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Olaf Kröck Magazin Mitbestimmung

Interview: "Mit Streams verdienen Künstler kein Geld"

Ausgabe 03/2020

Zum ersten Mal seit 74 Jahren fallen die Ruhrfestspiele aus. Ein Gespräch mit ihrem Intendanten Olaf Kröck über die Folgen der Krise für die Kunst, die uns nicht satt, aber als Menschen ausmacht. Das Gespräch führte Fabienne Melzer

Die Ruhrfestspiele fallen zum ersten Mal seit 74 Jahren aus. Wie tragisch ist das?

Wir sind ja nicht das einzige Festival, das ausfällt. Es trifft die gesamte Kulturbranche, man muss fast sagen, die gesamte Unterhaltungsindustrie der Welt. An dieser Branche hängen neben den vielen Künstlerinnen und Künstlern unglaublich viele Beschäftigte – aus der Veranstaltungstechnik, dem Messe- und Bühnenbau und viele mehr. Ich will damit überhaupt nicht sagen, dass ich die Quarantänemaßnahmen falsch finde. Mich hat nur überrascht, wie wenig Kunst und Kultur in der öffentlichen Debatte Erwähnung gefunden haben. Wir mussten das Festival absagen und haben damit Menschen mit in die Krise gestürzt, nicht als Einzige, aber mit anderen Veranstaltern zusammen. Das ist hart.

Was macht es mit uns, wenn Kunst, die Krisen verarbeitet, ausgerechnet jetzt lahmliegt?

Die Krise macht sichtbar, wie wichtig Kultur für uns alle ist. Zu Hause in unseren vier Wänden fangen wir an, uns kreativ zu beschäftigen. Wir spielen Brettspiele, lesen, schauen Filme, hören Hörspiele. Wenn wir uns das alles wegdenken würden – die Bücher, die Musik, die Filme –, gäbe es keinen Gegenakzent in dieser mitunter ja auch frustrierenden Zeit. 

Wie kann Kunst und Kultur jetzt weitergehen?

Im Augenblick müssen Sie sich nicht von zu Hause wegbewegen, um eine Theateraufführung zu sehen. Die Bühnen streamen alle Vorstellungen – vom Londoner Westend über den New Yorker Broadway, von den großen deutschsprachigen Theatern bis hin zu kleinen Bühnen. Sie erleben dabei aber nicht annähernd das, was Sie bei einem echten Theaterbesuch erleben. Es fehlt das Direkte, die Atmosphäre, die Begegnung, sprichwörtlich die Berührung. Zum anderen wird bei den Streams kein Geld verdient. Die Künstlerinnen und Künstler stellen ihre Kunst umsonst zur Verfügung. Ich finde es wichtig, nicht zu vergessen, dass Kunst Geld kostet. Die Menschen leben von ihrer Kunst. Im Augenblick ist da jedoch eine große Leerstelle.

Was denken Sie, was diese Leerstelle in der Kunst mit uns macht?

Alle Orte der Kunst und Kultur sind Orte einer sozialen Interaktion, einer Begegnung. Wir merken das schon an der eigenen Wochenendgestaltung, wenn wir nicht in den Zoo, nicht ins Museum, nicht auf den Spielplatz gehen können. Das alles sind Dinge, von denen ich nicht satt werde. Aber da passiert all das, was mich als Mensch definiert, und sehr viel davon ist gerade nicht möglich. 

Was befürchten Sie?

Dass es nach der Krise die kleinen Programmkinos, die Kneipen mit Lesungen und Konzertclubs nicht mehr geben wird, sondern nur noch die großen Player, vor allem die digitalen wie Spotify, Amazon und Disney. Der unabhängige, innovative Ansatz könnte verloren gehen. Netflix war so erfolgreich, weil es kleinen Produktionen eine Chance gegeben hat, ihre verrückten Ideen zu verwirklichen. Mittlerweile gibt es das auch in Deutschland. „Babylon Berlin“, „Dark“ und andere Produktionen stammen aus solchen kreativen Zellen. Solche unabhängigen Kreativen werden die Ersten sein, die zusammenbrechen. Dann bleibt nur der Mainstream. Er repräsentiert aber nicht die Vielfalt unserer Gesellschaft. Die innovativen Kreativen zeigen gesellschaftliche Diversität und gehen damit Risiken ein. Nun droht dies zu implodieren. Niemand kann etwas dafür, dass wir diese Krise haben, auch die Politik nicht, aber sie muss jetzt an die Stelle springen.

Die Krise reißt überall Löcher – im Gesundheitssystem, in der Wirtschaft. Muss die Kunst da vielleicht hinten anstehen?

