zurück
Magazin Mitbestimmung

: Mitbestimmung per Tarifvertrag

Ausgabe 01+02/2007

Ein kommunales Unternehmen macht sich fit für den Wettbewerb und baut zugleich Arbeitnehmerrechte aus: Die Wuppertaler Stadtwerke zeigen, wie's auch geht.



Von Sabine Kall
Die Autorin ist freie Journalistin in Remscheid.


Eine Gemeinde darf unter bestimmten Bedingungen Aufträge ohne Ausschreibung an ihre eigenen Unternehmen vergeben. Die Spielregeln dazu hat der EuGH aufgestellt. Die europäische Rechtsprechung lässt eine sogenannte "Betrauung" nur zu, wenn die Stadt eine so umfassende Kontrolle über das beauftragte Unternehmen ausüben kann wie auf eine eigene Dienststelle. "Deshalb brauchten wir neue gesellschaftsrechtliche Strukturen, um europarechtlichen Maßgaben zu entsprechen", erklärt Johannes Slawig, Kämmerer und Verhandlungsführer der Stadt Wuppertal.

Die Wuppertaler Stadtwerke AG (WSW) erfüllte diese Kriterien nicht mehr, weil ihre Versorgungssparte unter anderem eine RWE-Beteiligung von 20 Prozent aufwies. Die Folge: Andere Anbieter hätten vermutlich mit Erfolg eine Ausschreibung der Dienstleistungen einklagen können.

Die Wuppertaler Stadtwerke AG werden nun reorganisiert: Unter dem Dach einer kommunalen Holding werden die großen Sparten Versorgung und Verkehr getrennt. "Die Hälfte der 2500 Beschäftigten wechselt den Arbeitgeber, das ist für viele eine hohe Hürde, gerade weil die Mitarbeiter sich mit den WSW identifizieren", weiß der Kämmerer. Dies war Anknüpfungspunkt für die Arbeitnehmervertreter, tarifvertragliche Sicherungen auszuhandeln.

Kommunalpolitische Überzeugungsarbeit

Um die Arbeitsplätze mit sozialverträglichen Arbeitsbedingungen unter dem kommunalen Dach zu erhalten, haben ver.di und WSW-Betriebsräte gemeinsam monatelange Überzeugungsarbeit bei Kommunalpolitikern geleistet. "Wir haben die Fraktionen kontinuierlich über die Entwicklungen im öffentlichen Personennahverkehr informiert und deutlich gemacht, dass das Damoklesschwert des Ausschreibungszwangs über uns schwebt", berichtet WSW-Betriebsratsvorsitzender Rüdiger Funk.

Arbeitsdirektor Markus Schlomski ergänzt: "Für uns war klar, dass wir nicht einfach daran festhalten können, dass alles bleibt wie bisher. Deshalb wollten wir mit dem Anteilseigner und dem Vorstand gemeinsam an einer zukunftsfähigen Konstruktion arbeiten." Anfang 2005 richtete der Wuppertaler Stadtrat eine Kommission ein, die sich mit der Neuausrichtung der Stadtwerke befasste - mit Beteiligung der WSW-Arbeitnehmervertreter. Die Beratungen mündeten Ende September 2006 in einem Grundsatzbeschluss des Rates: Weiterbestand des Querverbundes und der kommunalen Mehrheit, Arbeitsplatz- und Standortsicherung sowie Festschreibung der paritätischen Mitbestimmung sind die Kernpunkte.

Kreative Lösung statt Zersplitterung

Auf dieser Basis wurden im Oktober 2006 die Tarifverträge geschlossen, die wirksam werden, sobald die neuen Gesellschaften gegründet sind. "Die Besitzstände der Beschäftigten sind geschützt. Vereinbart wurde der Ausschluss betriebsbedingter Kündigungen bis 2020", erklärt Dietmar Bell, ver.di-Geschäftsführer des Bezirks Wuppertal-Niederberg. Außerdem sieht der Tarifvertrag einen einheitlichen Arbeitsmarkt im Konzern vor. "Jeder Beschäftigte kann weiterhin ohne Nachteile zwischen den Konzerngesellschaften wechseln", so Bell. Darüber hinaus wurden qualitative Elemente wie die gemeinsame Ausbildung oder die unternehmensübergreifende Weiterbildung festgeschrieben.

