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Magazin Mitbestimmung

: Mein Arbeitsplatz

Ausgabe 11/2011

ANDREAS MAYER, 42, arbeitet als Kommissionierer für Molkerei­produkte seit 2006 im Kühllager der Feneberg AG in Kempten/Allgäu.

Der gelernte Einzelhandelskaufmann wurde nach 20 Jahren im Fotoeinzelhandel wegen Geschäftsaufgabe arbeitslos.

Ursulasrieder Straße 2, 87437 Kempten.
„Wenn ich um 5 Uhr zur Arbeit komme, haben Kollegen schon seit einer Stunde die frischen Molkereiprodukte in die vorgegebenen Lagerpositionen eingeordnet. Hier im Kühllager herrscht Sommer wie Winter die gleiche Temperatur: sechs Grad, wie im Kühlschrank. Früher kommissionierten wir mit Listen. Man nahm sich einen Rollwagen, klemmte die Liste auf ein Brett und lief durch die Straßen der Lagerregale. Zwei bis drei Bestellpositionen merkte man sich, hievte die Ware auf den Rolli und hakte die Positionen ab. Das war viel Papierkrieg. Heute setze ich meinen Talkman auf. Das neue System heißt Pick by Voice. Die Lady – so nennen wir die Frauenstimme – gibt mir die Arbeitsschritte über den Kopfhörer vor. Sie sagt: „Fünf, sieben, drei“, das heißt, die Bestellung hat 573 Einzelpositionen. Dann folgt: „Gang zwei – null, null, drei, eins“. 003 steht für den Lagerort, eins für unten im Regal. Nächste Ansage: Anzahl der Produkte, zum Beispiel fünf. Ich hieve fünf Packungseinheiten auf den Rolli und spreche laut die Prüfnummer am Regal, dann bestätige ich mit: „Fünf o.k.“. Und weiter geht es. Jeder von uns pickt am Tag zwischen sechs und acht Tonnen Waren für unsere Kunden.

Das neue System ist viel besser als das alte. Es gibt kein lästiges Papier mehr. Aber der Kontakt mit den Kollegen ist jetzt schwieriger. Die Lady lässt sich zwar einfach unterbrechen, da sie immer eine Antwort braucht, um weiterzuschalten, aber das halten wir ganz kurz. Die Chefetage weiß jetzt auch genau, was der Mayer um 10.28 Uhr macht. Sie weiß, welchen Auftrag ich bearbeite, an welcher Position ich picke oder wie lange ich Pause mache. Auch unsere Arbeitsleistung ist leicht zu ermitteln. Sie wird in Einheiten pro Stunden ausgedrückt. Das ist ein bisschen wie Big Brother. Wir sind aber eine gute Mannschaft und hatten bisher damit noch nie Probleme. Unser Tagesgeschäft ist Frischware, und die muss raus. Das Arbeitsende ist deshalb nicht genau festgelegt. Normalerweise gehe ich gegen 15 Uhr, es kann auch eine Stunde später werden. Im Sommer bekomme ich dann schon mal einen roten Kopf, und das Blut pulsiert, wenn ich aus dem Kühlschrank komme und mir 30 Grad entgegenschlagen.“

 

Textdokumentation und Foto: Werner Bachmeier

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