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Mehrfarbige Illustration mit Frauengesicht Magazin Mitbestimmung

Forschung: Jugend sucht Sicherheit

Ausgabe 04/2025

Die Ergebnisse der aktuellen Shell Jugendstudie­ zeigen, was junge Menschen von Politik und Arbeitgebern erwarten. Von Gudrun Quenzel

Ob Corona, Krieg, Klimakrise und Inflation – junge Menschen im Alter zwischen 12 und 25 Jahren sind keinesfalls nur Beobachter von Krisendiskursen. Sie reagieren darauf auf doppelte Weise. Erstens ist das soziale Umfeld äußerst wichtig für sie. Fragt man sie, was für sie einen hohen Stellenwert hat, dann steht an erster Stelle, gute Freunde zu haben. Danach folgen eine vertrauensvolle Partnerschaft und die Familie. Zweitens hat Sicherheit für sie einen hohen Wert. Diese Entwicklungen schlagen sich in den Erwartungen an den zukünftigen Arbeitsplatz und in ihrem Politikverständnis nieder.

Der Job soll sicher und flexibel sein

An erster Stelle steht bei den meisten junge Menschen ein sicherer Arbeitsplatz, gefolgt von den Wünschen, etwas Sinnvolles zu tun und etwas zu leisten. Von einer generellen Arbeitsunlust und einer Work-Life-Balance mit viel „Life“ und wenig „Work“ ist wenig zu spüren. Sie sind durchaus bereit, viel zu arbeiten, wenn sie dadurch mehr Geld verdienen. Gleichzeitig erwarten sie jedoch Flexibilität bei den Arbeitszeiten oder im Homeoffice. 80 Prozent der Jugendlichen wünschen sich, ihre Arbeitszeiten kurzfristig an die eigenen Bedürfnisse anpassen zu können. Arbeitgeber müssen eine hohe Flexibilität signalisieren, wenn sie diese jungen Menschen für sich gewinnen wollen.

Grafik zu Wertvorstellungen

Das Interesse an Politik wächst

Mitbestimmung – hier allgemein verstanden als Partizipation im sozialen Umfeld – ist für junge Menschen ebenfalls ein großes Thema. Sie erleben sie im Freundeskreis zu 36 Prozent als „umfassend“, was den höchsten Zustimmungswert bedeutet – bei der Arbeit dagegen nur zu neun Prozent und in der Politik nur zu ein Prozent. Aus der letzten Zahl darf man aber keinesfalls auf Desinteresse schließen. Politisch keine Meinung zu haben, ist out: Jugendliche positionieren sich politisch wieder stärker als in der Vergangenheit. Das Interesse an Politik ist inzwischen wieder so hoch wie seit den 1990er Jahren nicht mehr. Zum ersten Mal seit Jahrzehnten sagt wieder die Hälfte der jungen Menschen, dass sie sich aktiv politisch informiert.

Die große Mehrheit der Jugendlichen steht positiv zu Staat und Gesellschaft und sieht für sich große Zukunftschancen. Das für den deutschen Sozialstaat zentrale Leistungs- und Gerechtigkeitsversprechen sowie das Vertrauen in den Fortschritt sind aus ihrer Sicht weitestgehend intakt. Etwa drei Viertel der Jugendlichen sind der Ansicht, dass Deutschland ihnen alle Möglichkeiten bietet, ihre Lebensziele zu verwirklichen (76 Prozent), und vertrauen darauf, dass alle gemeinsam als Gesellschaft eine lebenswerte Zukunft schaffen können (71 Prozent).

Die Daten zeigen ein großes politisches Interesse, aber auch den Erfolg populistischer Narrative.“

Auffällig ist aber auch die Kritik, die Jugendliche an der Situation in Deutschland üben. 57 Prozent meinen, dass vieles, was woanders selbstverständlich ist, bei uns nicht funktioniert – eine Äußerung, die eine häufige populistische Kritik an staatlichem Versagen aufnimmt.

Von den jungen Menschen befürworten 57 Prozent die Aufnahme von Flüchtlingen, die in Deutschland Schutz suchen. Gleichzeitig findet die eher sozialpopulistisch intonierte Ansicht, der Staat kümmere sich mehr um Flüchtlinge als um hilfsbedürftige Deutsche, bei 48 Prozent Zustimmung. Alarmierend ist eine Zahl: 44 Prozent der Jugendlichen meinen, eine „starke Hand müsste mal wieder Ordnung in unseren Staat bringen“. 25 Prozent haben hier die Antwortkategorie „Trifft voll und ganz zu“ oder „Trifft zu“ gewählt, weitere 19 Prozent die etwas relativierende und weniger eindeutige Kategorie „Trifft eher zu“.

Die Daten zeigen ein großes politisches Interesse, aber auch den Erfolg populistischer Narrative. Dabei ist das eigene politische Engagement für mehr als jeden dritten Jugendlichen wichtig. Die Mehrheit der jungen Menschen positioniert sich im Links-rechts-Spektrum eher leicht links der Mitte. Bei den jungen Frauen ist in den letzten zwanzig Jahren ein klarer Trend nach links zu beobachten. Wir sehen aber auch bei vielen Jugendlichen eine gewisse Sehnsucht nach schnellen, durchgreifenden Veränderungen. Diese Sehnsucht ist bei eher rechtsorientierten Jugendlichen besonders ausgeprägt, aber auch bei vielen anderen Jugendlichen zu finden. Die Befunde deuten auf einen starken Bedarf an demokratischer Bildung in den Schulen und an – vor allem beruflichen – Perspektiven für diejenigen, die sich in diesem Land abgehängt fühlen.


GUDRUN QUENZEL ist Professorin an der Pädagogischen Hochschule Vorarlberg in Österreich und leitet dort das Institut für Bildungssoziologie. Sie ist Mitautorin der Shell Jugendstudie 2024.

Zum Weiterlesen:

Für eine ausführliche Darstellung der Ergebnisse siehe: Shell Deutschland (Hrsg.): Jugend 2024. Pragmatisch zwischen Verdrossenheit und gelebter Vielfalt. Weinheim, Beltz 2024.

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