Zwei weitere Tarifverträge sichern der Mitbestimmung: "Wir haben zum einen vereinbart, dass für den gesamten Konzern ein einheitlicher Betriebsrat eingerichtet wird", sagt Dietmar Bell. Grundlage ist § 3 des neuen Betriebsverfassungsgesetzes, der die Möglichkeit vorsieht, durch Tarifvertrag einen "unternehmenseinheitlichen Betriebsrat" zu bilden. Der 21-köpfige WSW-Betriebsrat tritt an die Stelle einzelner Interessenvertretungen, die üblicherweise gewählt werden. Bis zum Ablauf der Amtsperiode im Jahr 2010 können die Arbeitnehmervertreter ihr Mandat ausüben. 

Parallel dazu wird die paritätische Mitbestimmung ausgeweitet: Sie gilt nicht nur in der Holding mit 530 Beschäftigten, sondern auch in der neuen Stadtwerke AG mit etwa 1100 Mitarbeitern und in der Verkehr GmbH mit 900 Beschäftigten. "Das wird Mitbestimmungsgeschichte schreiben", ist Dietmar Bell überzeugt. Denn zum ersten Mal bundesweit sei es gelungen, die paritätische Mitbestimmung auf alle Unternehmen, die zum Konzern gehören, auszudehnen. Für die Bildung der Aufsichtsratsgremien zählt die Beschäftigtenzahl in der gesamten Unternehmensgruppe.

Damit Partikularinteressen zurücktreten, werden in jedem Unternehmen die gleichen 20 Aufsichtsratsmitglieder Sitz und Stimme haben. "Unsere Strategie war, die Zersplitterung der Interessenvertretung zu verhindern", erklärt Bell. Der Tarifvertrag sieht überdies ein weiteres Sahnehäubchen vor: Selbst wenn die Gesamtzahl der Arbeitnehmer unter 2000 sinken würde, garantiert der Tarifvertrag die paritätische Mitbestimmung bis mindestens 2022.

Veränderungsbereitschaft honoriert

"Die Tarifverträge sichern natürlich die Beschäftigten ab. Die Synergieeffekte nützen aber auch den Anteilseignern. Durch den internen Arbeitsmarkt, die gemeinsame Personalabteilung und einheitliche Betriebsräte wird vermieden, dass sich ein neuer, eigener Overhead bildet, der wieder Kosten nach sich zieht", schätzt Markus Schlomski. Möglich gemacht haben den Konsens vor allem die gewachsene Vertrauenskultur und positive Erfahrungen mit der Mitbestimmung, erklären unisono Verhandlungsführer Slawig und der Arbeitsdirektor.

Ein weiteres Indiz für diese Kultur sei, dass bei den WSW schon bisher betriebsbedingte Kündigungen bis 2015 ausgeschlossen waren. "Wir haben draufgesattelt, um die Veränderungsbereitschaft der Arbeitnehmer zu honorieren", unterstreicht Johannes Slawig. "Den Ruf, dass es sich lohnt, unserem Unternehmen die Betrauung zu geben, haben wir uns hart erarbeitet. Jetzt fahren wir die Ernte ein", konstatiert Markus Schlomski.

Vorausgegangen ist ein rund 15-jähriger Restrukturierungsprozess, in dessen Verlauf jeder dritte Arbeitsplatz abgebaut wurde. "Wir leisten heute insgesamt mehr - mit wesentlich weniger Personal", beschreibt Rüdiger Funk die Vorleistungen der Arbeitnehmer. "Die Kollegen sind diesen Weg mitgegangen, weil sie sehen, dass ihre Arbeitsplätze gesichert werden. Dennoch werden Veränderungen gerade von langjährig Beschäftigten argwöhnisch beäugt", so Funk.

Sachlichkeit und Netzwerke

Das Erfolgsrezept der Arbeitnehmervertreter funktioniert allerdings nur unter bestimmten Voraussetzungen, dazu gehören vielfältige Kontakte auf allen Ebenen der Politik. "Wir nutzen unseren Instrumentenkoffer. Außerdem haben wir uns eine gute Gesprächsebene mit allen erarbeitet, indem wir sehr sachlich an die Materie gegangen sind", sagt Markus Schlomski. In der Rückschau erscheint der Prozess geprägt von Harmonie und Einsicht. Zum Ergebnis beigetragen hätte aber auch der hohe gewerkschaftliche Organisationsgrad bei den WSW von rund 80 Prozent, relativiert Rüdiger Funk: "Wir haben durchaus klargemacht, dass wir auch Protest organisieren können."

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen