme nur zustande, wenn sich höhere Inflationserwartungen und eine Lohn-Preis-Spirale durchsetzten.

Drei Gründe sprechen dagegen: Erstens ist die EZB in der Lage, eine Lohn-Preis-Spirale in Schach zu halten. Zweitens wissen die geldpolitisch Verantwortlichen, dass Inflation Probleme schafft, und haben das Inflationsziel von zwei Prozent bekräftigt. Drittens sind Arbeitslosigkeit und Unterbeschäftigung im Euroraum noch so hoch, dass übermäßige Lohnsteigerungen unwahrscheinlich sind, auch in Deutschland.

Die Zentralbanken definieren Preisstabilität nicht als Null-Inflation, sondern als eine Rate von zwei Prozent. Zeichnet sich eine höhere Inflation ab, so wird die EZB handeln. Unsere Wirtschaft ist nicht zerrüttet wie nach einem Krieg, und das Steuersystem ist intakt. Eine verfrühte Reaktion wäre kontraproduktiv mit Blick auf den klimapolitisch erforderlichen Strukturwandel, die Beschäftigung und auch das Inflationsziel.

  • Markus Brunnermeier

Markus Brunnermeier ist VWL-Professor an der Universität Princeton und Direktor des Bendheim Center for Finance:
Ja. Während die Inflation in der Frühphase der Coronakrise im vergangenen Jahr zunächst absackte, haben insbeson­dere Lieferengpässe und staatliche Stimulusprogramme dann zu einer Angebotsverknappung und zu einem Nachfrageschub geführt. Die Folge war, dass seit einigen Monaten die Inflation ungewöhnlich stark anstieg.

Viele Zentralbanker hatten gehofft, dass der Preisanstieg im laufenden Jahr 2021 sich nur als ein temporäres Phänomen herausstellen würde. Allerdings zeigt sich zunehmend, dass sich eine höhere Inflation verfestigen könnte. Die Liefereng­pässe halten an, und insbesondere Energie wird teurer. Man muss deshalb sehr darauf achten, dass die Inflationserwartungen bei etwa zwei Prozent verankert bleiben.

Denn sobald die Inflationserwartungen in einer Volkswirtschaft ansteigen, könnte sich eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen. Die Konsequenz wäre dann eine höhere Inflation, die die Sparguthaben entwertet. Hier gilt es zu beachten, dass eine höhere Inflation vorwiegend den normalen Arbeitnehmern schadet, weil diese ihre Ersparnisse klassisch auf dem Sparbuch haben und nicht in Sachanlagen wie Firmen oder Immobilien investieren. Von daher ist es in dieser Situation ratsam, dass die Geldpolitik früher und sanft gegensteuert, anstatt abzuwarten und später abrupt die Zinsen anzuziehen.

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