Die Kunst steht schon immer hinten an. Kunst hat noch nie vorne gestanden. Sie jetzt weitgehend auf null zu setzen wäre ein Zerstörungsvorgang, der irgendwann auch an die Substanz geht und die Frage aufwirft, welche Gesellschaft wir eigentlich sein wollen. Wir kriegen gerade die Quittung dafür, dass wir Schulen digital vernachlässigt haben. Wir kriegen die Quittung dafür, dass wir das Gesundheitssystem auf privaten Effizienzmodus getrimmt haben. Wollen wir jetzt in dem vielfältigen, unser Leben besonders machenden Bereich eine ähnliche Quittung bekommen? Die Kulturschaffenden gehören zu den großen Leidtragenden dieser Krise. Festivalveranstalter wie wir waren die Ersten, die geschlossen wurden, und wir sind die Letzten, die wieder aufmachen dürfen. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die sagen: Open up, so schnell wie möglich, und riskiert alles, was wir gesundheitspolitisch erreicht haben. Ich finde vernünftig, was bisher passiert ist. Aber weil ich es vernünftig finde und unterstützen möchte, hoffe ich, dass auch unsere Branche unterstützt wird. Wenn diese Krise vor allem eins zeigt, dann ist es, dass die Heilsversprechen des Neoliberalismus entzaubert wurden. Der Markt alleine regelt gar nichts. 

Können Krisen auch Neues schaffen? Die Ruhrfestspiele entstanden aus einer Krise. 

Die Ruhrfestspiele sind in einer großen Krise entstanden. Der Krieg war zu Ende, es gab diesen harten Winter 1947 und keine Kohle, um zu heizen. Auch da waren die Theater die Ersten, die zumachen mussten. Der Verwaltungsdirektor der Hamburger Theater, Otto Burrmeister, ist mit Bühnentechnikern ins Ruhrgebiet gefahren, um Kohle zu besorgen. Das war damals illegal. Die erste Zeche, zu der sie kamen, war die Zeche König Ludwig in Recklinghausen. Dort haben ihnen die Kumpels sehr selbstlos Kohle auf den Laster geladen. Zum Dank kamen die Hamburger Schauspielerinnen und Schauspieler im nächsten Sommer nach Recklinghausen und haben dort sehr improvisiert Theater gespielt. Daraus entstand die Verbindung: Kunst für Kohle, Kohle für Kunst. Dann haben sich ziemlich bald die Gewerkschaften hinter das Festival gestellt. 

Was bedeutet es für Sie, den DGB zum Partner zu haben?

Es ist weltweit einmalig und entsprechend fantastisch, dass Gewerkschaften ein Kunstfestival mitfinanzieren, dass ein Partner ein Kulturereignis unterstützt, der im Kern erst mal gar nichts mit Kunst zu tun hat. Doch es gibt viele inhaltliche Überschneidungen: Wir setzen uns in der Kunst mit gesellschaftlichen Prozessen auseinander. Da ist der DGB für uns ein wichtiger Gesprächspartner bei Themen wie Populismus, Demokratieerhalt oder Vielfalt, Gerechtigkeit.

Verändert das die Kunst, die Sie machen?

In der Kunst gibt es immer den Spagat zwischen Breitenwirksamkeit und Experiment. Der amerikanische Avantgarde-Komponist John Cage hat einmal gesagt: Zehn Prozent mehr Experiment sind 20 Prozent weniger Zuschauer. Die Ruhrfestspiele zeigen seit 74 Jahren, dass dieser Spagat möglich ist. Wir sind durchaus anspruchsvoll und haben dennoch immer viele Zuschauerinnen und Zuschauer. Sie führen meist einen inhaltlichen Diskurs und nicht sofort einen über Kunst und Ästhetik. Das ist mir sehr recht. 

Aus fehlender Kohle entstanden die Ruhrfestspiele. Könnten die fehlenden Bühnen den Onlineformaten einen Schub geben?

Die digitalen Formate haben langfristig vor allem eine Chance, wenn sie etwas Eigenes schaffen. Nur das Streamen von abgefilmten Theatervorstellungen ersetzt nicht das Liveerlebnis. Vor Kurzem hat sich die amerikanische Sängerin Billie Eilish auf Instagram selbst gefilmt, und 400 000 Menschen weltweit haben es sich angesehen. Dann hat sie, ohne es vorher anzukündigen, nach dem Zufallsprinzip irgendjemanden ausgewählt und in den Stream geschaltet. So etwas hat es vorher noch nie gegeben. Da war ein wildfremder Einzelner plötzlich in Billie Eilishs Wohnzimmer. Mit digitalen Mitteln können wir also neue Räume betreten. Aber die alten Räume werden nicht verloren gehen. Sie verändern sich vielleicht. Theater wird auch in Zukunft gespielt.

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