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Magazin Mitbestimmung

Baubranche: Kein Kugelschreiber zu viel

Ausgabe 05/2013

Schmiergeld, Preisabsprachen, Bestechung: Zahlreiche Skandale haben der Bauindustrie den Ruf einer korrupten Branche beschert. Seit einigen Jahren versuchen vor allem große ­Unternehmen, dem Negativimage etwas entgegen­zusetzen. Arbeitnehmervertreter begrüßen das. Von Carmen Molitor

In der Baubranche haben viele ein Kainsmal. Einen großen Fleck, der als Erinnerung an frühere Verfehlungen unübersehbar auf der Stirn prangt und das Ansehen einer Firma in der Öffentlichkeit über Jahre hin prägt. Beim Unternehmen Max Bögl heißt das Kainsmal „Ikea“, weil die Firma einen Ikea-Mitarbeiter bestochen hatte. Bei Bilfinger Berger heißt es „Kölner U-Bahn“, nachdem das Stadtarchiv beim Bau einer neuen Linie im Boden versank und zwei Menschen in den Tod riss. Bei der STRABAG AG, einem der größten Baukonzerne in Deutschland und einem Tochterunternehmen der österreichischen STRABAG SE, ist sein Name „Chemnitz“. Anfang 2007 deckte die Staatsanwaltschaft ein gut geschmiertes, systematisches Betrugs- und Korruptionsnetzwerk der STRABAG-Niederlassung in Sachsen auf, deren Mitarbeiter sich durch Abrechnungen über nie erbrachte Leistungen bereicherten. Die Machenschaften endeten für die Verantwortlichen in Gerichtsverfahren wegen Betrugs, Untreue, Bestechlichkeit und der Bildung einer kriminellen Vereinigung. Die STRABAG schloss ihre Chemnitzer Niederlassung. Fast 100 Beschäftigte verloren ihre Jobs.

2007 war auch das Jahr, in dem die STRABAG SE im Oktober einen verbindlichen Ethik-Kodex für alle Beschäftigten einführte, dem auch die STRABAG AG als 100-prozentige Tochter unterliegt. Der Kodex war ausdrücklich als vertrauensbildende Maßnahme des in Verruf geratenen Konzerns gedacht. „Der Erfolg in unserem Geschäft hängt vom Vertrauen all unserer Stakeholder ab“, schrieben Vorstand und Aufsichtsrat der SE ins Vorwort. „Mit dem vorliegenden Ethik-Kodex festigen wir die Grundlage, um dieses Vertrauen zu erhalten und weiter auszubauen.“ Während alle Welt noch angewidert auf das hässliche Kainsmal „Chemnitz“ starrte, hatte die STRABAG ihre Vorstellungen von einem künftig makellosen Gesicht der Firma aufs Papier gebracht. Der Konzern verspricht darin, mit „Kunden, Lieferanten, Mitbewerbern und anderen Mitarbeitenden fair umzugehen und niemals durch unethisches Verhalten gegenüber einem anderen einen ungerechtfertigten Nutzen zu ziehen“.

Besonders auf den Ethik-Kodex gedrängt hatte Konzernchef Hans Peter Haselsteiner. Er hoffe, dass es ihm damit gelungen sei, eine „sich selbst kontrollierende Organisation aufzubauen“, kommentierte der Vorstandsvorsitzende der STRABAG SE kürzlich in einem Interview. Zum Beispiel durch das im Kodex festgelegte Vier-Augen-Prinzip, klare Hierarchien oder die Regeln, die seither für Beschaffungsvorgänge und andere Dinge gelten. „Entscheidend ist aber auch die rote Linie“, betonte Haselsteiner. „Diese ist zwar nirgendwo definiert, aber jedem Mitarbeiter ist klar, wie sie zu beachten ist.“ 2011 ergänzte die STRABAG den Kodex noch durch verbindliche Compliance-Richtlinien zum Anlegerschutz und durch Insider-Regelungen für Vorstände und oberes Management.

DIE ARBEITNEHMER ZIEHEN MIT

Ist es möglich, durch ein ausformuliertes Werte- und Compliance-System einen Kulturwandel in einem Konzern mit weltweit 74 000 Beschäftigten anzustoßen? „Das ist nicht einfach, aber man kann es schaffen“, sagt Andreas Batke, Konzernbetriebsratsvorsitzender und Aufsichtsrat in STRABAG AG und SE. „Unser Vorstandsvorsitzender steht ja wirklich dahinter.“ Bei der Entwicklung der Ethik-Richtlinien war die Arbeitnehmervertretung beteiligt, es gibt darüber in Deutschland eine Betriebsvereinbarung. Trotz ihrer grundsätzlichen Zustimmung haben die Betriebsräte aber auch einige Knackpunkte aufgezeigt. Ein Beispiel: die Null-Toleranz-Regel bei der Annahme von Geschenken. „Wenn man das ganz streng auslegt, ist es ja selbst dann schon eine Art Vorteilsannahme oder Bestechung, wenn ich nur irgendwo einen Kugelschreiber annehme“, kritisiert Andreas Batke. „Als uns der Kodex vorgestellt wurde, haben wir deshalb unsere Bedenken geäußert, denn dieser Punkt war sehr scharf formuliert. Er wurde dann ein wenig abgefedert, aber nicht viel geändert, denn man möchte diese scharfe Linie durchziehen.“

„Uneingeschränkt positiv“ bewertet auch die IG BAU den Trend zu Compliance in der Bauindustrie. Matt­hias Kirchner, Fachreferent für Organisationsentwicklung im Bundesvorstand der IG BAU, erklärt: „Wir unterstützen das!“ Die tatsächlichen Auswirkungen der Compliance-Diskussion auf den Alltag in der Baubranche beschreibt Kirchner allerdings eher nüchtern: „Man nimmt jetzt zur Kenntnis, dass das wichtig ist. Und man erfüllt die gesetzlichen Bestimmungen.“ Der STRABAG AG, bei der er für die Arbeitnehmerseite im Aufsichtsrat sitzt, bescheinigt der Gewerkschafter „Ernsthaftigkeit“ bei der Umsetzung ihrer Verhaltensrichtlinien. Das liege an der Glaubwürdigkeit des Vorstandsvorsitzenden Hans Peter Haselsteiner. „Er ist zwar ein harter Hund, aber es gibt Sachen, da muss man sagen: Hut ab!“, betont Kirchner. Der Gewerkschafter ist sicher, dass die STRABAG inzwischen Compliance-Verstöße konsequent verfolgt: „Wenn da etwas riecht, dann wird nicht versucht, es unter den Teppich zu kehren, sondern da ist man sehr sensibel und reagiert. Gebranntes Kind scheut das Feuer.“

KEINE AUFTRÄGE UM JEDEN PREIS

Der Konzern, meint Kirchner, wolle nicht mehr Aufträge um jeden Preis hereinholen. „Man kauft sich auch keine Aufträge mehr durch Kampfpreise oder indem man schmiert. Es sollen auskömmliche Aufträge sein, mit denen wirklich Geld verdient wird“, sagt der Gewerkschafter. „Das bedeutet im Zweifelsfall auch, lieber mal einen Auftrag in den Wind zu schießen.“ Zweifelsfälle können bei der STRABAG SE insbesondere im starken Osteuropa- und Russlandgeschäft auftauchen. Korruption sei dort „ein viel größeres Thema“, berichtet Andreas Batke, der als Aufsichtsrat der STRABAG SE immer wieder entsprechende Diskussionen erlebt. „Das Problem ist, wie wir da an Aufträge kommen können. Unsere Leute müssen sich ja an die Antikorruptionsrichtlinien halten. Das ist in der Vergangenheit, wenn wir Firmen etwa in Ungarn oder Russland übernommen haben, manchmal nicht ganz einfach gewesen. Die Geschäftskultur dort ist eine ganz andere.“

Wenn die STRABAG jetzt etwa in Ungarn, Rumänien oder Russland Tochterfirmen übernimmt, setze man auf eine „Managementvermischung mit Österreichern oder Deutschen“, sagt Batke. „Damit macht man vor Ort klar, dass ein Verstoß gegen die Ethik-Richtlinien nicht toleriert wird.“ Im russischen Markt, der in Sachen Bestechlichkeit und Korruption als besonders schwierig gilt, habe man sich von Anfang an nicht an öffentlichen Ausschreibungen beteiligt. „Da sind wir im öffentlichen Bereich fast gar nicht tätig, weil es zu korrupt zugeht. Wir arbeiten dort verstärkt im privaten Sektor, besonders im Hochbau. Da sitzen wir dem Auftraggeber direkt gegenüber, und der muss ja auf sein Geld schauen, da ist Korruption kein Thema“, erzählt der Konzernbetriebsratsvorsitzende. Insgesamt bereite es dem Konzern zwar einige Schwierigkeiten, die eigenen Vorstellungen von Compliance in Osteuropa durchzusetzen. „Aber die Einsicht, dass Korruption letztendlich schadet, kehrt bei den anderen größeren Firmen auch ein“, gibt Batke zu bedenken. „Wir sind ja keine weißen Ritter am Markt.“

Wie die STRABAG haben auch andere große Baukonzerne Compliance-Systeme eingerichtet. Branchenprimus Hochtief führte schon in den 90er Jahren ein Ethik-Management-System ein, ist Mitglied bei Transparency International und schrieb in einem „Code of Conduct“ Verhaltensgrundsätze für alle Beschäftigten fest. Bilfinger Berger veröffentlichte im November 2012 konzernweit neue Compliance-Regeln und einen Verhaltenskodex. Und auch Familienunternehmen wie Wolff & Müller formulierten ein detailliertes Compliance-Leitbild. Die Branche scheint sich für die Idee eines umfassenden Compliance-Managements immer mehr zu öffnen – allerdings sind es bisher eher die großen Spieler. Die Sensibilisierung der Öffentlichkeit für Rechtsverstöße habe dabei als Treiber gewirkt, ergab eine Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte über das Compliance-Management in der Bau- und Immobilienbranche aus dem Jahr 2012 mit 85 Teilnehmern.

DIE BAUBRANCHE GILT ALS BESONDERS ANFÄLLIG

Die Berater kommen aber auch zu dem Schluss, die Branche sei für Compliance-Verstöße erheblich anfälliger als andere Branchen. Deshalb müsse das Compliance-Management entsprechend anspruchsvoll und ausgefeilt sein. Es setze sich jedoch, so die Studie, immer mehr die Erkenntnis durch, dass ein umfassendes Compliance-Management-System einem Unternehmen mehr Vorteile bringe als ein punktuelles Reagieren auf einzelne Regelverstöße. Den Prototyp eines umfassenden Regelwerkes hat eine Initiative des Bayerischen Bauindustrieverbandes schon 1996 entwickelt: der Verein Ethik Management der Bauwirtschaft, heute EMB-Wertemanagement Bau. Hier legt man Wert auf eine Unternehmenskultur, die über die rechtlichen Vorgaben hinausgeht. „Eine rein rechtsgetriebene Compliance ist der falsche Ansatz“, sagt der EMB-Vorsitzende Richard Weidinger. Um dauerhaft integer zu bleiben, müsse jede Baufirma ihre eigenen Werte festlegen und den Beschäftigten deutlich machen, was gegen die Unternehmenskultur verstößt. „Man muss die Compliance- und die Werteseite in einem Managementkonzept zusammenfügen. Erst dann bekommt Compliance die richtige Bedeutung“, sagt Weidinger.

Der Verein hat mithilfe von Wirtschaftsethikern ein entsprechendes Konzept entwickelt. Ihr „wertegetriebenes Compliance-Management-System“ erhob der Hauptverband der Deutschen Bauindustrie 2007 zu einer Initiative der Bauindustrie in ganz Deutschland. Der zentrale Punkt dieses Systems ist die Kontrolle: Mitglieder des Vereins müssen sich regelmäßg von externen Auditoren, die der Verein aussucht, überprüfen lassen. Ein sechsköpfiger, unabhängiger Auditierungsausschuss evaluiert deren Erkenntnisse und vergibt bei positivem Ausgang eine befristete Auditierungsurkunde. Vorsitzende sind stets externe Persönlichkeiten wie Juristen, Wissenschaftler und Wirtschaftsethiker.Dass es auch schon mal Korruptionsvorwürfe gegen auditierte Vereinsmitglieder gibt, ficht Weidinger nicht an. „Wenn eines unserer Mitglieder in Korruption involviert wäre, dann könnten wir die Auditierung aussetzen oder unter Umständen ein Mitglied ausschließen.“ Unternehmensethik und Compliance-Richtlinien am Bau durchzuhalten scheint Richard Weidinger auch in einer wirtschaftlichen Krise absolut machbar. „Das ist eine grundsätzliche Entscheidung. So ähnlich, wie wenn ich beschließe, nicht fremdzugehen. Dann gehe ich auch nicht fremd, da kann die Situation sein, wie sie will. Aus. Punkt.“ Eine wirkliche Massenbewegung ist aus dem EMB-Wertemanagement Bau noch nicht geworden: Der Verein hat zurzeit rund 70 Mitglieder. „Dadurch, dass wir viele sehr große Unternehmen dabeihaben, erfassen wir aber rund 30 Prozent der Beschäftigten am Bau“, erklärt Weidinger.

EIN KODEX IST WIE EINE ROTE AMPEL

Manchmal, das muss Stefan Königsberger zugeben, geht ihm das schlechte Image der Baubranche auf den Geist. „Eine ganze Branche ist durch ein paar schwarze Schafe in Verruf geraten“, schimpft der Regensburger Betriebsratsvorsitzende der STRABAG AG. Der gelernte Rohrleitungsbauer will, dass sich daran etwas ändert. „Ich bin ein Verfechter von meinem Ethik-Kodex“, betont er. „Ich kämpfe darum, dass der auch gelebt wird.“ Königsberger, Aufsichtsrat in der STRABAG AG, fragt sich allerdings, ob wirklich jeder Beschäftigte das Werteleitbild schon wahrgenommen hat. Er unterstützt, dass zurzeit Mitarbeiterschulungen für alle Standorte vorbereitet werden. Ein bisschen verspätet, denn den Ethik-Kodex gibt es immerhin seit sechs Jahren. „Vielleicht hat man aber in der Führung jetzt gesehen, dass der nicht bis zum letzten Mann kommt“, vermutet Königsberger. „Bei den Büroarbeitern oder Polieren kennt ihn natürlich jeder. Aber bei den Straßen- oder Rohrleitungsbauern auf den Baustellen nicht.“

Können ein Ethik-Kodex und eine Compliance-Richtlinie Korruption schon im Ansatz verhindern – so dass das Unternehmen immer auf der sicheren Seite ist? Königsberger überlegt einen Augenblick. „Kann eine rote Ampel einen Verkehrsunfall verhindern?“, gibt er dann zurück. „Wenn man bei Rot stehen bleibt: ja. Aber wenn man bei Rot drüberfährt: nein. Der Ethik-Kodex ist unsere rote Ampel.“ So etwas wie in Chemnitz will der Betriebsrat auf keinen Fall noch einmal erleben. Königsberger gibt sich optimistisch: „Ich glaube schon, dass die STRABAG durch diese Entgleisung gelernt hat.“

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